Von Susan Bonath
Nach über einem Monat hartnäckigen Nachfragens rückte das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) endlich brisante Daten heraus, die es im letzten Sicherheitsbericht verschwiegen hatte. Demnach erhöhte sich die Zahl der gemeldeten Verdachtsfälle auf schwerwiegende Nebenwirkungen und Schäden nach einer Corona-Impfung in den ersten drei Monaten dieses Jahres nochmals deutlich. Bei Erwachsenen kamen Tausende, bei Kindern und Jugendlichen Hunderte entsprechende Meldungen hinzu. Mindestens ein weiteres Kind starb.
Zehntausende mit Komplikationen
Wie PEI-Sprecherin Susanne Stöcker nun auf Anfrage der Autorin mitteilte, wurden ihrem Institut bis Ende März insgesamt 36.870 Verdachtsfälle von mutmaßlich durch die Corona-Vakzine schwer Geschädigten gemeldet. In den ersten drei Monaten dieses Jahres kamen damit fast 7.000 weitere Betroffene hinzu.
In seinem Anfang Mai veröffentlichten neuesten Sicherheitsbericht hatte das PEI dazu keine konkrete Zahl mehr angegeben. Stattdessen bezifferte es die Zahl schwerwiegender Verdachtsfälle abstrakt mit 0,2 pro 1.000 Impfdosen, also 0,02 Prozent von rund 172 Millionen bis Ende März verabreichten Impfdosen.
Irreführende Abstraktion
Diese Art der Abstraktion sorgte immer wieder für irreführende Berichterstattung in den Medien, weil sie sich nicht auf die Zahl der geimpften Personen bezieht, die aufgrund der Mehrfachimpfung um einiges geringer ist als die der verabreichten Dosen.
Am 31. März 2022 berichtete das Robert Koch-Institut (RKI) von insgesamt knapp 63,7 Millionen mindestens einmal geimpften Menschen in Deutschland. Bezogen auf diesen Personenkreis beträgt die Melderate für schwerwiegende Nebenwirkungen nicht 0,02, sondern fast 0,06 Prozent (sechs von 10.000).
In den ersten drei Monaten dieses Jahres stieg die Zahl der mindestens einmal Geimpften laut RKI derweil nur noch um etwa zwei Millionen an. Etwa zwei Drittel der erstmals Geimpften waren Kinder und Jugendliche. Insgesamt wurden in diesem Quartal rund 23 Millionen Corona-Impfdosen in Deutschland verabreicht. Die Zahl der angezeigten Todesfälle stieg von 2.255 Ende Dezember auf 2.810 Ende März.
Was bedeutet "schwerwiegend"?
Für schwerwiegende Nebenwirkungen hat das PEI auch eine Definition. So klassifiziert es als solche alle Meldefälle,
"die tödlich oder lebensbedrohend sind, eine stationäre Behandlung oder Verlängerung einer stationären Behandlung erforderlich machen, zu bleibender oder schwerwiegender Behinderung, Invalidität, kongenitalen Anomalien oder Geburtsfehlern führen".
Bei "kongenitalen Anomalien" handelt es sich um genetische Defekte, die zur Zerstörung von Organen und gegebenenfalls zur Schädigung von Ungeborenen führen können. Das PEI betont, dass es bezüglich der Corona-Vakzine zusätzlich "unerwünschte Reaktionen von besonderem Interesse" als schwerwiegend klassifiziere, weshalb die Meldungen nicht mit denen zu anderen Impfstoffen vergleichbar seien. Allerdings dürften es sich auch hierbei nicht um besonders harmlose Fälle handeln.
Immer mehr Kinder betroffen
Bei Minderjährigen verzeichnete das PEI bis Ende März demnach insgesamt 1.208 gemeldete Verdachtsfälle schwer Geschädigter. Davon waren 97 Kinder jünger als zwölf Jahre. Damit kamen insgesamt rund 500 Betroffene im ersten Quartal 2022 hinzu.
Die Zahl der Verdachtsfälle auf tödliche Nebenwirkungen bei Minderjährigen stieg der PEI-Sprecherin zufolge im ersten Quartal von acht auf neun. Der oder die verstorbene Jugendliche sei zwischen zwölf und 17 Jahre alt gewesen. Nähere Angaben dazu machte Stöcker nicht. In vorangegangenen Berichten führte das PEI zu verstorbenen Minderjährigen Todesursachen wie Myokarditis, Herzrhythmusstörungen und Blutungen in inneren Organen wie der Lunge auf.
Laut Stöcker waren alle neun nach einer Impfung verstorbenen Minderjährigen, die dem PEI bis dahin gemeldet wurden, alter als elf Jahre. Diese Altersgruppe bekommt die gleiche Dosis wie Erwachsene. Jüngere Kinder erhalten geringer dosierte Vakzine. Bis Ende März waren laut RKI rund 1,1 Millionen Kinder unter zwölf sowie 2,9 Millionen ältere Jugendliche geimpft worden.
Falsche Angabe vor Gericht?
Stöckers Angaben zu den gemeldeten Todesfällen bei Minderjährigen werfen Fragen nach der Ehrlichkeit des PEI auf. In einer Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in Leipzig habe der PEI-Vertreter Dirk Mentzer am 7. Juni nach Angaben von Kläger-Anwälten geäußert, ihre Anzahl sei seit Ende Dezember definitiv nicht gestiegen und liege nach wie vor bei acht Fällen. Das wisse Mentzer sicher, weil er diese Fälle selbst recherchiert habe. Stöcker sprach nun aber von neun Todesfällen bis Ende März – ob seither weitere dazukamen, ist unbekannt.
Mindestens eine der beiden unterschiedlichen Angaben muss also falsch sein. Haperte es doch an der Recherche? Warum informierte sich der PEI-Experte vor der Gerichtsverhandlung nicht sorgfältiger, um falsche Aussagen zu vermeiden? Wie vertrauenswürdig sind die PEI-Daten überhaupt?
Intransparenz macht skeptisch
Das sonstige Vorgehen des Instituts erhöht die Skepsis nur weiter. Sicherheitsberichte zu den Corona-Impfstoffen gibt es immer seltener heraus, und dies in immer unübersichtlicherer Form. Bestimmte Nebenwirkungen werden einmal erwähnt, später wieder weggelassen. Zahlen versteckte das PEI zunehmend im Fließtext, abstrahierte sie teilweise. Einige davon ließ es zuletzt ganz weg, darunter die gemeldeten Verdachtsfälle schwerer und tödlicher Nebenwirkungen bei Minderjährigen.
Über einen Monat lang hatte die Autorin versucht, die fehlenden Daten herauszubekommen. Zuerst erklärte das PEI, es könne doch jeder selbst rechnen. Dies ist aber ohne jegliche Datengrundlage unmöglich. Später hieß es, man müsse die Zahlen beim zuständigen Ressort erfragen. Fast drei Wochen lang herrschte Schweigen. Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) erklärte der Autorin dann auf Nachfrage, das PEI werde noch antworten, was letztlich am 8. Juni auch geschah.
Dabei dürfte es für das PEI kaum schwer gewesen sein, die drei erfragten Zahlen zu schweren Nebenwirkungen insgesamt, speziell bei Kindern und Jugendlichen sowie zu den Todesfällen bei Minderjährigen zu ermitteln. Das Bundesinstitut hätte sie auch einfach gleich in den Bericht schreiben können, um Missverständnisse und Fehlinformationen durch die Presse zu vermeiden.
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