Todesfahrt in Berlin: Doch kein Bekennerschreiben – Scholz und Giffey sprechen von "Amok"

Der Fahrer des Autos, der damit eine Schülergruppe aus Hessen in Berlin erfasste und eine Lehrerin in den Tod gerissen hatte, war nach jüngstem Stand der Erkenntnisse wohl psychisch beeinträchtigt. Das Motiv sei weiterhin unklar. Bundeskanzler Scholz bezeichnet den tödlichen Vorfall als "Amoktat".

Der tödliche Vorfall mit einem Auto am Berliner Ku'damm wird derzeit von Politikern als Amoktat eingestuft. Bundeskanzler Olaf Scholz schrieb am Mittwochabend auf dem Kurznachrichtendienst Twitter: 

"Die grausame Amoktat an der Tauentzienstraße macht mich tief betroffen."

Der SPD-Politiker schrieb weiter: "Die Reise einer hessischen Schulklasse nach Berlin endet im Alptraum. Wir denken an die Angehörigen der Toten und an die Verletzten, darunter viele Kinder. Ihnen allen wünsche ich eine schnelle Genesung."

Auch Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey äußerte sich zum dem Vorfall am Donnerstagmorgen entsprechend: "Das hat sich gestern Abend verdichtet", sagte die SPD-Politikerin im rbb-Inforadio. Durch die Ermittlungen der Polizei sei klar geworden, "dass es sich um die Amoktat eines psychisch schwer beeinträchtigten Menschen handelt". Mit der Hilfe eines Dolmetschers werde derzeit versucht, mehr "aus den teilweise wirren Äußerungen, die er tätigt, herauszufinden".

Mit seiner Tat tötete der Fahrer am Mittwochvormittag eine Lehrerin aus Hessen und verletzte 14 Menschen, vor allem aus der dazugehörigen Schülergruppe. Mehrere Jugendliche wurden lebensgefährlich verletzt. Der Fahrer – ein 29 Jahre alter, in Berlin lebender Deutsch-Armenier – wurde gefasst und in ein Krankenhaus gebracht. Mehrere Medien berichteten übereinstimmend, dass sich bei dem Fahrer um Gor H. handeln solle. Einem Bericht im Spiegel zufolge soll der 29-Jährige seit mehr als zehn Jahren in Berlin gemeldet sein. Demnach galt er bereits als gewalttätig und soll in der Vergangenheit psychisch auffällig gewesen sein.

Von den 24 Schülern der 10. Klasse einer Schule im nordhessischen Bad Arolsen lägen derzeit 7 im Krankenhaus, erklärte Berlins Regierende Bürgermeisterin. Insgesamt seien 6 Menschen lebensgefährlich und 3 weitere schwer verletzt worden. Darunter ist auch ein Lehrer. Die unverletzten Jugendlichen seien in ihrem Hotel von Berliner Schulpsychologen betreut worden. Noch am Mittwoch seien Eltern der Jugendlichen zusammen mit Schulpsychologen aus Hessen mit einem Bus angereist.

Soweit bekannt ist, spielte sich der Vorfall im Herzen Berlins so ab: Der Mann fuhr den Renault-Kleinwagen am Vormittag an der Straßenecke Kurfürstendamm und Rankestraße auf den Bürgersteig des Ku'damms und in die Menschengruppe. Dann fuhr er auf die Kreuzung und knapp 200 Meter weiter auf der Tauentzienstraße Richtung Osten. Kurz vor der Ecke Marburger Straße lenkte er den Wagen erneut von der Straße auf den Bürgersteig, touchierte ein anderes Auto, überquerte die Marburger Straße und landete im Schaufenster einer Parfümerie.

Die Berliner Senatsverwaltung für Inneres zitierte Innensenatorin Iris Spranger (SPD) am Abend bei Twitter mit den Worten: "Nach neuesten Informationen stellt sich das heutige Geschehen an der Tauentzienstrasse als eine Amoktat eines psychisch beeinträchtigten Menschen dar". Mehr Details dazu nannte sie nicht.

Auch ein Sprecher der Berliner Polizei sagte der Nachrichtenagentur dpa am Abend: "Es gibt Indizien, die die Theorie eines psychischen Ausnahmezustands stützen." Es handle sich aber um eine von mehreren möglichen Versionen. "Nach Durchsuchungen laufen Ermittlungen und Spurenauswertung intensiv weiter", schrieb die Polizei beim Kurznachrichtendienst Twitter.

Polizeipräsidentin Barbara Slowik hatte ebenfalls gegenüber rbb betont, dass man im Moment "gar nichts" ausschließe. Die Ermittlungen würden von einer Mordkommission geführt. Unter anderem wurde die Wohnung des Fahrers in Charlottenburg durchsucht. Die Schwester des Verdächtigen hatte gegenüber einem Reporter der Bild-Zeitung gesagt: "Er hat schwerwiegende Probleme."

Nachbarn äußerten sich der Zeitung zufolge erstaunt, "dass er zu so einer Tag fähig ist." Am Abend gedachten zahlreiche Menschen in der Gedächtniskirche der getöteten Frau und der Verletzten.

Im Wagen, den der Mann gefahren hatte, wurden neben Schriftstücken auch Plakate mit Aufschriften gefunden. "Ein richtiges Bekennerschreiben gibt es nicht", sagte Innensenatorin Spranger. Zuvor hieß es noch aus Polizeikreisen, es sei ein Bekennerschreiben gefunden worden. Spranger sprach von "Plakaten", auf denen Äußerungen zur Türkei stünden. Der Fahrer war nach dpa-Informationen mit einem Auto unterwegs, das seiner älteren Schwester gehört. Er soll der Polizei wegen mehrerer Delikte bekannt gewesen sein, jedoch nicht in Zusammenhang mit Extremismus.

Der Unfallort befindet sich unweit der Gedächtniskirche am Breitscheidplatz in Berlin-Charlottenburg. Dort war in unmittelbarer Nähe bereits im Dezember 2016 ein islamistischer Attentäter in einen Weihnachtsmarkt gefahren. Dabei sowie an den Spätfolgen starben 13 Menschen, mehr als 70 wurden verletzt. Der Fall vom Mittwoch weckte in Berlin auch Erinnerungen an eine Amokfahrt auf der Stadtautobahn A100 im August 2020, als ein Autofahrer gezielt drei Motorradfahrer rammte. Er wurde später von einem Gericht in die Psychiatrie eingewiesen.

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(rt/dpa)