Eigentlich klingen die Wirtschaftsnachrichten nicht nur negativ: In letzter Zeit haben zwei US-amerikanische Weltkonzerne sich für Deutschland, und noch dazu für östliche Bundesländer als Investitionsstandorte entschieden. "Tesla" hat – rechtliche Vorgaben hin oder her – in Rekordzeit eine Autofabrik mitten in den brandenburgischen Kiefernwald bei Grünheide gesetzt. Und "Intel" wird in Magdeburg eine neue "Giga-Fabrik" errichten, die 10.000 Arbeitsplätze nach Sachsen-Anhalt bringen soll. Doch diese einzelnen, spektakulären Industrieansiedlungen verdecken den Nachholbedarf, den Deutschland angeblich oder tatsächlich hat – wenn man der internationalen Beraterbranche Glauben schenkt.
Deutschland im Hintertreffen?
So hat das US-Prüfungs- und Beratungsunternehmens "EY" (Ernst & Young) eine Studie erstellt, die dem Wirtschaftsstandort Deutschland Nachholbedarf attestiert. Im Vergleich zu Frankreich und Großbritannien drohe Deutschland ins Hintertreffen zu geraten, was ausländischen Investitionen angehe, heißt es dort. Beide Länder seien europäische Spitzenreiter, so EY bei der Vorstellung der Untersuchung heute in Stuttgart.
Demzufolge hätten ausländische Investoren im vergangenen Jahr 841 Projekte in Deutschland angekündigt, was im Jahresvergleich einen Rückgang von zehn Prozent bedeute. Frankreich, das den Spitzenplatz in dieser Kategorie einnimmt, habe dagegen 1222 Vorhaben verbuchen können, was ein deutliches Plus von 24 Prozent darstellte. Großbritannien, inzwischen außerhalb der EU, kam noch auf 993 Investitionsprojekte, ein Zuwachs um zwei Prozent, wie EY vorrechnete.
Beratungsfirmen loben Frankreich und Großbritannien
"Im innereuropäischen Standortwettbewerb scheint Deutschland derzeit das Nachsehen zu haben", äußerte sich Henrik Ahlers, Vorsitzender der EY-Geschäftsführung, besorgt. Der britische Austritt aus der EU ("Brexit") habe Großbritanniens Anziehungskraft auf ausländische Investoren hingegen nur geringfügig geschmälert. Frankreich wiederum habe in den vergangenen Jahren wichtige "Reformen" umgesetzt und sich einen Ruf als attraktiver Investitionsstandort erarbeitet.
"Deutschland ist ohne Zweifel ein sehr starker und wettbewerbsfähiger Standort", musste Ahlers dennoch eingestehen. Er erinnerte eben an das neue Werk des E-Autobauers "Tesla" und die von Intel angekündigte Chip-Fabrik in Magdeburg. Doch Deutschland werde nachgesagt, vermeintlich langwierige Verwaltungs- und Genehmigungsprozesse sowie – tatsächlich – vergleichsweise hohe Energiekosten zu haben.
Auch der sogenannte Fachkräftemangel spiele eine Rolle. "In Deutschland herrscht in einzelnen Regionen und Branchen annähernd Vollbeschäftigung – wer hier neu Fuß fassen möchte, hat es teils sehr schwer, in ausreichendem Maß qualifiziertes Personal zu finden", meinte Ahlers. Potenzielle Investoren ließen sich davon abschrecken.
Wessen Interessen?
Dagegen bleibt festzustellen, dass (internationale) Wirtschaftsberatungsfirmen, zumindest bei der öffentlichkeitswirksamen Präsentation derartiger Studien, nicht unbedingt ihre wirtschafts- und sozialpolitischen Prämissen hinreichend deutlich machen – und auch nicht die Interessen ausreichend offenlegen, die mit derartigen "Studien" zumindest mit befördert werden. So ließe sich fragen, inwiefern mit den Klagen über die Schwächen des Wirtschaftsstandorts Deutschland eine neue Runde von "Reformen" angestoßen werden soll, die sich gegen die abhängig Beschäftigten richten und deren Lage abermals verschlechtern werden. Und ob die fortgesetzte und ruinöse Standortkonkurrenz zwischen den (EU-)Ländern nicht am Ende an die Substanz der Gesellschaften geht – diejenige Substanz, ohne die sinnvolles Wirtschaften, auch die Erzielung von Gewinnen, nicht möglich ist. Und bei all diesen Überlegungen sind noch nicht einmal die Folgen der westlichen Sanktionspolitik gegen Russland eingepreist, die absehbar schwerwiegende Auswirkungen auf die deutsche wie andere europäische Volkswirtschaften (inner- und außerhalb der EU) haben werden.
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(rt/dpa)