Dass die Welt sich über ein Projekt der Berliner Grünen mokiert, wäre noch nichts Besonderes, zumal dann, wenn es sich um ein Lieblingsvorhaben der Hauptstadt-Ökos handelt, die gerne mal mit schrillen Vorschlägen von sich reden machen. Doch die bürgerliche Zeitung legte an dieser Stelle mit Recht den Finger in eine Wunde.
Autofrei auf Dauer?
Denn seit zwei Jahren ist die Friedrichstraße in Mitte auf dem Abschnitt zwischen Leipziger und Französischer Straße "dauerhaft", wie es heißt, autofrei – mit zwei Radspuren in der Mitte. Und das Experiment soll bisher mehr als 200.000 Euro gekostet haben. Ein Umbau der Straße, der außerdem noch in Planung ist, dürfte weit teurer kommen – wobei das Ziel, die Friedrichstraße wieder attraktiver zu machen (Stichwort "Flaniermeile"), wenigstens bisher nicht erreicht wurde.
In diesem Jahr soll, wie die Zeitung berichtete, das "Modellprojekt" mit mindestens 231.000 Euro zu Buche schlagen. So viel veranschlagte die Berliner Verkehrs- und Umweltverwaltung laut einer Aufstellung für die Haushaltsberatungen im Berliner Abgeordnetenhaus. Genüsslich wurden die einzelnen Posten aufgelistet, die im Zuge der auffälligen Neugestaltung der Verkehrsfläche anfallen, als da zum Beispiel wären:
- für die "Gestaltungskonzeption und Begleitung der technischen Umsetzung der Aufbauten" beinahe 63.000 Euro,
- für die "Stadtmöbel" genannten Sitzgelegenheiten über 56.000 Euro,
- für eine begleitende Verkehrsstudie exakt 22.365,61 Euro
- oder für die Verkabelung und Stromversorgung der auf der Straße neu aufgestellten Vitrinen knapp 18.500 Euro.
Hinzu kommt, dass die Verkehrsverwaltung die Mehrausgaben für das laufende Haushaltsjahr nicht abschätzen kann.
Selbst die Verwaltung hat Zweifel
Die Verkehrs- und Umweltsenatorin Bettina Jarasch (Grüne) hat noch keine Angaben zu den Kosten für das Projekt Friedrichstraße im neuen Haushalt gemacht, weil es – nach Angaben des eigenen Hauses – nicht wie erwartet funktioniere.
Die Neukonzeption sieht vor, Fußgängern auf der gesamten Verkehrsfläche Vorrang einzuräumen, was den kompletten Wegfall der Radwege vorsieht, die in die benachbarte Charlottenstraße verlegt werden sollen. Als Vorbild für die Friedrichstraße will man sich beim Verkehrssenat an einer italienischen Piazza orientieren.
Die bisherigen Reaktionen der Öffentlichkeit, der verbliebenen Anwohner und der betroffenen Geschäftsleute sind gemischt, jedenfalls keineswegs ein Anzeichen für den Erfolg des Modellversuchs. Bewohner klagen über Lärm, Kleingewerbe und Mittelstand über ausbleibende Kunden und wegbrechende Umsätze – was nicht nur dem verkehrspolitischen Experiment, sondern auch zwei Jahren Corona-Maßnahmen geschuldet sein dürfte. Dem ganzen Elend des Niedergangs der Friedrichstraße, der durch die fahrradgerechte Stadtmöblierung wohl noch befördert wurde, hat ein konservativer Beobachter der Hauptstadtverhältnisse Anfang des Monats eine bitterböse Reportage gewidmet.
Pragmatische Verbesserungen für Radfahrer
Vergleichsweise günstig und offenkundig weniger umstritten ist eine andere Berliner "grüne" Maßnahme zur Förderung des Radverkehrs: Seit dem Jahr 2021 stellt der Berliner Bezirk Pankow an Ampeln Warte- oder Trittbretter mit Haltebügeln für Radfahrer auf, damit diese bei Rot nicht absteigen müssen. Nur 500 Euro würde eine solche Haltehilfe kosten – und die Sicherheit an Ampeln erhöhen. Zwar protestierte ein Fußgängerverband gegen die Art der Aufstellung, doch scheinen die Wartebretter neben dem Komfort für Radfahrer auch ihre Vorteile zu haben: Das Umfahren roter Ampeln wird erschwert. Auch in Treptow-Köpenick ist man der Meinung, dass die Haltehilfen an Ampeln den Verkehrsfluss von Rädern verbessern können und will weitere Trittbretter installieren. Das Konzept der Haltebügel für Radfahrer soll aus Kopenhagen stammen und wurde schon von anderen deutschen Städten, beispielsweise der Fahrrad-Hochburg Münster, übernommen.
Zugegeben: Die Installation von Wartebrettern für Radfahrer ist einfacher als die Nachahmung einer italienischen Piazza in Berlin-Mitte, ausgerechnet auf der Friedrichstraße.
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