Hans-Werner Sinn war von 1999 bis 2016 Präsident des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung – und ist nach wie vor einer der gefragtesten Experten zu ökonomischen und damit verbundenen geopolitischen Fragen. Im Interview mit dem Merkur malt er – wenig überraschend – eine schwarze Zukunft für die deutsche Ökonomie.
Auf die Frage, ob ein Gas-Embargo gegen Russland vertretbar wäre, antwortete er:
"48 Prozent der deutschen Haushalte heizen mit Gas – und die Hälfte des Gases kommt aus Russland. Ohne das russische Gas kommt Deutschland zumindest kurzfristig in massive Schwierigkeiten. Die Rechnungen, die da gemacht werden bezüglich eines nur geringen Einbruchs des Bruttoinlandsprodukts, sind nicht zielführend, weil das Bruttoinlandsprodukt gar keine Importe erfasst, also auch nicht den unmittelbaren Schaden durch fehlende Gasimporte. Wenn wir frieren, weil das Gas fehlt, taucht das in diesen Rechnungen nicht auf."
Auch "der Staat" könne da nicht kurzfristig, wie etwa in der Corona-Situation, mit "Finanzhilfen" einspringen:
"Durch Finanzhilfen kann er [der Staat] das Gas nicht herbeischaffen. Es fehlen Terminals für LNG, also Flüssiggas. Die ersten werden 2026 betriebsbereit sein. Und das schwimmende Terminal, das eventuell Ende des Jahres verfügbar sein wird, hat eine viel zu kleine Kapazität."
Daher werde man bis auf Weiteres nicht auf russisches Gas verzichten können. Über die aktuelle Situation und die antirussischen Sanktionen sagte er:
"Damit schädigen wir zwar auch die Russen ein bisschen – aber vor allem uns selbst. Die Russen haben nämlich China als alternativen Kunden. Die Pipeline 'Power of Siberia' liefert schon Gas nach China, eine neue Leitung, 'Power of Siberia II', die den westlichen Teil des Leitungsnetzes der Russen mit Peking verbindet, ist schon vereinbart. Die darüber fließenden Gasmengen können die Russen den Chinesen schon jetzt für Kredite verpfänden. Der Westen kann Russland also den Gashahn abdrehen, nicht aber den Geldhahn. Seine Embargopolitik treibt Russland in die Arme Chinas und stärkt gerade dasjenige Land, das die USA in der Zukunft am meisten werden fürchten müssen. Solange wir China nicht im Boot haben, können wir Russland mit Sanktionen nicht niederringen."
Auf den Druck anderer Länder – wie Frankreich –, russisches Gas zu boykottieren, erwiderte er:
"Deutschland hatte schon mit der Sowjetunion – bei allen Krisen und Kriegen, die es gab – stets stabile Lieferbeziehungen. Darauf aufbauend hat man sich auf die Gaslieferungen verlassen, und es wird ja auch weiter geliefert. Die Gaslieferungen einzustellen, kann man als westlicher Verbündeter leicht fordern, wenn man selber nicht so abhängig ist wie wir. Es gibt im Übrigen noch andere Länder, die viel russisches Gas beziehen, zum Beispiel Österreich und Italien."
Doch aus vielerlei Gründen seien für die Deutschen die "guten Zeiten" vorbei, so Sinn. Und er fügte hinzu:
"Nicht nur für die nächsten 15 Jahre, sondern für eine längere Periode. Das liegt zum einen daran, dass die Grünen uns die billige Energie ohnehin abstellen wollen. Zum anderen liegt es daran, dass die demografischen Probleme überhandnehmen. Das wissen wir eigentlich schon seit Anfang der 80er Jahre. Wir haben nun mal die Baby-Boomer, die heute 56- bis 60-Jährigen, die bald in Rente gehen wollen. Hinter dieser Bevölkerungskohorte kommen nicht mehr allzu viele neue Menschen nach. Wir haben ein riesiges Versorgungsproblem, weil die Arbeitsbevölkerung wegbricht. Einige sagen dazu Facharbeitermangel, aber es geht in Wahrheit um alle Berufsschichten."
Auch an den Grünen und der von ihnen geforderten Klimapolitik übt der 74-Jährige Kritik:
"Die Grünen sind aus der Anti-Atomkraft-Bewegung entstanden. Als das Klimathema aufkam, wurden sie zunächst auf dem linken Fuß erwischt. Dann aber machten sie sich auch dieses neue Thema zu eigen und schwangen sich mutig zum Doppelausstieg aus Kernkraft und Kohle auf. Spätestens Putin hat nun klargemacht, dass ihre Energiewende ein Scherbenhaufen ist."
Die Botschaft an die Bürger nach Corona, Inflation, Staatsversagen und der trüben wirtschaftlichen Zukunft sei letztendlich überdeutlich. Sie laute:
"Sorgt selber für euch. Glaubt nicht daran, dass der Staat das schafft. Der Staat wird heillos überfordert sein mit den sozialpolitischen Aufgaben."
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