Nach dem hohen Sieg der CDU von Ministerpräsident Hendrik Wüst bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen beginnt die Suche nach einem neuen Regierungsbündnis. Er habe den Auftrag, "eine künftige Regierung zu bilden und zu führen", sagte der 46-Jährige am Sonntag. Seine bisherige schwarz-gelbe Koalition hat keine Mehrheit mehr, weil die FDP abstürzte. Daher steht ein Bündnis mit den Grünen im Raum, die ein Rekordergebnis einfuhren. Wüst sagte zur Ausgangslage, es gebe zwei Gewinner: die Grünen und seine CDU.
Allerdings hegt auch die eingebrochene SPD als zweite Kraft noch die Hoffnung, zusammen mit den Grünen und der FDP in einem Ampel-Bündnis an die Macht zu kommen. "Ich bin bereit", sagte der Landesvorsitzende Thomas Kutschaty bei der SPD-Wahlparty in Düsseldorf. Der Sieg der CDU und das starke Ergebnis der Grünen bedeuteten nicht automatisch, dass beide eine Regierung formten, erklärte er. Es seien durchaus noch andere Optionen denkbar. SPD-Bundeschef Lars Klingbeil sieht das ähnlich, formulierte aber am späteren Abend in der ARD-Sendung Anne Will zurückhaltender als noch unmittelbar nach Wahlschluss:
"Herr Wüst ist der Sieger, er führt die stärkste Partei an, und deswegen gehe ich davon aus, er führt die Gespräche und er muss jetzt Gespräche führen, und dann werden wir sehen, ob er eine Regierung bilden kann."
Zu Bescheidenheit mahnte auch der frühere SPD-Bundesvorsitzende Norbert Walter-Borjans. "An so einem Abend, wo man seine eigenen Ziele doch ein ganzes Stück verfehlt hat, ist das nicht ein Moment, wo man die Backen aufpustet und Forderungen stellt", sagte er der Nachrichtenagentur dpa in Düsseldorf.
Nach dem vorläufigen amtlichen Ergebnis gewannen die Christdemokraten 35,7 Prozent der Stimmen (2017: 33,0). Starke Zugewinne verbuchten die Grünen, die ihr Ergebnis auf 18,2 Prozent fast verdreifachten (6,4). Die Sozialdemokraten sackten dagegen ab, und zwar auf ihren historischen NRW-Tiefstand von 26,7 Prozent (31,2). Die bisherige Regierungspartei FDP verlor so viel wie noch nie bei einer NRW-Landtagswahl und landete bei schwachen 5,9 Prozent (12,6). Die AfD konnte sich mit 5,4 Prozent knapp im Landtag halten (7,4). Die Linke, seit zehn Jahren nicht mehr im Landtag, bleibt mit 2,1 Prozent (4,9) draußen.
Die Sitze im neuen Landtag teilen sich wie folgt auf: CDU 76 (2017: 72), SPD 56 (69), Grüne 39 (14), FDP 12 (28), AfD 12 Mandate (16). Die Wahlbeteiligung lag bei 55,5 Prozent und ist die niedrigste bei einer Landtagswahl in NRW überhaupt.
FDP-Chef Christian Lindner, selbst aus NRW, sprach ernüchtert von einer "desaströsen Niederlage". Spitzenkandidat Joachim Stamp erwartet nun, dass eine schwarz-grüne Landesregierung gebildet wird. "Wir haben zwei klare Wahlgewinner. Und ich gehe davon aus, dass die beiden auch miteinander koalieren werden."
Der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte sagte der dpa, der Ausgang der NRW-Wahl komme für die Regierungskoalition im Bund einem "politischen Erdbeben" gleich.
"Es gibt den Triumph der Grünen mit der – so könnte man sagen – Zweitkanzlerin (Annalena) Baerbock, und die anderen verlieren massiv. Die Ampel ist sehr unter Druck."
Die Grünen sind mit ihrem starken Ergebnis nun die "Königsmacher" in NRW. Ihre Bundesgeschäftsführerin Emily Büning sagte, sie könne sich eine Koalition sowohl mit der CDU als auch mit SPD und FDP vorstellen. NRW-Spitzenkandidatin Mona Neubaur nannte es das entscheidende Kriterium, wie viele eigene Inhalte man am Verhandlungstisch mit anderen Parteien erstreiten könne. Für die CDU spreche, dass sie deutlich gewonnen habe und "moderner ist, als sie noch vor wenigen Jahren hier in Nordrhein-Westfalen war", sagte sie in den ARD-Tagesthemen. Den Grund für das Rekordergebnis sieht Neubaur auch im Rückenwind aus Berlin: Die grünen Bundesminister hätten "Haltung und Kompass" in Krisenzeiten unter Beweis gestellt.
Wahlberechtigt waren 13 Millionen Bürger, etwa ein Fünftel aller Wahlberechtigten in Deutschland. Die Abstimmung im bevölkerungsreichsten Bundesland gilt daher als "kleine Bundestagswahl" und wichtiger Stimmungstest für die Bundespolitik, Kanzler Olaf Scholz (SPD) und den neuen CDU-Oppositionsführer Friedrich Merz.
Als Rückenwind wertete die CDU das Wahlergebnis. Parteichef Merz schrieb auf Twitter: "Die CDU ist zurück, unser nach vorn gerichteter Kurs wurde bestätigt." Merz stammt ebenfalls aus NRW, er hatte Wüst im Wahlkampf engagiert unterstützt. Für seine Partei ist es der zweite Erfolg nach dem haushohen Wahlsieg in Schleswig-Holstein, der die Serie von Niederlagen im Bund und in mehreren Ländern vor einer Woche beendet hatte. Ende März etwa hatte die SPD die Landtagswahl im Saarland noch haushoch gewonnen. Im NRW-Wahlkampf hatte sich Kanzler Scholz sehr engagiert und sich sogar zusammen mit Kutschaty auf den Plakaten abbilden lassen.
Als "Stammland" der Sozialdemokratie gilt NRW aber schon lange nicht mehr. CDU und SPD wechselten sich in den vergangenen Wahlperioden an der Regierung ab, seit 2005 hat kein Regierungsbündnis länger als sieben Jahre durchgehalten.
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(rt de/dpa)