Es herrschte "nun mal Zeitdruck", außerdem gab es "Maskennotstand", und es war "Gefahr im Verzug". An Begründungen mangelte es den CSU-Politikern jedenfalls nicht, als es am Donnerstag um die Aufarbeitung von fragwürdigen Masken-Geschäften durch die Bayerische Staatskanzlei gehen sollte. Neben den bekannten CSU-Abgeordneten Alfred Sauter und Georg Nüßlein und ihrem Netzwerk, samt PR-Unternehmerin Andrea Tandler und Strauß-Tochter Hohlmeier, kamen am Donnerstag noch weitere prominente CSU-Politiker hinzu: Ministerpräsident Markus Söder und Staatskanzleichef Florian Herrmann sowie der frühere Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer.
Letzterer hatte im März 2020, also zu Beginn der Corona-Krise hierzulande, ein lukratives Maskengeschäft zwischen der bayerischen Staatsregierung und einer Passauer Firma – also aus Scheuers Wahlkreis – angeschoben. Landesvater Söder hat das Direkt-Angebot offenbar relativ direkt abgenickt. Laut einer internen Mail von Ende März 2020 soll er aus dem Gesundheitsministerium damals in einer SMS geschrieben haben: "Müsst ihr nehmen, Scheuer muss das garantieren!"
Dabei hatte das bayerische Gesundheitsministerium das Angebot der Firma eigentlich schon abgelehnt, weil es nicht vertrauenswürdig erschien; "fachlich" wollte das Ministerium den Kauf nicht empfehlen. Dies geht aus Regierungsakten und Notizen hervor, über die die Süddeutsche Zeitung am 12. Mai als erste berichtet hatte, und welche auch vonseiten der Deutsche Presse-Agentur bestätigt wurden.
Vor dem Hintergrund der vielfältigen Fälschungen am Markt könne man das Angebot nicht annehmen. Auf Basis der beigefügten Unterlagen könne nicht verifiziert werden, ob die Masken verkehrsfähig seien. Mit diesen Worten zitiert der BR die Absage des bayerischen Gesundheitsministeriums an das Masken-Geschäft, das vom damaligen Bundesverkehrsminister eingefädelt worden war. Auch das zuständige Referat im Umwelt- und Verbraucherschutzministerium hatte Bedenken bei den Masken-Zertifikaten des Passauer Unternehmens.
Trotzdem, und obwohl offenbar auch Angebote anderer Firmen vorlagen, erhielt die von Scheuer empfohlene Firma aus seinem Wahlkreis den Zuschlag für den Regierungsauftrag. Sie sollte für mehr als 18 Millionen Euro insgesamt zehn Millionen chinesische OP-Masken und drei Millionen FFP2-Masken liefern, nachdem sich die Bayerische Staatskanzlei gezielt dafür eingesetzt hatte – entgegen der Verbraucherschutzbedenken.
Wie es im bayerischen Gesundheitsministerium hieß, gab es plötzlich "massiv Druck aus der Staatskanzlei". Staatskanzleichef Florian Herrmann habe gefordert, den Passauer Firmenchef und eine weitere Person "sofort zu kontaktieren".
Herrmann habe dabei auf Bundesminister Scheuer verwiesen und von zirka zehn Millionen Masken gesprochen.
"Brauchen Freigabe! EILT!"
Diese eindeutige Aufforderung verschickte Herrmann als Anhang in einer Mail innerhalb der Staatskanzlei, mit dem Betreff: "BM Scheuer" und dem Hinweis darauf, dass offenbar keine Zeit mehr für Klärung beispielsweise der gesundheitlichen Beanstandungen oder sonst etwas war. Denn mit den Worten Hermanns lautete die Anweisung auf "SOFORTIGE Bearbeitung" ans Beschaffungsamt, mit einem PS: "Mit SOFORT meine ich SOFORT".
Das Gesundheitsministerium hatte weiterhin Bedenken – doch die wurden vom Landesvater persönlich überbügelt: Söder schickte eine SMS an den damaligen Innenstaatssekretär Gerhard Eck (CSU), der wegen der Corona-Krise zur Verstärkung temporär ins Gesundheitsministerium versetzt worden war. Und er wies an:
"Müsst Ihr nehmen, Scheuer muss das garantieren!"
Wie dem Schriftverkehr zu entnehmen ist, fügte sich das Gesundheitsministerium daraufhin offenbar trotz weiter bestehender Bedenken. Die zuständige Abteilungsleiterin schrieb:
"Dann werden wir das Angebot wohl akzeptieren müssen, aber wie BM Scheuer das garantieren will, weiß ich nicht."
Während andere Anbieter Standardabsagen erhielten, bekam die Passauer Firma noch am selben Tag, am 31. März 2020, den Kaufvertrag. Die Lieferung verlief jedoch weitaus weniger rapide und hat sich bis Ende 2020 hingezogen.
Dass die niederbayerische Firma auf diese Weise zum Zuge kam, sei aber keine Vorzugsbehandlung gewesen, so die verantwortlichen CSU-Männer. Vielmehr war die Situation laut Staatskanzleichef Herrmann so, dass diese Vorgehensweise offenbar die einzig richtige war. Denn:
"Ende März 2020 herrschte in Bayern und ganz Deutschland absoluter Maskennotstand, es war Gefahr im Verzug."
Man habe jede potenziell seriöse Quelle für Schutzausrüstung zu vernünftigen Preisen schnellstmöglich prüfen wollen. "Nicht anders ist der Hinweis aus der Staatskanzlei zu verstehen: Am Thema dranzubleiben und sich zugleich alle Optionen bezüglich Qualität und vertraglicher Absicherung offenzuhalten", erklärte Herrmann.
Zur Absicherung sei die Erfüllung konkreter Standards in den Kaufvertrag aufgenommen worden, verbunden mit Gewährleistungsrechten für den Freistaat.
"Es gab keinerlei Vorzugsbehandlung. Ziel musste es sein, taugliches Schutzmaterial in großer Stückzahl zu erwerben – ohne dabei unwägbare finanzielle oder gesundheitliche Risiken einzugehen. Genau das ist explizit geschehen. Der Vertrag wurde im Ergebnis vollständig erfüllt. Provisionen wurden nicht gezahlt."
Den Punkt, dass in diesem Geschäft, anders als bei früheren Masken-Geschäften durch Parteikollegen wie Nüßlein und Sauter, für die Politiker aus den Deals kein finanzieller Vorteil entstanden sei, betonte auch Scheuer:
"Wir sprechen nicht von Provisionen oder Beteiligungen. Wir reden davon, dass E-Mails von Abgeordneten weitergeleitet wurden, die keinen Cent damit verdient haben."
Es habe ja Zeitdruck geherrscht. "Ich war erleichtert und froh, als in dieser Notlage die Lieferung in München ankam, um das besonders von Corona betroffene Bayern, vor allem die Kliniken und Einrichtungen, mit der damals globalen Mangelware Masken zu versorgen", sagte Scheuer der dpa.
Nüßlein und Sauter hatten ihre CSU-Kontakte genutzt und aus den so eingefädelten Millionendeals saftige Provisionen abgegriffen. Das Münchner Oberlandesgericht urteilte dennoch im November 2021, dass der "Tatbestand der Bestechlichkeit und Bestechung von Mandatsträgern" nicht erfüllt sei. Ein Urteil, gegen das die Generalstaatsanwaltschaft jedoch Beschwerde beim Bundesgerichtshof einlegte. Kritiker verweisen darauf, dass sich die CSU über Jahre effektiv gegen Anti-Korruption im Strafrecht eingesetzt hat.
Das bayerische Gericht hatte unter anderem erklärt, der Tatbestand der Bestechlichkeit und Bestechung von Mandatsträgern setze voraus, "dass einem Abgeordneten ein Vorteil als Gegenleistung für eine Handlung bei der Wahrnehmung seines Mandats zugewendet beziehungsweise versprochen wird" – eine Situation, die im Fall Scheuer, Söder und Herrmann nach deren Beteuerungen nicht vorliegt.
Die Opposition fordert dagegen Aufklärung. Florian Siekmann (Grüne) kritisierte, das "persönliche Pushen" von einzelnen Angeboten habe damals den Aufbau eines wirksamen Beschaffungssystems für Masken verhindert. Die drei CSU-Politiker hätten "diesen Maskendeal gegen jeden fachlichen Rat durchgedrückt", so Siekmann gegenüber dem BR. Dabei sei der Job der Regierung gewesen, ein "effektives Beschaffungswesen für Schutzmasken aufzubauen." Dies hätten die drei als Regierungsmitglieder mit ihrer "persönlichen Patronage" jedoch ausgehebelt. Im Resultat sei die Verwaltung dann mitten in der Krise monatelang mit Reklamationen und Rückrufe der "Schrottmasken" beschäftigt gewesen – "obwohl Wichtigeres zu tun war."
SPD-Fraktionschef Florian von Brunn forderte, Söder müsse jetzt öffentlich erklären, warum er sich über die Bedenken der Fachleute hinweggesetzt und angewiesen habe, "Scheuers untaugliche Masken" zu kaufen.
"Wollte er nur schicke Fotos auf dem Flughafen oder steckt mehr dahinter? Ganz dünnes Eis für ihn & die CSU!"
Auch der Fraktionsvorsitzende der FDP im Bayerischen Landtag, Martin Hagen, findet es "schockierend", wie schnell Ministerpräsident Markus Söder mit nur einer SMS berechtigte Einwände der zuständigen Behörden "einfach beiseite wischen" könne. "Es gab ja Vorbehalte gegen dieses Angebot, das – wie wir heute wissen – auch untauglich war, und das hat plötzlich keine Rolle mehr gespielt", sagte Hagen dem BR. Und er fügte hinzu:
"Das zeigt, dass wir Probleme mit dem System Markus Söder haben und dass der Untersuchungsausschuss noch einiges aufzuarbeiten hat."
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