In einem Interview mit dem Spiegel trafen am Freitag die Pazifistin und Feministin Alice Schwarzer und die FDP-Politikerin und Rüstungslobbyistin Marie-Agnes Strack-Zimmermann zusammen, deren Position bezüglich des Krieges in der Ukraine kaum weiter auseinanderliegen könnten.
Schwarzer hatte vor Kurzem zusammen mit Martin Walser, Alexander Kluge, Harald Welzer und Co. einen offenen Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) verfasst, um ihre Sorge vor der Lieferung von schweren Waffen kundzutun. Ihr Vorgehen begründete sie im Interview mit den Worten:
"Aber dann gab es letzte Woche dieses Statement vom russischen Außenminister Sergei Lawrow, der von einer 'ernsten, realen Gefahr' einer nuklearen Bedrohung sprach. Das ist mir in die Knochen gefahren."
Strack-Zimmermann, Präsidiumsmitglied des "Förderkreises Deutsches Heer", kommentierte Lawrows Aussage dagegen so:
"Der ganze Krieg, das russische Morden, Vergewaltigen, Verschleppen von Kindern erschreckt mich, aber was Lawrow gesagt hat, ist ja nichts wirklich Neues. Selbstverständlich muss man das äußerst ernst nehmen, alles andere wäre ja mit Verlaub bescheuert. Es läuft zurzeit aber auch ein Krieg der Kommunikation. Lawrow benutzt solche Aussagen auch, um uns psychologisch in Schach zu halten."
Auf den Vorwurf an Schwarzer, sie verharmlose Gewalt an Frauen in der Ukraine, indem der Westen keine schweren Waffen Richtung Kiew schicke, entgegnete die 79-Jährige:
"Aber gerade darum bin ich dafür, dass wir mit aller Kraft versuchen, diesen Krieg nicht in eine unendliche Länge zu ziehen, sondern in baldige Verhandlungen investieren, damit dieser Krieg gestoppt werden kann. Damit die Zerstörungen, die Vergewaltigungen, die Toten ein Ende haben."
Warum sie den Brief an Scholz verfasst hatte, erklärte Schwarzer im weiteren Verlauf des Interviews anschaulich und bewies eine sehr realpolitische Einschätzung der Lage:
"Natürlich ist es bewundernswert, wie die Ukrainer sich wehren. Und es ist gut, dass sie die Russen aufhalten, ja sogar zurückdrängen konnten. Aber wir dürfen die Ukraine nicht in der Illusion wiegen, dass sie die größte Atommacht der Welt, Russland, final besiegen könnten über ihr Territorium hinaus. Es wäre fatal, wenn wir sie das glauben ließen. Denn dann hätten wir eine Mitverantwortung für die totale Zerstörung des Landes, das Leid und noch mehr Tote. Darum haben wir diesen Brief geschrieben."
Strack-Zimmermann widersprach dieser Darstellung und meinte, im Ukraine-Konflikt gehe es um die "Verteidigung der freien Welt". Dann verstrickt sie sich in eklatante Widersprüche. Einerseits betonte sie, dass 30 NATO-Staaten hinter der Ukraine stünden, anderseits sagte sie:
"Die Ukraine hat ganz allein zu entscheiden, unter welchen Bedingungen sie einem Frieden zustimmt. Das ist nicht unsere Sache. Das vorzugeben, wäre vermessen und extrem übergriffig."
Die immer stärkere Verstrickung des "Westens" in den Konflikt sieht Schwarzer mit großer Sorge und zog einen historischen Vergleich: "Einen eindeutig enthemmten Gegner wie Putin zu demütigen, das ist sehr, sehr gefährlich. Frauen sind Demütigungen eher gewöhnt, wenn ich das als Frau so sagen darf. Aber gedemütigte Männer und gedemütigte Nationen sind gemeingefährlich. Deutschland hat sich nach 1919 extrem vom Versailler Vertrag gedemütigt gefühlt. Wir kennen die Folgen."
Strack-Zimmermann beharrte jedoch darauf, sie wolle Wladimir Putin vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag sehen. Es sei wichtig, "dass er nach diesem Krieg keine Chance mehr hat, andere Länder zu annektieren". Darauf entgegnete die geschockte Emma-Herausgeberin:
"Mit dem, was Sie eben gesagt haben, sind Sie weit über den Schutz der Ukraine hinausgegangen. Ein Land, dessen Staatschef in Den Haag vor Gericht gestellt wird, ist natürlich am Boden. Sie verwenden eine Rhetorik, vor der wir uns hüten sollten. Das treibt den Gegner in die Enge und muss selbst einem so martialischen Gegner wie Putin Angst machen. Mit Tönen wie den Ihren steuern wir auf die Eskalation des Konfliktes zu und könnten schnell in einem dritten Weltkrieg landen. Der nutzt dann auch der Ukraine nichts."
Final berief sich Strack-Zimmermann auf das Völkerrecht und damit das Recht auf Selbstverteidigung von angegriffenen Nationen, die sich von Dritten auch mit Waffen eindecken dürfen. Dazu äußerte sich Schwarzer:
"Sie berufen sich zwar zu Recht auf das Völkerrecht. Leider verletzt der Westen bereits jetzt das Völkerrecht, indem wir in unseren Ländern Soldaten für den Kampf in der Ukraine ausbilden. Völkerrechtlich gibt es allerdings das kategorische Verbot, ein manifestes Risiko der Eskalation eines Krieges zu einem atomaren Konflikt in Kauf zu nehmen. Darauf hat auch unser Kanzler seinen Eid geschworen. Doch wir sind im Begriff, dieses Risiko in Kauf zu nehmen. Und Kräfte wie Sie, Frau Strack-Zimmermann, die dafür plädieren, dass wir weiter schwere Waffen liefern, steigern dieses Risiko. [...] Sie fahren mit Ihrem Panzer gerade mit Höchstgeschwindigkeit auf die Katastrophe zu. Könnten Sie bitte die Bremse ziehen?"
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