Die Anzahl der Menschen, die die Angebote der Tafeln in Deutschland nutzen, steigt seit Monaten. Die Situation sei "so angespannt wie noch nie", sagte Tafel-Vorsitzende Jochen Brühl den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Demnach verzeichnet man immer mehr Menschen, die in die Ausgabestellen kommen, um sich Lebensmittel abzuholen, während zugleich die Spenden zurückgehen. Auch die steigenden Betriebskosten verschlimmern die Lage der Ausgabestellen. Der Dachverband vertritt rund 960 Lebensmittel-Tafeln in ganz Deutschland.
Die freiwilligen Helfer seien "teilweise pausenlos im Einsatz und erleben es als belastend, wenn sie Menschen nicht helfen können, weil keine Lebensmittel mehr da sind zum Weitergeben", erklärte Brühl den Zeitungen. So mussten manche Stellen bereits ihr Angebot beschränken. Erst vor wenigen Tagen hatte die sächsischen Zeitung Freie Presse berichtet, dass die Zwickauer Tafel einen Aufnahmestopp hatte verhängen müssen. Demnach war seit Jahresbeginn die Zahl der Bedürftigen kontinuierlich angestiegen, sodass die Organisation an ihre Grenzen gestoßen war.
Die Experten sehen mehrere Gründe für diese bundesweite Entwicklung – gestiegene Lebensmittelpreise, stark gestiegene Energiekosten und den Krieg in der Ukraine. Viele geflüchtete Familien seien auf gespendete Lebensmittel angewiesen. Sie seien laut Experten oft in Deutschland bei Verwandten oder Freunden privat untergekommen und beziehen noch keine finanzielle Unterstürzung vom Staat.
Rund 1,65 Millionen Menschen in Deutschland kommen nach Angaben der Tafel regelmäßig in die Ausgabestellen. Bereits seit Jahren schlagen die Tafeln Alarm, dass etwa immer mehr Senioren wegen niedriger Renten auf die Unterstützung mit Lebensmitteln angewiesen seien. Rund 60.000 Ehrenamtliche helfen bundesweit dabei, die von Händlern und Herstellern gespendeten und gesammelten überschüssigen Lebensmittel zu verteilen.
Brühl appellierte an die Bundesregierung und die Kommunen: "Tafeln sind nicht Teil des sozialstaatlichen Systems." Er forderte von der Politik sofortiges Handeln. So muss laut Brühl der Hartz-IV-Regelsatz "schnell" erhöht werden. Er betonte:
"Einmalzahlungen von wenigen hundert Euro reichen nicht aus und kommen zu spät."
Zugleich soll es laut Brühl auch "deutliche Entlastungen für Menschen mit geringen Einkommen" geben.
Inge Hannemann, ehemalige Linken-Abgeordnete in der Hamburger Bürgerschaft und scharfe Kritikerin der Hartz-IV-Gesetze, teilte via Kurznachrichtendienst Twitter eine Grafik, die zeigen soll, wie viel Geld eine alleinstehende erwachsene Person gemäß dem Regelsatz für verschiedene Lebensbereiche zur Verfügung habe. Für Essen – Frühstück, Mittagessen und Abendbrot – seien es demnach derzeit pro Tag 5,19 Euro:
Laut einem aktuellen Bericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes hat die Armutsquote in Deutschland mit "16,1 Prozent – rechnerisch 13,4 Millionen Menschen – im Pandemie-Jahr 2020 einen neuen Höchststand erreicht".
Als arm gilt jede Person, die über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens verfügt. Dabei handelt es sich um das gesamte Nettoeinkommen des Haushaltes inklusive Wohngeld, Kindergeld, Kinderzuschlag, anderer Transferleistungen oder sonstiger Zuwendungen.
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