Berlin: Obdachlose sollen Flüchtlingen aus der Ukraine weichen

Tausende Wohnungen in Berlin stehen leer, während tausende Menschen obdachlos sind. Mit hohem Engagement war es einer Freiwilligen-Initiative gelungen, zumindest gut 50 Obdachlosen die Unterkunft in einigen Wohnungen zu ermöglichen. Doch der Eigentümer hat nun andere Pläne.

Erst im Januar konnten Obdachlose in ein seit Langem unbewohntes Haus in der Habersaathstraße in Berlin-Mitte ziehen, nachdem sie zusammen mit der Initiative "Leerstand-Hab-ich-Saath" länger darum gekämpft hatten. Die Menschen benötigen unstrittig eine Unterkunft, sagte Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel (Grüne) der Deutschen Presse-Agentur damals und fügte hinzu, dass es eine temporäre Lösung sein sollte, da ein Kompromiss mit dem Eigentümer ausstehe. Der wolle das Gebäude abreißen und in Bauland umwandeln. An der guten Adresse in der Habersaathstraße 40-48 in Berlin-Mitte zwischen BND und Charité ein zweifellos profitables Unterfangen. Die 95 Wohnungen waren 1984 als Schwesternwohnheim der Charité mit öffentlichen Mitteln gebaut worden.


Dass die "temporäre Lösung" bereits wenige Monate später beendet werden soll, begründete der Eigentümer nun in einem Brief mit "veränderten Umständen in Europa" und der Flüchtlingslage in Berlin. Formuliert wie ein Gesetz der Wohltätigkeit sollen die jetzigen Bewohner schon zum 2. Mai die Schlüssel abgeben, damit hilfsbedürftige ukrainische Flüchtlinge einziehen können.


Allerdings könnte auch hinter diesem Schritt vielmehr Profitstreben stehen, mutmaßt Valentina Hauser von der Initiative “Leerstand-Hab-ich-Saath“. Denn während die Obdachlosen, nachdem die Initiative selbst für die Bewohnbarkeit des Gebäudes gesorgt hatte, für geringe Kosten dort unterkommen konnten, winken dem Besitzer durch Aufnahme der Ukrainer hohe Mieteinnahmen.

Die Zahl der Menschen in Wohnungsnot steigt in der Hauptstadt wie auch in anderen Ballungsräumen seit Jahren. Der Anblick obdachloser Menschen ist in einer reichen Volkswirtschaft umso schwerer zu ertragen, zumal wenn auf der anderen Seite Profit aus der Spekulation mit Wohnraum geschlagen wird, unter anderem durch Leerstand.
Offiziell darf man als Vermieter in Berlin eine Wohnung nicht länger als drei Monate leer stehen lassen, jedoch zeigt die Erfahrung, dass findigen Profiteuren offenbar genügend Schlupflöcher offen stehen.

Laut der Kampagne "Leerstand in Berlin-Mitte" der In­itia­ti­ve "Mietenwahnsinn Nord" gibt es allein im Berliner Norden mehrere Objekte, von denen einige seit Jahren ungenutzt sind. Das Bündnis macht auf Leerstand und Zweckentfremdung aufmerksam und kritisiert dabei auch die Stadt, die nichts oder zu wenig dagegen unternehme, da vorgesehene Bußgelder von bis zu 500.000 Euro selten erhoben würden.

Tausende Wohnungen stehen in Berlin-Mitte, wo viele Familien sich trotz Arbeit das Wohnen nicht mehr leisten können, leer. Laut einem Mikrozensus aus dem Jahr 2018 sollen gar knapp 7 Prozent der Berliner Wohnungen unbewohnt sein, doch könnte die Zahl geringer sein. Dass sich die Wohnungsproblematik immens verschärft hat, wissen Normalverdiener, die eine Wohnung suchen müssen, aus eigener Erfahrung. Auch die zahlreichen Demonstrationen gegen Verdrängung und Mietenwahnsinn sowie Petitionen gegen Leerstand oder zur Vergesellschaftung von Wohnungskonzernen machen diesen Missstand deutlich.



Schon vor gut einem Jahr bestätigte auch der Berliner Mieterverein, dass Leerstand ein wachsendes Problem ist. "Nach unserer Beobachtung nimmt der spekulative Leerstand seit gut einem Jahr massiv zu", sagte Rainer Wild der taz. Mehrere Initiativen fordern die Nutzung von seit über zehn Jahren leer stehenden Wohnungen mitten im Berliner Stadtgebiet.



"In einer Zeit, in der immer mehr Menschen sich ihre Miete nicht mehr leisten können und obdachlose Menschen in der Kälte hausen müssen, halten wir Leerstand für skandalös", erklärt Max Prause. Doch es lohnt sich für jene, denen Geld wichtiger ist als Gemeinnutz: "Die Preise in Berlin steigen jedes Jahr um fünf bis zehn Prozent."


 
In der Habersaathstraße gelang es dem Bündnis "Leerstand-Hab-ich-Saath" Ende letzten Jahres, dass Obdachlose in einige der 85 anhaltend verwaisten Wohnungen einziehen konnten. Frühere Versuche, auch durch Besetzung dagegen zu protestieren, waren unter anderem an Räumungen gescheitert, die vom Eigentümer, der Arcadia Estate GmbH, veranlasst worden waren.
Auch Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel drohte bereits im Jahr 2020 damit, dass eine Beschlagnahme geprüft werden soll, da der Leerstand untragbar sei und der Wohnraum aufgrund von Quarantäneverpflichtungen benötigt würde. Aufgrund des Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes (ASOG) kann spekulativ leer stehender Wohnraum für die Unterbringung Wohnungsloser beschlagnahmt werden, da Notunterkünfte keinen ausreichenden Schutz bieten. Doch dieses Engagement des Bezirksbürgermeisters versickerte offenbar, der Bezirk verwies auf angeblich ausreichende Unterkünfte, so die Initiativen.

Nach einer knapp zweiwöchigen Besetzung über Weihnachten und durch das ehrenamtliche Engagement der Initiative, die den Wohnblock mit Rauchmeldern, Möbeln und anderem ausgestattet sowie Leitungen und Spülkästen repariert hatte, fanden mehr als 50 Menschen, die bisher auf der Straße gelebt hatten, eine würdigere Unterkunft.

Am Mittwoch erfuhr die Initiative “Leerstand-Hab-ich-Saath” durch einen Brief der Hausverwaltung, dass es sich um "Winterhilfe für Obdachlose" gehandelt habe, die jetzt beendet werde. Man wolle Wohnraum für die "Ukraine-Hilfe" anbieten, "gemeinsam mit einem von Ukrainern geführten Unternehmen im Objekt", da die "geänderten Umstände in Europa und die Flüchtlingslage in Berlin ... aus unserer Sicht eine sofortige Hilfe" geböten. Die Initiative aber verweist auf die Vereinbarung zwischen Bezirksamt und Eigentümer, dass Obdachlose so lang bleiben können, bis es zum Abriss kommt. "Das hätte drei bis fünf Jahre dauern können", sagt die Sprecherin Valentina Hauser der Berliner Zeitung.

Laut Hauser geht es der Arcadia Estate GmbH aber auch hier um Profit: "Mit Geflüchteten kann man mehr Geld verdienen. Wir zahlen nur die Betriebskosten, bei Geflüchteten kann man Miete verlangen." Jedoch hätten Bezirksamt und die Sozialverwaltung von Senatorin Katja Kipping (Die Linke) versichert, dass "Geflüchtete nicht gegen Obdachlose ausgetauscht werden." Eine Schlüsselübergabe am kommenden Montag soll laut der Initiative nicht stattfinden.

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