Es zeigt sich bereits durch leere Stellen in den Regalen – dort, wo eigentlich Speiseöl, Mehl und daraus hergestellte Waren oder auch Toilettenpapier zu finden waren. Die Verfügbarkeit bestimmter Produkte scheint sich zu verändern. Gleichzeitig stieg die Nachfrage nach Speiseöl und Mehl in Deutschland aufgrund des Ukraine-Krieges. Nach Daten des Statistischen Bundesamtes war der Absatz von Speiseöl im Lebensmitteleinzelhandel in der Woche vom 7. bis 13. März mehr als doppelt so hoch wie im September 2021. Bei Mehl wurde im selben Zeitraum sogar eine Verdreifachung der Nachfrage festgestellt. Russland und die Ukraine zählen zu den wichtigsten Getreideexporteuren der Welt. Die Ukraine ist zudem ein bedeutender Produzent von Speiseöl, insbesondere von Sonnenblumenöl.
Trotz des russischen Ausfuhrstopps für Getreide werde es mittelfristig kein Problem mit der Versorgung in Deutschland geben, sagte der Vizepräsident des Handelsverbandes Deutschland (HDE), Björn Fromm, im ZDF.
Sorge um Mehlknappheit sei hierzulande nicht angebracht, erklärte auch Udo Hemmerling, stellvertretender Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes, im Interview mit dem Spiegel. Denn Mehl wird überwiegend aus einheimischem Getreide hergestellt oder kommt aus Tschechien oder Frankreich. "Wir haben in Deutschland so viel Getreide, dass wir jährlich acht Millionen Tonnen Weizen nach Nordafrika und in arabische Länder exportieren."
Allerdings gebe es bei Sonnenblumenöl in der Tat ein Problem bezüglich der Verfügbarkeit, weil sehr viel davon aus der Ukraine kommt. "Aber Rapsöl ist doch eine gute Alternative. Und da haben wir genug aus heimischem Anbau", beschwichtigte Hemmerling.
Insgesamt mache die Neigung der Verbraucher zu Hamsterkäufen die Verfügbarkeit schwieriger. Beispielsweise haben sich die Produzenten für Schweinefleisch den niedrigen Preisen angepasst – die Schweinehaltung ging zurück. Nun sind die Preise wieder gestiegen, aber das Futter sei auch teurer geworden, die Produktion lohne sich nicht. Deshalb könne es in der Grillsaison passieren, "dass nicht immer ein Schnitzel im Regal liegt, wenn die Nachfrage steigt."
"Das ist noch kein Versorgungsengpass."
Dazu käme das Konsumentenverhalten: "Wenn sich herumspricht, dass Koteletts knapp sind, und alle machen schnell das Tiefkühlfach voll, dann entsteht wieder dieser Hamster-Effekt und es ist noch weniger Ware da", warnt der Experte. Futter für Rinder stammt zum Großteil aus heimischem Anbau, anders sei das bei Geflügel:
"Aber bei Eiweißfutter oder Mais für Geflügel spielen Lieferengpässe durch den Krieg und logistische Probleme infolge der Coronapandemie eine Rolle. Am Ende gibt es immer Futter, aber eben zu einem sehr hohen Preis."
Außerdem gebe es in der EU einen Mangel an Lkw-Fahrern, von denen viele aus der Ukraine stammen und jetzt dort kämpfen würden. Auch sei Verpackungsmaterial teilweise knapp.
"Wir haben keinen wirklichen Versorgungsmangel. Aber wir müssen uns daran gewöhnen, dass nicht alles immer verfügbar ist."
Mit Blick auf die diesjährige Ernte gibt Hemmerling Entwarnung, die werde wohl durchschnittlich verlaufen, da der Mineraldünger, der vor allem aus Osteuropa importiert wird, größtenteils bereits eingekauft sei. Wenn aber in der EU die Gasversorgung gekappt oder rationiert würde, hätten wir ein erhebliches Versorgungsproblem mit Düngemitteln, so der Experte:
"Im Worst Case müssten wir 2023 mit einem Drittel weniger Getreideernte rechnen. Dann würden Brotgetreide und Gemüse noch mal deutlich teurer, weil die Qualität hier direkt von der Düngung abhängt."
Der Spiegel hielt kürzlich fest: "Wörter, die sehr lange keine Rolle mehr gespielt haben in der deutschen Wirklichkeit, kehren zurück: Verzicht, Entbehrung, Opferbereitschaft, Mangel." Nach Ansicht des früheren Bundespräsidenten Joachim Gauck können hierzulande Opfer gebracht werden. "Wir können auch einmal frieren für die Freiheit. Und wir können auch einmal ein paar Jahre ertragen, dass wir weniger an Lebensglück und Lebensfreude haben", verkündete der Altpräsident, der mit einem Ehrensold von mehr als 210.000 Euro pro Jahr ein vergleichsweise hohes Auskommen hat, in der ARD-Talkshow Maischberger.
Umfragen zufolge schränken sich viele Menschen in Deutschland bereits ein. Etwa jeder siebte Erwachsene kann nach eigenen Angaben angesichts der gestiegenen Teuerung – 7,3 Prozent im März – kaum noch die Lebenshaltungskosten bestreiten, wie eine Erhebung des britischen Umfrageinstituts YouGov im Auftrag der Postbank ergab. Von den Befragten aller Haushalten mit einem monatlichen Nettoeinkommen unter 2500 Euro gaben knapp 24 Prozent an, sie seien wegen gestiegener Preise kaum noch in der Lage, die regelmäßigen Ausgaben zu stemmen. Im Januar sagten dies noch 17 Prozent aus dieser Gruppe. Die Inflation zehrt an der Kaufkraft der Menschen.
Zwei milliardenschwere Pakete hat die Bundesregierung geschnürt, um die Menschen angesichts der Energie- und Spritpreise zu entlasten. Auf Dauer jedoch wird der Staat es allein mit Geld nicht richten können. "Der Ukraine-Krieg macht uns alle ärmer, zum Beispiel weil wir mehr für importierte Energie zahlen müssen", sagte der FDP-Politiker und Finanzminister Lindner Anfang April der Bild am Sonntag. "Diesen Wohlstandsverlust kann auch der Staat nicht auffangen."
"Eine weitere Folge des Ukraine-Kriegs ist das Ende der Friedensdividende in Form fallender Rüstungsausgaben", analysierte Ifo-Präsident Clemens Fuest. Der Wehretat wird deutlich erhöht. "Das bedeutet Kürzungen öffentlicher Leistungen in anderen Bereichen und höhere Steuern, also letztlich weniger Wohlstand", sagte Fuest.
Laut Deutsche-Bank-Fondstochter DWS ist nach dem Handelsstreit zwischen China und den USA und nach der Corona-Krise, der Ukraine-Krieg schon der dritte große Rückschlag für die Globalisierung und die globalen Lieferketten in den letzten Jahren. Der Politologe Philipp Lepenies erklärte jüngst, dass die "Globalisierungseuphorie" der 90er Jahre, wie er es nennt, abebbt.
"Die neoliberale Markterzählung geht davon aus, dass der höchste Grad der Freiheit der der freien Konsumentscheidung ist", sagte der Leiter des Forschungszentrums für Nachhaltigkeit am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin im Sender SWR2. Auf einmal müssten sich Staat und Bürger "die Folgen des eigenen Konsums viel dramatischer klarmachen als je zuvor."
Jahrzehntelang profitierte Deutschland vom freien Welthandel, der den Zugang zu billigen Produkten und Rohstoffen ermöglichte. Das hielt neben anderen Faktoren die Inflationsraten auf vergleichsweise niedrigem Niveau.
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