Nach den eindeutigen Abstimmungsergebnissen am 7. April im Deutschen Bundestag zu allen individuellen Anträgen einer möglichen Impfpflicht ab Herbst 2022 in Deutschland teilte Bundeskanzler Olaf Scholz im Anschluss an die Parlamentssitzung seine Einschätzung zum weiteren Verlauf einer möglichen Folgediskussion mit:
"Es gibt im Bundestag keine Gesetzgebungsmehrheit für eine Impfpflicht. Das ist die Realität, die wir jetzt als Ausgangspunkt für unser Handeln nehmen müssen."
Daraus ergebe sich für ihn eine Situation, die "keine Basis für einen erneuten Anlauf" für ein Impfpflichtgesetz in Deutschland besitze, so Scholz nach Beratungen mit den Ministerpräsidentinnen und -präsidenten in Berlin. Die Wahrscheinlichkeit, dass über fraktionsübergreifende Gespräche "noch irgendetwas erreicht werden könnte", schätzte er daher als "sehr gering" ein. Scholz bemerkte:
"Ich bin unverändert davon überzeugt, dass es richtig wäre, wir hätten eine Impfnachweispflicht in Deutschland."
Der Kanzler kündigte an, dass die Bundesregierung "alles dafür tut, dass wir trotzdem noch mehr Bürgerinnen und Bürger dieses Landes davon überzeugen, sich impfen zu lassen". Gesundheitsminister Lauterbach erläuterte dem Deutschlandfunk (DLF) vor der am Freitagvormittag angekündigten Pressekonferenz mit RKI-Leiter Lothar Wieler in Berlin seine Vorstellungen zu erforderlichen Herbststrategien. Im Interview legte Lauterbach dar, dass er mit einer notwendigen Verschärfung des Infektionsschutzgesetzes (IfSg) im Herbst rechne. Der Minister befürchte demnach "schwierige Zeiten für die Bevölkerung spätestens im Herbst", sollte es möglicherweise zu einer neuen Corona-Welle kommen. Angesichts der nun weiter bestehenden Impflücke könne man etwa nicht ohne eine Maskenpflicht in den Herbst hineingehen. Lauterbach wörtlich:
"Da sehe ich jetzt schon die Notwendigkeit, dass wir den Instrumentenkasten wieder ausdehnen."
Auf die Frage, ob es nochmals in diesem Jahr zu einer "Impfpflicht-Diskussion" in der Politik kommen würde, erläuterte der Minister, dass man sich "Gesprächen nie verwehren" dürfe. Da sich die CDU nach wochenlangen Gesprächen aus "staatstragenden Gründen" schon bei der gestrigen Abstimmung im Bundestag "hätte bewegen müssen", schätze er momentan die Möglichkeit, "dass irgendetwas über solche Gespräche erreicht werden könnte", als gering ein.
Er fokussiere sich daher jetzt auf eine "diesmal wirklich wirksame" Impfkampagne der Bundesregierung:
"Wir müssen noch einmal eine wirklich wirksame Impfkampagne gezielt an die richten, die zwar bisher sich nicht haben impfen lassen, aber im Prinzip bereit sind. Die müssen erreicht werden, da dürfen wir nicht aufgeben. Da müssen wir übrigens auch kreativer werben. Da bereiten wir gerade etwas vor."
Insbesondere aufgrund der Erkenntnisse der COSMO-Studien (COVID-19 Snapshot Monitoring) wäre dies in der Gruppe der Bürger mit "Migrationshintergrund" notwendig. In der gemeinsamen Pressekonferenz mit RKI-Leiter Wieler sprach Lauterbach von "Subgruppen", die "setting-spezifische Kampagnen" benötigen würden. Lauterbach merkte im DLF-Interview an, dass vorherige Impfkampagnen der Regierung nicht so erfolgreich gewesen wären, "so wie ich mir das gewünscht hätte". Da das aktuell geltende Infektionsschutzgesetz am 23. September 2022 auslaufen würde, müsse vorher seitens der Politik reagiert werden, um sicher in den Herbst gehen zu können. Der "Instrumentenkasten" müsse daher wieder hervorgeholt werden:
"Wir haben jetzt die Lockerungen gemacht, die man machen kann, aber da sind wir am Ende der Fahnenstange angekommen. Es muss jetzt zu einem Ende kommen bei den Lockerungen."
Der gestrige Tag im Bundestag sei laut Lauterbach "ein schwarzer Tag" für die Menschen in Deutschland gewesen. Der Minister wörtlich:
"Wir müssen das Manöver noch gut auswerten. Das war gestern, was die Corona-Politik angeht, für die Bevölkerung ein schwarzer Tag, aber nach einem schwarzen Tag dringt Licht durch einen Spalt hinein. Wir werden jetzt an den Maßnahmen weiter arbeiten und werden noch mal auf die Bevölkerung zugehen, mit einer besseren Impfkampagne."
Auf der Pressekonferenz nannte Lauterbach das Abstimmungsergebnis eine "klare und bittere Niederlage der Impfpflichtbefürworter". Der Minister erklärte den anwesenden Journalisten erneut seine Theorie: "90 Prozent des medizinischen Nutzens durch eine Impfpflicht ab 18 hätte man auch mit einer Impfpflicht ab 60 erreicht." Daraus würde sich die Situation ergeben, dass "wir" im Herbst "ein drittes Mal nicht optimal" in eine "mögliche" dritte Welle gehen würden, da "eine erneute Welle zu erwarten" sei.
Der Minister bat die Menschen in Deutschland darum, sich vor einer Osterreise unbedingt testen zu lassen, damit während der Urlaubszeit nicht "Kontakte die Zahlen wieder ansteigen lassen". Die vierte Dosis oder zweite Boosterung würde weiterhin "viel zu wenig genutzt", obwohl eine Empfehlung der STIKO und auch durch ihn vorliegen würde. Daher appelliere auch er für die vierte Impfung.
"Wir blicken nach vorn. Das war eine schlechte Woche für den Schutz der Bevölkerung vor der Corona-Infektion, aber wir geben erstens nicht auf. Wir machen weiter, und wir müssen auch zurückblicken. Bisher ist es auch nicht immer schlecht gelaufen."
Diese Aussage bezog sich auf die Quote der Gesamtsterblichkeit in Deutschland im Vergleich zu der für Lauterbach weiterhin zu niedrigen Impfquote, der existierenden "großen Impflücke". Auf die Frage eines Journalisten, ob zeitnah neue Gespräche mit der CDU zu einer erneuten Impfpflicht-Diskussion erfolgen würden, erwiderte Lauterbach: "Bei der Klarheit der Niederlage im Deutschen Bundestag fehlt mir die Fantasie, wie sich das (die Ergebnisse) verändern sollte."
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