Russland-Sanktionen: BASF-Chef warnt vor "Zerstörung unserer gesamten Volkswirtschaft"

Die Kritik an einem Energie-Embargo gegen Russland nimmt zu. BASF-Vorstandschef Martin Brudermüller warnt vor einem Boykott russischen Erdgases. Vielen Deutschen sei der Ernst der Lage offenbar noch gar nicht klar – unser Wohlstand sei nicht "in Stein gemeißelt".

Im Interview mit der FAZ drückt BASF-Vorstandschef Martin Brudermüller seine Sorge vor einem möglichen EU-Boykott von Öl- und Gasimporten aus Russland aus – der Chemieriese ist einer der größten Einkäufer und Verbraucher dieser Energieträger. 

Einleitend sagt er mit Blick auf ausufernde Energie: 

"Ich hoffe, dass die Sanktionen wirken und der Krieg so bald wie möglich beendet wird. Dennoch ist es eine Tatsache, dass die russischen Gaslieferungen bisher die Basis für die Wettbewerbsfähigkeit unserer Industrie sind. Jetzt müssen wir russisches Gas mit Hochdruck ersetzen. Dabei müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass zum Beispiel Flüssiggaslieferungen aus den USA zu deutlich höheren Energiepreisen führen werden und nicht auf Knopfdruck umgesetzt werden können – eine Herausforderung für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen und europäischen Industrie."

Der 60-Jährige wird noch konkreter und macht deutlich, in welch schwieriger Wirtschaftslage sich Deutschland befindet:

"Es reicht nicht, dass wir jetzt alle mal die Heizung um 2 Grad runterdrehen. Russland deckt 55 Prozent des deutschen Erdgasverbrauchs. Wenn die über Nacht wegfallen, dann würde hier vieles einbrechen, wir würden Arbeitslosigkeit auf hohem Niveau bekommen, viele Unternehmen würden insolvent. Das würde zu irreversiblen Schäden führen. Um es klar zu sagen: Das könnte die deutsche Volkswirtschaft in ihre schwerste Krise seit Ende des Zweiten Weltkriegs bringen und unseren Wohlstand zerstören. Vor allem für viele kleine und mittelständische Unternehmen könnte es das Aus bedeuten. Das können wir nicht riskieren!"

Die Folgen für sein Unternehmen beschreibt Brudermüller eingehend: Bei einem sofortigen Lieferstopp von russischem Erdöl und -gas müsste BASF am Hauptstandort Ludwigshafen "die Produktion zurückfahren oder ganz herunterfahren, wenn die Versorgung deutlich und dauerhaft unter 50 Prozent unseres maximalen Erdgasbedarfs sinkt". Auf Ökonomen und Politiker, die einen schnellen Energieboykott befürworten, reagiert Brudermüller allergisch:

"Lassen Sie mich das in aller Deutlichkeit sagen: Die größten Wortführer sind diejenigen, die an dieser Stelle keine Verantwortung tragen. Wenn Sie Verantwortung haben für viele Menschen, dann ist das anders. Wir stellen hier in Ludwigshafen auch Produkte für die Pharmaindustrie und andere lebenswichtige Bereiche her. Das ist alles sehr viel komplexer, als das von manchen in Modellen skizziert wird."

Auf die skurrile Frage der FAZ: "Wenn wir Putin jetzt gewähren lassen und einen Energieboykott scheuen, wird dann am Ende nicht auch der wirtschaftliche Schaden noch größer sein, weil er weitermacht und noch mehr Länder angreift?" antwortet der Schwabe:

"So schwarz-weiß ist das nicht. Es ist doch völlig unklar, ob ein Boykott den Krieg wirklich beenden würde. Ich frage Sie noch einmal: Wollen wir sehenden Auges unsere gesamte Volkswirtschaft zerstören? Das, was wir über Jahrzehnte hinweg aufgebaut haben? Ich glaube, ein solches Experiment wäre unverantwortlich. Und wenn den Bürgern die wahren Konsequenzen eines Energieboykotts klar wären, würde sich die Mehrheit dagegen aussprechen." 

Bezüglich seiner Einschätzung, inwieweit die Deutschen die ganze Entwicklung unterschätzen, hält Brudermüller fest, dass viele hierzulande falsche Vorstellungen der Gesamtlage haben. Oft stellen die Leute "gar keinen Bezug her zwischen einem Boykott und ihrem eigenen Job." Quasi, "als ob unsere Wirtschaft und unser Wohlstand in Stein gemeißelt wären". Die hohen Gaspreise für die Produktion von Ammoniak verringern die Düngemittelerzeugung massiv. Für die Nahrungsmittelversorgung sei das ein Riesenproblem:

"Das ist eine Katastrophe, und die werden wir nächstes Jahr noch deutlicher spüren als dieses. Denn die Düngemittel, die die Landwirte dieses Jahr brauchen, haben sie bereits größtenteils eingekauft. 2023 wird es eine Knappheit geben, und dann werden ganz besonders die armen Länder etwa in Afrika es sich nicht mehr leisten können, die Grundnahrungsmittel einzukaufen. Es drohen Hungersnöte."

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