Im Dezember des Vorjahres veröffentlichte der Bundestag ein bis dato eher unbekanntes Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste im Fachbereich "Verfassung und Verwaltung". Das Papier trägt den Titel: "Allgemeine COVID-19-Impfpflicht Sanktionsmöglichkeiten und Verwaltungsvollstreckung (WD 3 - 3000 - 199/21)". In der Veröffentlichung heißt es wörtlich:
"Gefragt wurde nach dem verfassungsrechtlichen Rahmen für eine allgemeine Impfpflicht gegen COVID-19. Insofern wird sowohl auf mögliche Regelungsorte als auch auf die maßgeblichen Aspekte einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung der damit verbundenen Grundrechtseingriffe eingegangen."
Unter Punkt 3 "Sanktionsmöglichkeiten und Verwaltungsvollstreckung" empfehlen bzw. formulieren die Autoren folgende zurzeit noch theoretischen Möglichkeiten für kommende Gesetzgebungen: "Zur Durchsetzung einer durch Gesetz oder Rechtsverordnung statuierten Impfpflicht bestünden unterschiedliche Möglichkeiten, welche aufgrund der bislang nicht bestehenden Regelung im Folgenden abstrakt dargestellt werden." Des Weiteren werden folgende Vorschläge formuliert:
"Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine in § 73 Absatz 1 oder Absatz 1a Nummer 1 bis 7, 11, 11a, 12 bis 20, 22, 22a, 23 oder 24 bezeichnete vorsätzliche Handlung begeht und dadurch eine in § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannte Krankheit, einen in § 7 genannten Krankheitserreger oder eine in einer Rechtsverordnung nach § 15 Absatz 1 oder Absatz 3 genannte Krankheit oder einen dort genannten Krankheitserreger verbreitet."
Der Begriff "Handlung" bezeichnet laut dem Gutachten "jedes vom menschlichen Willen beherrschte oder beherrschbare, sozial erhebliche Verhalten, sodass auch Unterlassungen vom Handlungsbegriff umfasst sein können". Sollte es in Deutschland zu einer gesetzlichen Impfpflicht kommen, würde "die bewusste Zuwiderhandlung der Impfpflicht unter diese Voraussetzungen fallen". Dies bedeutet, dass die Grundlage einer Bestrafung nach "§ 73 Absatz 1 des Infektionsschutzgesetzes (IfSg)" damit erfüllt wäre. Auf Seite 5 heißt es zum Thema "Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit":
"Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit dieser Sanktionsregelung werden, soweit ersichtlich, nicht erhoben. Es sind auch keine Gründe ersichtlich, aus denen sich diese gerade im Falle einer Corona-Impfpflicht ergeben könnten.
Wenn eine COVID-19-Impfpflicht durch Gesetz eingeführt würde, stünde es dem Gesetzgeber frei, entsprechende Straf- oder Ordnungswidrigkeitstatbestände bei Zuwiderhandlung zu definieren."
Unter Verwaltungszwang versteht das Gesetz die "Erzwingung einer behördlich angeordneten Handlung, Duldung oder Unterlassung". Zu diesem Punkt (3.2 Verwaltungsvollstreckung, Seite 5) heißt es in der Veröffentlichung:
"Neben den spezifischen Sanktionsmöglichkeiten besteht sowohl für eine Impfpflicht durch Gesetz als auch für eine durch Rechtsverordnung bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen die Möglichkeit ihrer Durchsetzung durch Mittel des Verwaltungszwangs. Zum Teil wird die Möglichkeit des Einsatzes von Verwaltungszwang zur Durchsetzung der Impfpflicht als ultima ratio, also letztmögliches Mittel, gesehen."
Der Status des Genesenen fiele bis dato nicht unter eine solche Ausnahmeregelung, da es in dem Gutachten weiter heißt, dass der Gesetzgeber Ausnahmen "für Menschen mit anhaltender Immunisierung aufgrund Genesung von einer Ansteckung mit dem Corona-Virus" zulassen, also ermöglichen müsse. Die Auswahl eines möglichen Zwangsmittels liegt laut den Autoren "im Ermessen der Behörde, wobei diese den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu wahren hat". Dazu heißt es:
"Wenn es sich, wie bei der Impfpflicht, um eine Handlung handelt, die nicht durch einen Dritten vertreten werden kann und die nur vom Willen des Pflichtigen abhängt, kann dieser durch ein Zwangsgeld bis zu einer Höhe von 25.000 Euro zur Vornahme der Handlung angehalten werden. ... Kann ein Zwangsgeld beim Pflichtigen nicht eingebracht werden, so ist unter weiteren Voraussetzungen auch eine Ersatzzwangshaft möglich (§ 16 VwVG)".
Des Weiteren wird der Verfassungsjurist Christoph Degenhard von den Autoren des Gutachtens zu diesem Punkt zitiert:
"Es wäre mit der Würde des Einzelnen unvereinbar, wenn man Impf-Unwillige wie Autofahrer zur Blutabnahme mit unmittelbarem Zwang zur Impfung bringen würde."
Die Webseite des Deutschen Bundestags informiert, dass die Wissenschaftlichen Dienste sich in "zehn thematisch spezialisierte Fachbereiche sowie den Fachbereich Europa" gliedern. Die Veröffentlichungen dienen den Abgeordneten des Deutschen Bundestages und sollen "bei der Ausübung ihres Mandates" argumentativ unterstützen. So heißt es weiter:
"Im Auftrag der einzelnen Abgeordneten und der Gremien des Deutschen Bundestages recherchieren und analysieren die Wissenschaftlichen Dienste Informationen und nehmen auf Wunsch auch gutachterlich Stellung."
Die Autoren des Gutachtens werden auf der Seite der Bundesregierung, wie auch in der Veröffentlichung, nicht genannt.
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