Zwei Jahre Pandemie-Management: Wie die Politik die "Kliniküberlastung" selbst produzierte

Trotz "Freedom Day" ist ein Ende aller Corona-Maßnahmen in Deutschland nicht in Sicht. Mit 2G, 3G, Testpflicht in Schulen, Masken und Impfpflicht sollen die Bürger das Gesundheitssystem weiter entlasten. Doch die Probleme hat nicht Corona produziert, sondern die Politik selbst.

Eine Analyse von Susan Bonath

Mit COVID-19-Patienten überfüllte Kliniken, Kranke, die nicht mehr behandelt werden könnten: Dieses fiktive Horrorszenario ist seit Mitte März 2020 die Mutter aller Corona-Maßnahmen-Begründungen in Deutschland. Kontakt- und Ausgangssperren, Kurzarbeit, Kultur- und Schulschließungen, Masken- und Testpflicht,  später "3G" und "2G" in allerlei Ausprägungen, Impfpflicht im Gesundheitswesen und angestrebte Ausweitung einer solchen sollten und sollen vor allem eines bewirken: das Gesundheitssystem vor einer Überlastung schützen. Allerdings: Die Kliniken waren nie flächendeckend mit Patienten überlastet und sind es bis heute nicht – im Gegenteil.

Steuermilliarden für Kliniken versickert

Das konnte die damalige Bundesregierung unter Kanzlerin Angela Merkel und Gesundheitsminister Jens Spahn (beide CDU) im März 2020 natürlich noch nicht wissen. Dass sie den Kliniken ab 16. März 2020 – noch vor dem Beginn des ersten Lockdowns am 23. März 2020 – verordneten, planbare Operationen und Eingriffe zu verschieben, leuchtete angesichts der unbekannten Gefahr zunächst ein.

Die Mehrheit der Bevölkerung begrüßte ganz sicher die Finanzspritze von fast einer dreiviertel Milliarde Euro für zusätzliche Intensivbetten. Auf Zustimmung stieß wohl auch ein drei Milliarden Euro schweres Investitionsprogramm für die Krankenhäuser.

Ganze 13,4 Millionen Euro zahlte das Land Berlin seinem Klinikkonzern Vivantes für den Aufbau eines Corona-Notfallkrankenhaus mit 1.000 Betten; pro Monat flossen weitere 1,2 Millionen Euro aus dem Steuertopf in dieses Projekt. Nur genutzt worden war das Areal nie, als man es rund anderthalb Jahre später wieder abbaute. Und die betreibbaren Intensivbetten in Deutschland wurden nicht mehr, sondern weniger.

Kürzer gesagt: Die personelle Situation in der Pflege hat sich seit März 2020 weiter zugespitzt, während der Bund Milliarden-Finanzspritzen aus dem Steuertopf unnütz verpulverte. Und während das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) weiterhin keine Anstalten erkennen lässt, in Personal sinnvoll zu investieren und das Versickern von Steuermitteln zu verhindern, sollen alle Einwohner Deutschlands mit weiteren, vielleicht dauerhaften Einschränkungen ihrer Grundrechte – nun auch durch eine anvisierte weitgehende Impfpflicht – die politisch forcierten Mängel im Gesundheitswesen ausgleichen.

Rapide gesunkene Patientenzahlen

Doch der Reihe nach: Dass die Patientenzahlen sowohl im ersten als auch im zweiten Pandemiejahr rapide abgenommen haben, belegen die Daten des Instituts für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK). Demnach sank die Zahl der behandelten "Fälle" von 19,24 Millionen im Jahr 2019 auf nur noch 16,78 Millionen 2020. Im Jahr darauf, also 2021, gingen sie sogar noch weiter auf 16,67 Millionen zurück. Dies ist eine Abnahme um mehr als 13 Prozent. An der politischen Vorgabe vom März 2020, planbare Eingriffe zu verschieben, kann das nicht liegen. Denn diese galt vorerst nur gut zwei Monate.

Auch von einem übermäßigen Patientenansturm auf Intensivstationen konnte nie die Rede sein. Laut InEK-Daten hatten diese im Jahr 2019 rund 1,76 Millionen Behandlungsfälle registriert. Im ersten Pandemiejahr verzeichneten sie gut 1,7 Millionen und damit rund 60.000 Fälle weniger. Ein leichter Anstieg auf 1,87 Millionen Behandlungsfälle im Jahr 2021 ist weitgehend auf die Altersgruppe der über 80-Jährigen zurückzuführen, darunter viele Menschen mit einem hohen Pflegegrad. Allein mit COVID-19 ist dies, jedenfalls den Daten zufolge, nicht zu erklären.

Trotz Pandemie: Tausende Intensivbetten abgebaut

Die Zeitreihen-Diagramme der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) zeigen derweil einen drastischen Abbau von Intensivbetten in den beiden Pandemie-Jahren. Am Equipment liegt das nicht, sondern an dem altbekannten Problem: Personalmangel. Im Oktober vergangenen Jahres gab die DIVI dies als Grund für einen fortbestehenden dramatischen Notstand an: Jedes dritte Bett sei gesperrt, weil die Pflegekräfte fehlten, hieß es mitten in der Pandemie.

Die Entwicklung der Situation auf den Intensivstationen ist im DIVI-Register gut nachvollziehbar. Beispielsweise am 1. Juli meldete die DIVI insgesamt 20.659 belegte Betten in den Stationen für Erwachsene, darunter lediglich 324 mit COVID-19-Patienten. Hinzu listete sie 10.283 verfügbare freie Betten auf – insgesamt also knapp 31.000 Betten, in denen sofort Patienten versorgt werden könnten.

Am 5. August 2020 meldete die DIVI neben 20.057 belegten und 8.230 freien Betten zusätzlich eine Notfallreserve von mehr als 12.200 Betten. Für die freien Betten erhielten die Kliniken zu dieser Zeit eine Geldpauschale vom Bund. Scheinbar hatten die Finanzspritzen somit tatsächlich dazu geführt, dass die anvisierten 40.000 Intensivbetten nun zur Verfügung stehen – aber eben nur scheinbar.

Mit der Umstellung der Förderung im November, weg von freien Betten und hin zur Auslastung der Intensivstationen, begannen schlagartig die freien Kapazitäten zu sinken. Am 20. Dezember 2020 meldete die DIVI knapp 20.000 belegte Betten auf Erwachsenen-Stationen, aber nur noch etwas mehr als 4.000 freie. Die "Notfallreserve" wurde noch mit knapp 11.000 Betten angegeben. Von Juli bis Dezember 2020 war damit die Anzahl angeblich sofort betreibbarer Betten für Erwachsene von 31.000 auf 24.000 gesunken – inklusive Notfallreserve sank sie von rund 40.000 auf 35.000. Damals wurden dort mehr als 5.000 Patienten mit einem positiven Corona-Test versorgt.

Dies war nicht das Ende der Abwärtsspirale. Ein Jahr später, am 21. Dezember 2021, waren noch rund 19.600 belegte und gut 2.500 sofort betreibbare freie Betten angegeben – ein Kapazitätsverlust um weitere fast 2.000 verfügbare Behandlungsplätze. Auch die gemeldete Notfallreserve schrumpfte erneut von 11.000 auf rund 8.200 Betten.

Merkwürdigerweise erreichte das Patientenaufkommen in den Intensivstationen ausgerechnet inmitten der wütenden Omikron-Welle einen pandemiehistorischen Tiefpunkt: Am 21. März 2022 verzeichnete die DIVI nicht einmal 18.300 erwachsene Patienten, die dort behandelt werden mussten. Hinzu kamen rund 3.200 freie, sofort verfügbare Betten. Orientiert man sich an den Meldezahlen, schrumpfte die Anzahl dieser nutzbaren Betten von Juli 2020 bis März 2021 von mehr als 31.000 auf noch 21.500.

Dauernotstand in Kliniken seit Jahren

Dass die Kliniken auf Kante genäht sind, pfeifen die Spatzen spätestens seit der Einführung des vielfach von Gewerkschaften und Patientenverbänden beklagten Fallpauschalen-Systems vor fast 20 Jahren von den Dächern. In fast jeder Grippesaison war in den Medien von Engpässen in Kliniken zu lesen, wie 2013 im Raum Köln, oder 2015 bundesweit. Auch die Grippewellen 2017 und 2018 brachten die Krankenhäuser an ihre Grenzen.

Das Problem ist also nicht neu. Bereits vor neun Jahren meldete der Tagesspiegel, dass bundesweit 70.000 Pflegekräfte fehlten. Kurz vor Beginn der Pandemie brachte der NDR einen Beitrag über heillos überforderte Intensivstationen in Deutschland.

Erfolglose Mini-Maßnahmen

Gesundheitsversorgung gehört zu den Pflichtaufgaben des Staates. Dafür zahlen die Menschen Steuern und Abgaben. Die COVID-19-Pandemie hätte ein Startschuss sein können, endlich für ausreichend Fachpersonal zu sorgen. In den zwei Jahren Pandemie hätte das BMG benötigte Kapazitäten, unter Berücksichtigung der Alterung der Gesellschaft, berechnen lassen können, um dann mit spürbaren Lohnsteigerungen und Prämien ausgestiegene Fachkräfte zurückzuholen.

Denkbar wären zudem Aus- und Weiterbildungsoffensiven und gesetzliche Vorgaben an private Klinikkonzerne, bestimmte Leistungen mit entsprechendem Personal anzubieten. Was Privatiers nicht leisten, müsste schließlich der Staat selbst übernehmen.

Was von all dem ist seit März 2020 geschehen? BMG-Sprecher Andreas Deffner sprach gegenüber der Autorin von "einer Fülle von Maßnahmen, um eine bessere Personalausstattung in der Kranken- und Altenpflege zu erreichen". Er nannte Beispiele für entsprechende Gesetze der letzten Jahre.

So trat demnach bereits Anfang 2019 das sogenannte "Pflegepersonal-Stärkungsgesetz" in Kraft mit angeblich "einer Vielzahl von Maßnahmen" mit dem "Ziel, durch eine bessere Personalausstattung und bessere Arbeitsbedingungen in der Pflege für eine spürbare Entlastung [...] zu sorgen". Er nannte das Pflegebudget, wonach seit 2020 eine dauerhafte "Pflege am Bett" unabhängig von den Fallpauschalen über ein Budget vergütet werde.

Außerdem erwähnte Deffner die 2018 eingeführten Personaluntergrenzen unter anderem in der Intensivpflege, eine (leichte) Erhöhung von Ausbildungsvergütungen, Projekte zur Gewinnung von Pflegekräften aus dem Ausland sowie zur Digitalisierung. Das alles geschah vor 2020 – offensichtlich mit mäßigem Erfolg.

Schließlich, so Deffner, bekomme das Pflegepersonal in öffentlichen Einrichtungen seit Oktober 2020 bis zu 4,5 Prozent mehr Gehalt, in der direkten Pflege teils bis zu 8,7 Prozent. Zudem nannte er eine sogenannte Corona-Sonderzahlung für Angestellte im öffentlichen Dienst Ende 2020. Nicht in deren Genuss kamen allerdings alle, die bei einem privaten Träger arbeiteten.

Immer weniger Kliniken trotz alternder Gesellschaft

Bekannt ist außerdem, dass allein im ersten Corona-Jahr in Deutschland mindestens 20 Kliniken ganz oder teilweise geschlossen wurden. Genaue Zahlen lägen dem BMG aber immer noch nicht vor, so Deffner. Er verlinkte auf eine Tabelle des Statistischen Bundesamtes, die allerdings noch keine Daten für die Pandemie-Zeit enthält.

Demnach sank die Zahl der Krankenhäuser in der Bundesrepublik von mehr als 2.400 im Jahr 1991 auf gut 1.900 im Jahr 2019. Gab es vor 30 Jahren noch rund 665.500 Betten, waren es vor Beginn der Pandemie noch knapp 500.000 – ein Schwund um 25 Prozent. Zugleich nahmen die jährlichen Behandlungsfälle in diesem Zeitraum erwartbar zu. Zählten die Kliniken 1991 noch 14,6 Millionen Fälle, waren es zur Jahrtausendwende 17,3 Millionen und 2019 demnach 19,4 Millionen.

Bemerkenswert ist die gleichzeitige Halbierung der durchschnittlichen Behandlungsdauer pro Patient in dieser Zeit von 14 auf sieben Tage. Dies könnte mit dem 2003 eingeführten Fallpauschalen-System zusammenhängen. Denn die Kliniken erhalten ihr Geld pro Fall, nicht nach der Behandlungsdauer. Es leuchtet ein, dass sie Ausgaben vermeiden wollen und darum Kranke frühzeitig entlassen. Dann werden Betten frei für neue "Fälle", die die Kasse klingeln lassen.

Mit anderen Worten: Deutschland war in die Pandemie mit einem personell mangelhaft ausgestatteten Gesundheitssystem gestartet, und allen verfügbaren Daten zufolge hat sich der Mangel zuletzt weiter verschärft. Echtes Bestreben, den Mangel wirksam zu beheben, ist auch seitens der jetzigen Bundesregierung bisher nicht erkennbar. Im Gegenteil: Mit der Corona-Impfpflicht für Beschäftigte im Gesundheitswesen dürfte die Personaldecke in den nächsten Monaten noch dünner werden.

Offensichtlich erwartet die Bundesregierung nun Opfer vom Bürger für das Versagen des Staats, der seiner Aufgabe augenscheinlich mangelhaft nachkommt, für ausreichende medizinische Kapazitäten zu sorgen.

RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.

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Anmerkung: In einer früheren Version des Textes hieß es, Berlin habe Vivantes 13,4 Milliarden Euro gezahlt. Tatsächlich waren es 13,4 Millionen. Wir bitten für diesen Fehler um Entschuldigung.