von Felicitas Rabe
Die Kundgebung am Samstag für die Freilassung und gegen die Auslieferung von Julian Assange, die unter der dem Motto "Alle für Assange" stattfand, war Teil einer Veranstaltungsreihe, die die Free-Assange-Bewegung seit Monaten in mehreren deutschen Großstädten – so auch schon in Köln und Hamburg – für die Freilassung des WikiLeaks-Gründers organisierte.
Inzwischen hat sich das Schicksal des weltbekannten Whistleblowers zugespitzt. Seit zehn Jahren lebt er in England in Gefangenschaft. Schon in der ersten Instanz hatte die US-Regierung vor Gericht gewonnen, als Assange wegen Hochverrats angeklagt wurde. Allerdings wurde die Auslieferung aus gesundheitlichen Gründen ausgesetzt. Gegen diese Auslieferungseinschränkung waren die US-Behörden in Berufung gegangen und haben in der vergangenen Woche Recht bekommen. Dabei hat der Oberste Gerichtshof Großbritanniens entschieden, dass Julian Assange gegen dieses Auslieferungsurteil keinen Einspruch mehr erheben darf. Wie kann es jetzt weitergehen?
Die britische Innenministerin Priti Patel solle darüber bestimmen, ob Assange tatsächlich an die USA ausgeliefert wird, wo ihn eine Haftstrafe von bis zu 175 Jahren erwartet. Allerdings waren die Anwälte von Assange ebenfalls gegen das Auslieferungsurteil der ersten Instanz in Berufung gegangen. Die Berufungsverhandlung darüber steht laut Äußerungen von Aktivisten der Mahnwachen noch aus. Als allerletzte Möglichkeit könnte sich der Whistleblower noch an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wenden, – sofern ihn die Briten nicht inzwischen bereits kurzerhand an die USA ausliefern würden.
Die engagierten Redner der Kundgebung sprachen in ihren Beiträgen aber nicht nur über die akute Situation von Assange und die entscheidende Bedeutung der Plattform WikiLeaks für die Meinungsfreiheit und die Demokratie. Vielfach bezogen sie sich auch auf den konkreten Informationskrieg beim Narrativ der Pandemie und jenen um die Macht der Meinungshoheit bei der Kriegsberichterstattung über die Ukraine. Bei diesen Themen würde ein Journalismus außerhalb des vorgegebenen Spielraums für jegliche Debatten mit gnadenloser Härte diskriminiert, bekämpft und zensiert.
Die Mitbegründerin und Pressesprecherin der Bewegung Free Assange Marie Wasilewski stellte dazu fest, dass die unterschiedlichen Meinungen über die COVID-19-Pandemie die Assange-Aktivisten auch selbst auf die Probe gestellt hätten. Schließlich gebe es auch innerhalb der Mahnwachen Differenzen hinsichtlich des offiziellen Corona-Narrativs und der diesbezüglichen kritischen Bewertungen.
Wenn man mit den Mahnwachen für Julian Assange ein Zeichen für Meinungsfreiheit, Meinungspluralismus und Dialog setzen wolle, dann müsse zuallererst der Umgang mit unterschiedlichen Standpunkten in den eigenen Reihen respektvoll gestaltet und jede Art von "Cancel Culture" abgelehnt werden. Im Ringen um diese Haltung hätte man die Spaltung der Free-Assange-Bewegung verhindern können.
Aber auch die Veranstaltung in Duisburg blieb nicht von Konflikten verschont. So sagten die musizierenden Aktivisten des Lebenslaute-Orchesters im Vorfeld ihre Teilnahme ab. Sie würden sich nicht an einem Bühnenprogramm beteiligen, bei dem die Musikgruppe Bandbreite aufträte, die aus ihrer Sicht vor 16 Jahren einen frauenfeindlichen Rap-Song produziert hätte. Beim Auftritt erläuterte der Sänger von Bandbreite und Songwriter Wojna die satirische Absicht des damaligen Stückes.
In seiner Ansprache in Duisburg schlägt der Sänger argumentativ auch einen Bogen vom Kampf des Whistleblowers Julian Assange bis hin zur akuten Berichterstattung über die Ukraine: Schließlich dürfe man keine Filme veröffentlichen, in denen das US-Militär Zivilisten und Journalisten ermordet, wenn dieses doch angeblich stets für Demokratie und Menschenrechte kämpfen würden. Aktuell wäre es so, dass in den Medien seit Wochen nur darüber berichtet würde, wo die Russen gerade mit ihren Panzern sind – aber keiner berichtete darüber, wo die USA gerade mit ihren Panzern standen oder stehen. Darüber dürfe nicht berichtet werden.
"Julian Assange ist seit 10 Jahren seiner Freiheit beraubt, weil er berichtet hat, wo das US-Militär sich aufhält und was es dort anrichtet."
In seiner Stellungnahme erklärte der Publizist und Filmemacher Dirk Pohlmann, warum "es keinen freien Westen geben könnte, solange Julian Assange nicht frei ist". Wo es keine Pressefreiheit gibt, herrsche keine Demokratie. Schließlich habe der Whistleblower kein Verbrechen begangen, sondern er habe als Journalist ausdrücklich das Recht, Dokumente zu veröffentlichen, die der Öffentlichkeit vorenthalten werden sollten. Im Gespräch mit RT zitiert er dazu ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) aus dem Jahr 1958. Darin äußert sich das BVerfG wie folgt:
"Das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung ist als unmittelbarster Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit in der Gesellschaft eines der vornehmsten Menschenrechte überhaupt (un des droits les plus précieux de l'homme nach Artikel 11 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789). Für eine freiheitlich-demokratische Staatsordnung ist es schlechthin konstituierend, denn es ermöglicht erst die ständige geistige Auseinandersetzung, den Kampf der Meinungen, der ihr Lebenselement ist (BVerfGE 5, 85 [205]). Es ist in gewissem Sinn die Grundlage jeder Freiheit überhaupt, '"the matrix, the indispensable condition of nearly every other form of freedom' (Cardozo)."
Pohlmann schlussfolgert daraus:
"Somit gehören dissidente Stimmen als Wesenselement zur Pressefreiheit."
Dementsprechend würde sich auch der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) mit seiner Behauptung, RT würde keinen Journalismus betreiben, sondern Propaganda und Desinformation verbreiten, nur selbst deklassieren. Man müsse sich vergegenwärtigen, dass der RT-Fernsehkanal in den USA prozentual die meisten Zuschauer hätte. Für RT hätten in den USA so bekannte Journalisten wie – der im vergangenen Jahr verstorbene – Larry King oder der Pulitzerpreisträger Chris Hedges, eine der bedeutendsten Stimmen von Dissidenten in den USA, gearbeitet. Und vor zehn Jahren, im Jahr 2012, moderierte Julian Assange die Talkshow "The World Tomorrow" im US-amerikanischen RT-Programm.
Für die Freilassung von Julian Assange engagierten sich bei der Protestaktion Aktivisten vieler deutscher Mahnwachen wie zum Beispiel aus Hamburg, Berlin, Leipzig, Potsdam, Frankfurt am Main, Köln, Bonn, Paderborn, Solingen und Duisburg. Seit Jahren machen sie in ihren Städten auf das Schicksal von Julian Assange aufmerksam und reklamieren hierzulande die Meinungs- und Pressefreiheit.
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