Die Eisenbahnergewerkschaft EVG beantragte aufgrund alarmierender Nachrichten über weitere Mehrkosten und mögliche Bauverzögerungen beim Bauprojekt Stuttgart 21 eine am Freitag dieser Woche stattgefundene Sondersitzung des Aufsichtsrats der Deutschen Bahn AG, so Informationen des RND. Der Spiegel wusste bereits Anfang Februar, ausgehend von einem vorliegenden Gutachten, darüber zu berichten, dass die Kosten des Milliarden-Projekts Stuttgart 21 auf insgesamt 9,2 Milliarden Euro steigen könnten. Im Rahmen der Gesamtplanung und ursprünglichen Dispositionen, beginnend im Jahr 1995, haben sich damit die Kosten im Laufe der Jahrzehnte verdreifacht.
In einer "Chronologie der Kosten-Explosion bei Stuttgart 21" des SWR zeigen sichsehraufschlussreichdie surrealen Dynamiken der Planungen und ihrer Umsetzung über die Jahre. Die Bauarbeiten begannen im Jahre 2010. So ist auszugsweise nachzulesen:
- November 1995: Bahn, Bund, Land und Stadt unterzeichnen eine Rahmenvereinbarung. Das Projekt soll rund fünf Milliarden Mark (knapp 2,6 Milliarden Euro) kosten.
- September 2006: Eine Wirtschaftlichkeitsberechnung der Bahn gibt die neuen Kosten von Stuttgart 21 mit 2,8 Milliarden Euro an.
- 8. November 2009: Bahnchef Rüdiger Grube legt die "Sollbruchstelle" für Stuttgart 21 mit 4,53 Milliarden Euro fest.
- 8. September 2010: Auch nach einem neuen Gutachten des Münchner Ingenieurbüros Vieregg & Rössler droht eine Kostenexplosion. Für die Neuordnung des Bahnknotens Stuttgart kamen sie auf 6,7 bis 8,7 Milliarden Euro.
- 23. März 2012: Die Bahn gibt bekannt, dass der Bahnhof voraussichtlich erst mit einem Jahr Verzögerung im Jahr 2020 in Betrieb geht – und sieht die Bausumme nach wichtigen Vergaben bei 4,3 Milliarden Euro.
- Juni 2016: Die Kostenprognose liegt bei 6,51 Milliarden Euro. Laut Bahn-Gutachten sind seit 2012 durch externe Faktoren Kostenrisiken in Höhe von 623 Millionen Euro hinzugekommen.
- 26. Januar 2018: Der Aufsichtsrat der Bahn stimmt in Berlin einem größeren Finanzrahmen für Stuttgart 21 zu. Der Grund: Jetzt ist von 8,2 Milliarden Euro und 2025 als Eröffnungstermin die Rede.
Probleme finden sich demnach nicht nur bei den sich stetig erhöhenden Baukosten. Der Spiegel berichtet von Problemen bei den unterirdischen Bauarbeiten:
"Bei der letzten Preisanpassung im Jahr 2018 schlugen aber auch Probleme mit dem Gestein zu Buche. Im Untergrund stießen die Tunnelarbeiter auf sogenanntes Anhydrit, ein Mineral, das bei Kontakt mit Wasser aufquillt und zu Gips kristallisiert."
Zudem gestaltete sich die Fertigung der kelchförmigen Säulen im Bahnhofsgebäude, die laut Architekten dem Gebäude die Anmutung einer 'Kathedrale des 21. Jahrhunderts' geben sollten, komplizierter als gedacht, so der Spiegel-Artikel. Die Financial Times (FT) wusste im November 2021 "unter Berufung auf zwei anonyme Hinweisgeber" zu berichten, dass ein "Teil der Kostensteigerungen bei dem derzeit auf 8,2 Milliarden Euro taxierten Projekt Stuttgart 21" durch "eklatantes Missmanagement und Korruption" entstanden sein soll. So seien Mehrkosten in Höhe von 600 Millionen Euro entstanden und Arbeiten beauftragt worden, die nicht notwendig gewesen seien.
Einer der beiden Mitarbeiter, die der ermittelnden Compliance-Abteilung 2016 mehrfach Hinweise zugespielt haben sollen, wurde laut FT während der Untersuchungen entlassen. Der zweite "Whistleblower" habe aus "Angst vor Vergeltung" den Kontakt zu den unternehmensinternen Ermittlern abgebrochen. Die Zeitung verwies auf Recherchen anhand von Dokumenten und Interviews mit Personen, die mit dem Fall vertraut waren.
Laut dem Spiegel streitet sich die Deutsche Bahn mit dem Land Baden-Württemberg und der Kommune Stuttgart seit Jahren und bisher ohne Ergebnis über die Aufteilung der Mehrkosten. Die Stuttgarter-Zeitung wusste zu berichten, dass die Kosten für die Neubaustrecke von Wendlingen am Neckar (Landkreis Esslingen) über die Alb nach Ulm "auf weitere knapp vier Milliarden Euro" geschätzt würden. Daher sei absehbar, dass "der Mega-Bau insgesamt mehr als zwölf Milliarden Euro kosten" könnte.
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