Gerade erst hat er seine aktive Zeit als Politiker besiegelt, jetzt tritt er aus der Linkspartei aus: Oskar Lafontaine geht mit einem großen Finale von der politischen Bühne. Der Partei, die er mitbegründet hatte und deren Vorsitzender er einmal gewesen war, wolle er nicht mehr angehören, teilte er am Donnerstag in Saarbrücken mit.
"Ich wollte, dass es im politischen Spektrum eine linke Alternative zur Politik sozialer Unsicherheit und Ungleichheit gibt, deshalb habe ich die Partei Die Linke mitgegründet. Die heutige Linke hat diesen Anspruch aufgegeben."
Hintergrund sei "die schleichende Änderung des politischen Profils der Linken" ab 2015, schrieb Lafontaine in einer 44 Zeilen langen Erklärung. Sie sei zu einer Partei geworden, "in der die Interessen der Arbeitnehmer und Rentner und eine auf Völkerrecht und Frieden orientierte Außenpolitik nicht mehr im Mittelpunkt stehen". Zudem unterstütze die Partei ein im Saarland etabliertes Betrugssystem bei der Akquise von Mitgliedern – das er nicht mehr mittragen könne.
Am Mittwoch erst war Lafontaine im Landtag mit vielen Dankesworten verabschiedet worden, hatte er dem Landtag doch mit Unterbrechungen 31 Jahre lang angehört. Damit gingen für ihn gut 50 Jahre aktive Politik zu Ende. Er war fast alles, was man in einem politischen Leben in Deutschland werden kann: Oberbürgermeister von Saarbrücken, SPD-Landesvorsitzender, Ministerpräsident des Saarlandes (1985–1998), SPD-Kanzlerkandidat (1990), SPD-Bundesvorsitzender, Bundesfinanzminister, Mitbegründer der Linkspartei und deren Partei- und Fraktionsvorsitzender im Bundestag.
In seiner Erklärung zum Austritt führt Lafonataine nun weiter an:
"Normal- und Geringverdiener oder auch Rentner fühlen sich von der Partei nicht mehr vertreten. Nach dem sozialen Profil sollen jetzt auch noch die friedenspolitischen Grundsätze der Linken abgeräumt werden. Der völkerrechtswidrige Krieg gegen die Ukraine wird dabei zum Anlass genommen."
Führende Linke hätten sich für steigende Rüstungsausgaben und umfassende Waffenlieferungen an Kiew ausgesprochen.
"Ich wollte immer etwas für die Leute erreichen, denen es nicht so gut geht", erklärte Lafontaine. Er führte an:
"Die Linke wurde gegründet, um den Sozialabbau und die Lohndrückerei der Agenda 2010 rückgängig zu machen. Außerdem sollte nach der Beteiligung Deutschlands am völkerrechtswidrigen Jugoslawienkrieg und am Krieg in Afghanistan eine neue Kraft entstehen, die sich wieder konsequent für Frieden und Abrüstung und die Beachtung des Völkerrechts einsetzt."
Anfangs habe es Wahlerfolge gegeben, aber mit der Kursänderung hätten sich viele Arbeitnehmer und Rentner abgewandt, seien zurück zur SPD gegangen, Nichtwähler geworden oder hätten für die AfD gestimmt, schrieb Lafontaine. Laut dem 78-Jährigen sei "die schleichende Änderung des politischen Profils der Linken" die Ursache der vielen Wahlniederlagen. So hätten bei der letzten Bundestagswahl gerade noch 5 Prozent der Arbeiter die Linke gewählt. Im Herbst 2021 sei nicht mehr zu übersehen gewesen:
"Normal- und Geringverdiener oder auch Rentner fühlen sich von der Partei nicht mehr vertreten."
Es ist der zweite spektakuläre Bruch des heute 78-Jährigen mit einer Partei. Eine Art Déjà-vu, das an den 11. März 1999 erinnert. Da hatte Lafontaine als damaliger SPD-Bundesvorsitzender und Finanzminister im Streit um den sich abzeichnenden Sozialabbau der rot-grünen Bundesregierung, der später in die Agenda 2010 mündete, seine Posten der SPD-Führung vor die Füße geworfen. Die SPD bebte. Sein Austritt aus der Partei folgte im Jahr 2005.
Anders als der Bruch 1999 kam Lafontaines Parteiaustritt aus der Linken nun nicht wirklich überraschend. Wer ihn kennt, weiß, dass er sich mit dem Schritt schwertat. In den letzten Monaten aber machte er aus seinem Ärger über die Partei keinen Hehl – vor allem im Saarland, wo er stets zweistellige Ergebnisse eingefahren und seit 2009 die Linksfraktion im Landtag geführt hatte. Jetzt – ohne "Oskar" – bangt die Partei bei der Landtagswahl am 27. März um ihren Wiedereinzug ins Parlament.
Der Riss durch die heute zerstrittene Saar-Partei verlief zwischen Fraktion und Landesverband – und führte dazu, dass vor Lafontaine bereits etliche seiner Mitstreiter der Partei den Rücken gekehrt hatten. Mit Lafontaines Austritt erledigte sich auch ein gegen ihn laufendes Parteiausschlussverfahren. Dieses war angestrengt worden, weil er wiederholt Kritik an dem "Betrugssystem" geübt hatte, das angeblich von der Parteiführung installiert worden sei, um Mandate über manipulierte Mitgliederlisten vergeben zu können.
Lafontaine ist mit der Linken-Bundestagsabgeordneten Sahra Wagenknecht verheiratet. Der Zeitung Die Welt hatte ihr Büro mitgeteilt, dass die ehemalige Fraktionschefin weiterhin Mitglied der Linkspartei bleiben werde und keinen Austritt plane.
Die Partei- und die Fraktionsspitze der Linken bezeichnete den Austritt als falsch und bedauerte ihn. Als Gründungsvorsitzender und langjähriger Fraktionsvorsitzender habe Lafontaine bleibende Verdienste um die Partei, erklärten die Vorsitzenden Susanne Hennig-Wellsow und Janine Wissler und die Fraktionschefs im Bundestag Amira Mohamed Ali und Dietmar Bartsch.
Auch Parteiurgestein Gregor Gysi drückte sein Bedauern aus und nannte den Schritt auf Kurznachrichtendienst Twitter "falsch". Zu Lafontaines Vorwurf, in der Linken werde der Krieg gegen die Ukraine "zum Anlass genommen", friedenspolitische Grundsätze abzuräumen, den er auch an Gysi richtete, schrieb dieser: "Entgegen seiner Darstellung bin und bleibe ich ein entschiedener Gegner der Aufrüstung. Meine Erinnerung an ihn und unsere Zusammenarbeit ist und bleibt überwiegend positiv."
Ob der Bruch mit der SPD damals ein Fehler gewesen war, könne er "auch heute nicht beantworten", hatte Lafontaine der Nachrichtenagentur dpa Ende Februar gesagt. "Vielleicht hätte ich, wenn ich in der SPD geblieben wäre, mehr erreichen können. Das kann man im Nachhinein kaum beurteilen. Ich würde mich immer noch als Sozialdemokrat aus der Ära Willy Brandts bezeichnen – mit den zwei Säulen Ausbau des Sozialstaats und friedliche Außenpolitik." Er fügte hinzu:
"Im politischen Leben macht man immer Fehler. Ja, manches würde ich im Nachhinein anders machen. Aber das Geschehene kann man nicht mehr ungeschehen machen."
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(rt/dpa)