55 Jahre nach ihrer Einführung wurde die allgemeine Wehrpflicht in Deutschland durch den Bundestag zum 1. Juli des Jahres 2011 ausgesetzt. Über das benötigte "Wehrrechtsänderungsgesetz" (17/4821) wurde zugleich ein freiwilliger Wehrdienst von 6 bis 23 Monaten geschaffen. Im Jahr 2011 beschäftigte die Bundeswehr 188.017 Berufs- und Zeitsoldaten sowie 24.794 freiwillige Wehrdienstleistende. Im Januar 2022 waren es 174.0621 Berufs- und Zeitsoldaten sowie 8.710 freiwillige Wehrdienstleistende.
Eine aktuelle Umfrage von Business Insider ergab, dass "75 Prozent der Teilnehmer die Einführung eines Pflichtjahres im Wehr- oder Zivildienst" als positiv bezeichneten. Mit der Aussetzung der Wehrpflicht im Jahr 2011 liefen die letzten Zivildienstverhältnisse aus, seit 2012 gibt es in Deutschland keinen Zivildienst mehr. Der Zivildienst ist die häufigste Form des Wehrersatzdienstes bzw. der Möglichkeit einer Wehrdienstverweigerung.
Laut Angaben von Business Insider würden vor allem Wähler der CDU/CSU und ältere Menschen sich der Umfrage zufolge für den Wehr- oder Zivildienst aussprechen. Dem entgegengesetzt stehen "Linken-Wähler und junge Erwachsene" einem verpflichtenden Wehrdienst kritisch gegenüber. An der Umfrage nahmen rund 5.000 Personen teil. Zu der Fragestellung heißt es im Artikel von Business Insider:
"Konkret danach gefragt, ob die Deutschen für die Einführung eines Pflichtjahres im Wehr- oder Zivildienst sind, antworteten 75 Prozent mit 'sehr positiv' oder 'eher positiv'."
Der Generalinspekteur der Bundeswehr Eberhard Zorn hat sich eindringlich gegen eine Wiedereinführung der Wehrpflicht ausgesprochen. Das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) zitiert ihn mit den Worten:
"Die Wehrpflicht, so, wie wir sie noch kennen, ist in der jetzigen Situation nicht erforderlich. Für den Kampf im Cyberraum, um nur ein Beispiel zu nennen, sind Wehrpflichtige absolut ungeeignet. Wir brauchen gut ausgebildetes, in Teilen sogar hochspezialisiertes Personal, um das gesamte Aufgabenspektrum abzudecken."
In der aktuellen Debatte sprechen sich demnach vor allem Politiker aus den Reihen der Union und AfD für die Wehrpflicht aus. Der AfD-Verteidigungspolitiker Rüdiger Lucassen ist für eine sofortige Reaktivierung der Wehrpflicht. Die Bundesregierung könne sich nicht mehr "auf Freiwilligkeit und Werbekampagnen verlassen", zitiert ihn BR24. Der stellvertretende Unionsfraktionschef Johann Wadephul fordert laut der Zeit, dass die Bundeswehr "mehr in die Gesellschaft hereingeholt werden muss". Der Krieg in der Ukraine zeige, "dass die Bundeswehr Grundvoraussetzung für unser Leben ist, da sie Sicherheit und Freiheit garantiert".
Führende SPD-Politiker positionieren sich eher gegen die Wehrpflicht. Eine Reaktivierung der Wehrpflicht würde keinen Beitrag zum Abbau aktueller Bedrohungen leisten und zudem "von dringlichen Problemen ablenken", so SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert gegenüber den Funke-Zeitungen. Auch der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil sprach sich laut RND gegen eine erneute Debatte aus.
Eine politische Mehrheit, die Wehrpflicht wieder zu aktivieren, würde für die Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages Eva Högl sich im Moment unter den Abgeordneten nicht abzeichnen. "In der gegenwärtigen Situation hilft eine solche Wehrpflicht auch nicht", so die SPD-Politikerin in einem BR24-Interview.
Mehr zum Thema - Ministerin Lambrecht will Arbeitsbereiche des Generalinspekteurs der Bundeswehr reduzieren