Corona-Krise: Langzeitarbeitslosigkeit erheblich gestiegen

Die neuesten Arbeitsmarktzahlen der Bundesagentur für Arbeit vermitteln auf den ersten Blick Hoffnung. Doch sie zeigen auch die eindeutigen Verlierer in der Corona-Krise. Neben Minijobbern und Selbstständigen sind das vor allem die Langzeitarbeitslosen.

Am 1. Februar vermeldete das Institut der deutschen Wirtschaft vermeintlich vielversprechende Zahlen zum deutschen Arbeitsmarkt. So heißt es auf der Webseite des Instituts: "Gute Nachrichten auf dem Arbeitsmarkt: Das Vorkrisenniveau ist fast wieder erreicht. Die Zahl der Arbeitslosen lag im Januar nur knapp 40.000 über dem Stand von Januar 2020. Zum Vergleich: Zwischenzeitlich gab es mehr als 600.000 Arbeitslose zur Zeit vor der Krise."

Im Anschluss an diese Erfolgsmeldung erfolgte jedoch gleich der Hinweis auf das eigentliche Problem des Arbeitsmarktes – die stetig steigende Zahl der Langzeitarbeitslosen in Deutschland. Die nüchterne Folgeerkenntnis: "Damit sie wieder Arbeit haben, wird sich der Arbeitsmarkt voraussichtlich einige Jahre gut entwickeln müssen. Das dürfte eine der wesentlichen Aufgaben für die Arbeitsmarktpolitik der kommenden Jahre werden." Ein schwer umsetzbarer Wunschgedanke nach gut zwei Jahren Ausnahmesituation.

Die negativen Entwicklungen sind bei Betrachtung der jüngsten Zahlen offensichtlich. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) teilte Anfang Februar in einer Veröffentlichung mit:

"Während der Corona-Pandemie kam es zu einem starken Zuwachs an Langzeitarbeitslosen. Ende 2021 gab es nahezu 980.000 Arbeitslose, die bereits zwölf Monate oder länger arbeitslos sind. Gleichzeitig droht einer Vielzahl an Arbeitslosen ein Übertritt in die Langzeitarbeitslosigkeit. Der Anteil der Langzeitarbeitslosen unter allen Arbeitslosen verharrt unterdessen weiter auf hohem Niveau. Im Dezember 2021 lag der Anteil bei 42,0 Prozent (s. Grafik 1). Das entspricht einem Anstieg von 11,7 Prozentpunkten gegenüber dem Vorkrisenniveau (März 2020)."

Als Grundlage der Angaben nutzt der DGB Daten der Bundesagentur für Arbeit (BA). Die BA bestätigt in ihrem Monatsbericht zum Arbeitsmarkt für Januar 2022 die Entwicklungen:

"Die Corona-Krise hat zu einer deutlichen Verfestigung der Arbeitslosigkeit geführt. Im Vergleich mit dem Monat vor Einsetzen der Corona-Krise, dem März 2020, hat die Zahl der Langzeitarbeitslosen, also der Personen, die länger als 12 Monate arbeitslos waren, um 281.000 oder 40 Prozent auf 990.000 zugenommen."

In seiner Veröffentlichung informiert der DGB weiter, dass das Übertrittsrisiko, bei Arbeitslosigkeit langzeitarbeitslos zu werden, im Krisenjahr 2021 bei 17,6 Prozent lag. Rund 120.000 Arbeitslosen drohte demnach im Dezember 2021 weiterhin der unmittelbare Übertritt in die Langzeitarbeitslosigkeit. Die Betroffenen waren bereits "zehn bis unter zwölf Monate" als arbeitslos gemeldet. Jedoch liege dieser Wert "deutlich unter dem Höchstwert während der Corona-Krise im Februar 2021".

Langzeitarbeitslosigkeit zeichne sich laut DGB durch vielfältige Lebenssituationen aus. Dies gelte sowohl für den Zeitraum vor als auch nach Eintritt der COVID-19-Pandemie. Sichtlicher Handlungsbedarf zeige sich vor allem im Bereich der Weiterbildung. "66 Prozent des Anstiegs der Langzeitarbeitslosen gegenüber dem Vorkrisenniveau sind auf Personen ohne Berufsausbildung zurückzuführen", so der DGB. Ein großer Teil der in der Pandemie arbeitslos gewordenen Menschen bleibe nach Einschätzung des DGB "dauerhaft auf der Strecke und findet keinen Weg aus der Arbeitslosigkeit". Hinzu kämen nun zahlreiche Arbeitslose, die bereits vor der Pandemie (langzeit-)arbeitslos gewesen seien und angesichts "der pandemiebedingten fehlenden Aufnahmefähigkeit des Arbeitsmarktes mit geringeren Abgangschancen konfrontiert waren". Weiter heißt es:

"Die Auswirkungen der pandemischen Lage spiegeln sich dementsprechend in einer Verfestigung der Langzeitarbeitslosigkeit wider, die vom DGB mit Sorge betrachtet wird."

Der DGB weist darauf hin, dass es während der Pandemie wesentlich weniger Teilnehmer von Fördermöglichkeiten und Weiterbildungsmaßnahmen gegeben habe – "neben den vielen Entlassungen und der geringen Aufnahmefähigkeit des Arbeitsmarktes". Dies stelle einen weiteren Grund dar, warum sich Langzeitarbeitslosigkeit in Deutschland während der Pandemie verfestigen konnte. Der DGB spricht von einem "verzerrenden Statistik-Effekt". Nehmen Langzeitarbeitslose an einer verpflichtenden Maßnahme teil, werde die Zeit der Arbeitslosigkeit dadurch unterbrochen. Während der Dauer der Maßnahme werde der Teilnehmer wiederum "nicht mehr in der Arbeitslosenstatistik, sondern nur noch in der Unterbeschäftigung" erfasst. Dabei handelt es sich dann um eine sogenannte "unschädliche" Unterbrechung und zählt für die Dauer der Arbeitslosigkeit nach Beendigung der Maßnahme weiter. 

"Die Teilnahme an einer Maßnahme beendet die Arbeitslosigkeit somit nicht zwingend nachhaltig und führt aufgrund der Neuzählung der Arbeitslosigkeitsdauer ausgewählter Maßnahmen sogar oft dazu, dass die faktische bzw. ' chronische' Dauer der Arbeitslosigkeit unterzeichnet wird."

Betroffene des Rechtskreis SGB III sind jene Bürger, die aufgrund ihrer Beitragszahlungen grundsätzlich Ansprüche auf Leistungen der Arbeitslosenversicherung haben. In den Rechtskreis des SGB II (Hartz IV) fallen demgegenüber Arbeitslose, die keine Versicherungsansprüche haben und hilfebedürftig sind. Der DGB informiert nun, dass von den mittlerweile 990.000 Langzeitarbeitslosen knapp 88 Prozent unter den Rechtskreis SGB II fallen, im Rechtskreis SGB III ist die Zahl der Langzeitarbeitslosen demnach "merklich angestiegen". Die Webseite Aktuelle-Sozialpolitik.de verweist auf die Beispielsituation in der Ruhrgebietsstadt Essen. 

"Das Jobcenter schaut momentan besonders besorgt auf die Entwicklung bei zwei Gruppen: den jungen Männern und Frauen unter 25 Jahren – abgekürzt U25 – sowie den ausländischen Arbeitslosen. Bei den Jugendlichen gibt es binnen eines Jahres 17 Prozent mehr Langzeitarbeitslose, bei den Ausländern sind es sogar 26 Prozent."

Die Berliner Morgenpost titelte im Januar 2022: "Deutlich mehr Berliner sind langzeitarbeitslos." Die bayerische Arbeitsministerin Carolina Trautner stellte in einer Pressemitteilung am 1. Februar fest: "Gelungener Start in das Jahr 2022 – auch Langzeitarbeitslose mitnehmen." So läge bei diesem Thema auch in Bayern die Quote um 0,7 Prozentpunkte über dem Vorjahresniveau.

Der Essener Sozialdezernent Peter Renzel benennt in einem Artikel der Westfälischen Allgemeinen Zeitung (WAZ) parallel verlaufende Dynamiken währende der Corona-Krise. So erkennt er bei Jugendlichen sich jetzt schon abzeichnende Zukunftsprobleme hinsichtlich kommender Berufsverpflichtungen. Distanzunterricht und Kontaktbeschränkungen hätten demnach eindeutige Spuren hinterlassen.

"Die Jugendlichen sind mit sich allein geblieben und haben sich zurückgezogen. Die Schule, das Jobcenter haben sie vielfach nicht mehr erreicht."

Renzel spricht von Bildungsdefiziten, die jetzt sichtbar würden, genauso die Folgen der fehlenden Berufsorientierung.

Der DGB schlussfolgert in seiner Veröffentlichung: "Um der Verfestigung der Langzeitarbeitslosigkeit entgegenzuwirken, muss die Betreuung von Langzeitarbeitslosen überdacht werden, um den Weg in existenzsichernde Erwerbstätigkeit zu ebnen." Es bestehe die akute Gefahr, dass "in der Transformation der Bedarf an Arbeitskräften ohne Berufsausbildung (im Anforderungsprofil 'Helferberufe') weiter sinken wird". Eine Qualifizierungsoffensive sei nicht nur notwendig, um jetzt "Langzeitarbeitslose nachhaltig einzugliedern", sondern auch um langfristig einer drohenden Steigerung der Zahlen entgegenzuwirken, so der DGB. Die Gewerkschaft fordert die Politik daher auf, dass die Langzeitarbeitslosen "trotz der positiven Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt" nicht vergessen werden dürfen.

Die Webseite Aktuelle-Sozialpolitik.de resümiert, dass die kommenden Monate "von weichenstellender Bedeutung" für die Gesamtsituation der Langzeitarbeitslosen sein werden. Es sei daher durchaus zu erwarten, dass "viele in der Langzeitarbeitslosigkeit und in einer dauerhaften Abhängigkeit von Transferleistungen einzementiert werden". Abschließend heißt es:

"Denn das war bereits in den 'goldenen Jahren' vor der Corona-Pandemie auf dem Arbeitsmarkt zu beobachten: Ab einem bestimmten Punkt werden viele Langzeitarbeitslose unabhängig von ihren Fähigkeiten und Motivationen keinen Fuß mehr bekommen auf dem Erwerbsarbeitsmarkt."

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