Man könnte fast den Eindruck gewinnen, als ob so manchem Redakteur die Entspannung, die sich nach dem Treffen von Präsident Wladimir Putin und Bundeskanzler Olaf Scholz anzudeuten scheint, nicht ganz gelegen kommt. Von der FAZ über die Welt bis zur taz klingen Vorbehalte in den Kommentaren durch – und dass dem Abzug russischer Verbände aus den Manövern nicht zu trauen sei.
Als ob nichts gewesen wäre
Eine kurze Pressedurchsicht zeigt: Freude klingt anders, stattdessen allenthalben Befürchtungen, dass Moskau seine Truppen gar nicht wirklich abzieht. Natürlich vertrauen die so überaus skeptischen Journalisten den NATO-Angaben nahezu grenzenlos.
So ist man sich bei der FAZ, als ob die Krisendiplomatie nichts gebracht hätte, unsicher, ob die Signale aus Moskau eine "Entspannung oder Eskalation in der Ukraine?" bedeuten würden. Und relativiert nur schwach die Aussage des NATO-Generalsekretärs durch ein "scheint" in der Überschrift, wonach Moskau seinen Truppenaufmarsch angeblich weiter fortsetze und die Soldaten aus dem Manöver eben nicht in ihre Standorte zurückkehren würden.
Der gleiche Tenor findet sich bei der Süddeutschen Zeitung, die den US-Außenminister verkünden lässt: "Kein Rückzug russischer Streitkräfte zu beobachten".
Bei solchen Vorgaben kann Springers Welt selbstverständlich nicht zurückstehen und zitiert Jürgen Trittin von den Grünen mit dem Ausspruch: "Es ist zu früh, von Entwarnung zu sprechen."
Auch die taz betrachtet die Lage immer noch als "bedrohlich" – wobei, ausgesprochen oder auch nicht – die Kommentatorin davon auszugehen scheint, dass die Bedrohung nur von Moskau ausgeht. Immerhin stellt sie fest, dass der Besuch "ganz ordentlich gelaufen" sei und Putin "seinen Gast auch nicht aus dem Kreml geschmissen" habe (was nicht einmal Annalena Baerbock widerfahren ist).
Wie schwer der deutsche Boulevard von der Panik runterkommt, demonstriert das Schwesterblatt der Welt. Es unterstellt Wladimir Putin, er würde "die Welt schon wieder austricksen": Der Rückzug der Truppen sei in Wahrheit gar keiner – ganz im Stil der britischen Sun, die auch heute noch vom "D-Day" für die Ukraine schreibt.
Doch es gibt auch Gegenstimmen, sogar durchaus vernehmliche. Schon vor mehreren Tagen hatte die Friedensbewegung im Vereinigten Königreich dagegengehalten und die "katastrophale Kriegssucht des britischen Establishments" angeprangert. Die britische "Stop the War Coalition" setzt auf Diplomatie als Ausweg aus der gegenwärtigen Ukraine-Krise.
Und auch in Deutschland hat es in letzter Zeit verschiedene Aufrufe aus der Friedensbewegung, aber auch von früheren Militärs und hohen Ex-Diplomaten gegeben, die auf eine friedliche Lösung der aktuellen Krise und eine neue Entspannungspolitik gegenüber Moskau hinwirken wollen.
Kundgebung in Berlin
So veranstaltet das Netzwerk "Friedenskoordination Berlin", das seit 1980 besteht, eine Kundgebung am kommenden Freitag ab 17 Uhr am Brandenburger Tor in Berlin. Die Veranstaltung unter dem Motto "Sicherheit für Russland ist Sicherheit für unser Land!" fordert ein Ende der medialen Frontstellung gegen Russland sowie der "NATO-Aggressionspolitik". Im Aufruf zu der Kundgebung heißt es:
"Seit Jahren macht Russland Angebote zur Zusammenarbeit an die NATO, USA, EU und Bundesrepublik für die Lösung internationaler Probleme. Doch diese betreiben eine Politik der Drohungen und Sanktionen, der militärischen Aufrüstung und Militäraufmärsche an den Grenzen Russlands. Nicht Russland hat sich den Grenzen der NATO genähert, sondern die NATO ist – entgegen aller früheren Zusicherungen – bis an die Grenzen Russlands vorgestoßen."
Doch "das westliche Angriffsbündnis" habe "eine rote Linie erreicht, an der Russland sagt: bis hierher und nicht weiter." Die Friedensaktivisten erinnern daran, dass die Russische Föderation aus diesem Grunde bereits Ende 2021 einen Vertragsentwurf vorgelegt hat,
"mit dem rechtsverbindliche Garantien von USA und NATO eingefordert werden, um die weitere Eskalation zu beenden und den Weg BEIDERSEITIGER Abrüstung und Entspannung einzuschlagen. Das sollte in unserem Land auf Verständnis treffen und erfordert von der Bundesregierung eine Unterstützung der dort von Russland eingeforderten Garantien!"
Sollte die NATO dem Wunsch der Ukraine nach einem Beitritt zu dem Militärbündnis stattgeben,
"würde die Einkreisung Russlands weiter voranschreiten. Das will und kann Russland nicht zulassen und fühlt sich zu Recht bedroht. Darum fordert Russland von der NATO, die Aufnahme der Ukraine abzulehnen",
heißt es in dem Aufruf. Deeskalation sei das Gebot der Stunde. Die Lieferung zusätzlicher Waffen an die Ukraine, die von den "USA und (der) EU in die Verelendung getrieben" worden sei, wird abgelehnt. Dagegen liege in der Umsetzung der Minsker Verträge und im "Vertragsentwurf, den Russland am 17.12.2021 den USA und der NATO vorgelegt hat, … die Lösung" der "momentan aufgehetzten Situation". Aber nicht nur dies: Die russischen Forderungen dienten einer Stärkung der "wechselseitigen, friedlichen Beziehungen in der Welt". Der Aufruf mündet in die folgende, zentrale Forderung:
"Wir unterstützen das Konzept der 'unteilbaren Sicherheit', auf dem der Vertragsentwurf beruht, die Forderungen nach einem Ende der NATO-Osterweiterung, der friedlichen Beilegung internationaler Streitigkeiten auf der Grundlage der UNO-Charta."
Als Redner sind der Bundeswehr-Oberstleutnant a.D. Jochen Scholz, die Bundestagsabgeordnete Sevim Dağdelen (DIE LINKE) sowie der Journalist Gert-Ewen Ungar angekündigt.
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