Die Bundesaußenministerin Annalena Baerbock erläuterte am 9. Februar den anwesenden Journalisten bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Jennifer Morgan als der zukünftigen Sonderbeauftragten für internationale Klimapolitik im Auswärtigen Amt, warum sie davon überzeugt ist, dass die noch amtierende Greenpeace-Chefin die richtige Wahl für diesen Posten darstellt. Baerbocks Worte bei der Vorstellung der erstaunlichen Personalie:
"Ich kenne weltweit keine zweite Persönlichkeit mit ihrer Expertise, Vernetzung und Glaubwürdigkeit in der internationalen Klimapolitik."
Die Ernennung für das bundesdeutsche Auswärtige Amt stelle für Baerbock "eine Traumbesetzung" dar und sei "ein wichtiges Signal" für den internationalen Klimaschutz. Zügig solle Morgan dann bald auch als Staatssekretärin im Auswärtigen Amt ihrem neuen Tätigkeitsfeld nachgehen können. Dazu muss sie jedoch vorher noch die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben.
Einen diesbezüglichen Einbürgerungsantrag hatte Morgan laut dem Handelsblatt im vergangenen Jahr bereits gestellt. Denn sie lebt seit 2003 in Berlin. Aktuell leitet Morgan noch gemeinsam mit der Neuseeländerin Bunny McDiarmid die Umweltschutzorganisation Greenpeace International. Im Juni 2021 errang die Umweltorganisation Greenpeace zuletzt wieder mediale Aufmerksamkeit nicht nur in Deutschland, wenn auch mit der Gefährdung von Zuschauern durch eine spektakuläre, aber gründlich misslungene Protestaktion vor dem Anpfiff des ersten Gruppenspiels der deutschen Nationalmannschaft gegen Frankreich während der Fußball-Europameisterschaft.
Schon wesentlich länger ist Morgan als politisch aktiv im Umfeld der Deutschen Bundesregierung zu finden. "Von 1996 bis 1997 arbeitete sie im Rahmen eines Stipendienprogramms der Robert Bosch Stiftung (der aktuell zweitgrößten deutschen Stiftung mit einem Vermögen von 5,2 Milliarden Euro) ein Jahr lang in Deutschland beim damals von Angela Merkel geführten Bundesumweltministerium, entwarf unter anderem deren Reden", so die Auskünfte in ihrem Wikipedia-Eintrag.
Es folgte von 2009 bis 2016 die Arbeit als Global Director of the Climate Program (Direktorin des Klimaprogramms) beim World Resources Institute. Dieses Institut ist ein Umwelt-Thinktank mit Sitz in Washington, D.C. und wurde 1982 von James Gustave Speth gegründet. Speth war 1997 als Redner beim World Economic Forum (WEF) geladen, damals in seiner Funktion als Administrator des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP).
Die erste Erwähnung für Jennifer Morgan auf der Seite des WEF findet man für das Jahr 2015. Es verwundert daher nicht, dass Albert "Al" Gore Jr., ehemals Vizepräsident unter dem US-Präsidenten Bill Clinton, als Gratulant zu Morgans neuem Posten für die Deutsche Bundesregierung in Erscheinung trat:
"Herzlichen Glückwunsch an Jennifer Morgan zu ihrer neuen Rolle als Deutschlands Sonderbeauftragte für internationale Klimaschutzmaßnahmen! Jennifer hat ihr Leben der Förderung der Klimapolitik gewidmet und ist für diese Aufgabe besonders gut geeignet. Wir freuen uns auf ihre starke Führung in dieser wichtigen Rolle."
2018 trafen sich Al Gore und Jennifer Morgan auf dem ClimateHub auf der COP24, der UN-Klimakonferenz im polnischen Katowice. Al Gore ist als US-amerikanischer Politiker zugleich Unternehmer sowie Oscar-prämierter Umweltschützer. Zudem erscheint er in dem Dokumentarfilm "The Forum – Behind the Scenes of the World Economic Forum" als enger Vertrauter und Freund von Klaus Schwab, dem Initiator des WEF. In einem Interview im Jahre 2020 antwortete Jennifer Morgan auf die Frage, ob die Teilnahme einer Umweltorganisation beim WEF nicht die Gefahr in sich berge, als "Feigenblatt missbraucht zu werden":
"Es ist mir bewusst, dass ich vermeiden muss, Teil des Systems zu werden. Das wäre gefährlich. Aber es wäre auch doof, die Chance nicht zu nutzen, mit Akteuren zu sprechen."
Ein Satz aus der Mitteilung von Greenpeace International zum aktuell absehbaren Ausscheiden von Jennifer Morgan lautet: "Morgan vertrat die Organisation bei vielen internationalen Veranstaltungen." Dazu gehören nachweislich auch regelmäßige Besuche der Veranstaltungen des World Economic Forums (WEF) in Davos, wo sie im Jahre 2019 auch dem damaligen Bundesminister für Wirtschaft und Energie Peter Altmaier, Jahre zuvor auch bereits einmal Bundesumweltminister, begegnet sein könnte.
In der Mitteilung heißt es weiter: "Greenpeace ist, war und wird immer eine unabhängige Kampagnenorganisation sein, die nicht an ein Unternehmen oder eine Regierung gebunden ist. Wir suchen die Zusammenarbeit mit Verbündeten, wo wir eine gemeinsame Sache finden. Wir werden weiterhin diejenigen zur Rechenschaft ziehen, die ihrer Verantwortung nicht gerecht werden."
Zur Erinnerung: das World Economic Forum führt eine Art Aus- und Fortbildungsbildungsprogramm für ambitionierte Jung-Politiker, mit dem Namen Young Global Leaders. Dies durchliefen seitens der Partei Bündnis 90/Die Grünen, im Rahmen einer entsprechenden Teilnahme, die aktuelle Außenministerin Annalena Baerbock und Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft Cem Özdemir. Aus aktuellem Anlass nicht unwesentlich, wenn auch weniger bekannt, dürfte sein, dass auch Omid Nouripour, der neue Co-Vorsitzende der Partei Bündnis 90/Die Grünen, das Young Leaders Program der ebenfalls weniger bekannten Atlantik-Brücke durchlief, eines "überparteilichen und gemeinnützigen" Vereins, mit dem "eine wirtschafts-, finanz-, bildungs- und militärpolitische Brücke zwischen den Vereinigten Staaten und Deutschland" geschlagen werden soll.
2017, dem Jahr der deutschen EU-Ratspräsidentschaft, war Jennifer Morgan im Klima-Beratergremium der Bundesregierung, auch war sie bereits Mitglied im Rat der Bundesregierung für nachhaltige Entwicklung und saß im Beirat des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung. Bis zur vorigen Legislaturperiode war das Bundesumweltministerium zuständig für die entsprechenden Themenfelder, nun erfolgte eine strategische Schwerpunktverlagerung dieses Ressorts innerhalb der Bundesregierung. Bei einem Interview im Jahre 2020 stellte Morgan klar, dass ihr jene Politikerin, für deren Umweltministerium sie einst Ende der 1990er Jahre Reden schrieb, heute politisch gar nicht mehr zusage, und sie mahnte einen Politikwechsel für Deutschland an:
"Angela Merkel ist sehr enttäuschend. Ich finde, sie hört den wichtigsten Menschen ihres Landes nicht zu. Zentral aber ist: Der Druck wird nicht aufhören. Das Thema verschwindet nicht. Die Klima-Aktivisten – egal ob jung oder alt – werden nicht weggehen. Wir befinden uns in einem Machtkampf. Die deutsche Regierung lässt sich nach wie vor stark von den Unternehmen beeinflussen – vor allem von der Autoindustrie. Das muss und wird aufhören. Die Regierungen weltweit müssen auf die Jugendlichen und ihre Anliegen hören."
Themenbezogen formulierte schon 2018 Ricarda Lang, damals noch als Vorsitzende der Grünen Jugend, mittlerweile die neue Co-Vorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen und Parteikollegin von Omid Nouripour, ihre Vorstellungen von Klima- und Außenpolitik:
"Die EU sollte den Bewohnern von Inselstaaten, die durch den Klimawandel bedroht sind, die europäische Staatsbürgerschaft anbieten und ihnen eine würdevolle Migration ermöglichen."
In der Talksendung Lanz zeigte sich Lang am Mittwochabend von der Ernennung Morgans zur Klimabeauftragten sehr angetan.
Die beinahe euphorische Erklärung von Annalena Baerbock während der Präsentation der Personalie am 9. Februar klang so: "Jennifer Morgan wird als Steuerfrau unsere Klima-Außenpolitik lenken, Partnerschaften mit anderen Staaten in der Welt ausbauen und den Dialog mit der Zivilgesellschaft weltweit führen." Die Tagesschau bemerkte am gleichen Tag:
"Am 1. März soll es losgehen für Jennifer Morgan im Außenministerium am Werderschen Markt. Annalena Baerbock kann sich darauf einstellen, dass die ersten Schritte ihrer neuen 'rechten Hand' in internationalen Klimafragen sehr genau beobachtet werden: innerhalb der Regierung, von der Opposition, aber auch von Klimaschutzorganisationen."
Unionspolitiker kritisierten die Personalie scharf. Der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Jürgen Hardt stellte fest: "Die Berufung der Umweltaktivistin Jennifer Morgan ins Auswärtige Amt ist ein Statement an Klima-Aktivisten", es sei jedoch bemerkenswert, "dass gerade eine grüne Bundesministerin die Grenzen zwischen Staatlichkeit und Lobbyismus so leichtfertig überspringt".
FDP-Fraktionsvize Lukas Köhler sagte dem Handelsblatt, er habe Verständnis dafür, "dass der Wechsel einer Lobbyistin, die in der Vergangenheit mit durchaus radikalen Ansichten in Erscheinung getreten ist, in der Öffentlichkeit auf eine gewisse Verwunderung stößt." Die Anti-Korruptionsorganisation Transparency International hält die Berufung Morgans für unproblematisch, ebenso wie der Verein Lobbycontrol. Wichtig sei jedoch, dass Morgan künftig die Positionen der Bundesregierung vertreten muss und nicht die von Greenpeace. Timo Lange von Lobbycontrol ergänzte:
"Als Lobbycontrol haben wir auch in der Vergangenheit betont, dass es möglich sein muss, Fachleute von außen in die Ministerien zu holen."
Die Welt zitiert in einem Artikel Jennifer Morgan mit den Worten: "Petra Kelly (Gründungsmitglied der Partei Die Grünen und von 1983 bis 1990 Abgeordnete im Deutschen Bundestag) war die Erste, die das Persönliche mit dem Politischen zusammenbrachte: mit der Frauenbewegung, der Umweltbewegung, der Atombewegung und einem Systemwandel. Das war der Moment, als mein außen- und mein umweltpolitisches Interesse zusammenkamen."
Twitter-User posteten hinsichtlich des Besuches von Außenministerin Annalena Baerbock in der Ukraine folgendes symbolhaftes Bild zum Thema einer offensichtlich drastischen Wandlung der Partei Bündnis 90/Die Grünen über die Jahrzehnte. Auf dem linken Bild ist Petra Kelly zu sehen:
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