Russisches Staatsfernsehen, deutsche Behörden, europäisches Recht – RT DE darf durchaus senden

Russland hat für seinen nunmehr als deutschsprachigen Auslandsdienst konzipierten Sender RT DE eine serbische Lizenz erhalten. Deutschland hält diese für unwirksam, die Landesmedienanstalt Berlin-Brandenburg hat gar ein Sendeverbot ausgesprochen. Geht das so einfach, wie es sich deutsche Behörden vorstellen, und warum darf China das, was Russland nicht zugestanden wird? Ein Blick auf die Rechtslage.

Eine Analyse von Anton Gentzen 

Im Meinungsstreit über die Zulässigkeit der Ausstrahlung eines Fernsehprogramms von RT DE in Deutschland wird immer wieder das Verbot staatlicher Sender als Argument für die Perspektivlosigkeit eines solchen Ansinnens vorgebracht. Bundesaußenministerin Baerbock bemühte während ihrer Visite nach Moskau gar ein im Grundgesetz enthaltenes Verbot zur Rechtfertigung des Standpunktes der deutschen Behörden. 

Und doch weiß jeder, der schon mal zuhause oder im Hotel ein an das Kabelnetz oder an einen TV-Satelliten angeschlossenes Fernsehgerät eingeschaltet hat, dass in Deutschland sehr wohl ausländische Sender empfangbar sind, die unübersehbar und unbestreitbar einem Staat gehören oder von diesem kontrolliert werden. Was hat es also auf sich mit dem Verbot des Staatsfernsehens und wie kommt es, dass dennoch Sender wie das chinesische CGTN zu empfangen sind?

Deutsches Grundgesetz vs. Russischer Staat?

Um es vorwegzunehmen: Im Grundgesetz gibt es kein ausdrückliches Verbot staatlichen Rundfunks oder Fernsehens. Artikel 5 Grundgesetz lautet schlicht und ergreifend:

(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.

(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.

Absatz (3) bezieht sich auf die Freiheit der Kunst, Wissenschaft, Lehre und Forschung. 

Da die Zulassung von Rundfunk- und Fernsehsendern in Deutschland Ländersache ist, sind die Voraussetzungen und Formalien in dem sogenannten Medienstaatsvertrag geregelt. Bekannter ist das Regelwerk unter der früheren Bezeichnung Rundfunkstaatsvertrag. Das neue, derzeit geltende Vertragswerk trat unter der Bezeichnung Medienstaatsvertrag am 7. November 2020 in Kraft. Artikel 5 GG lässt eine solche einfachgesetzliche Konkretisierung - und Beschränkung - der Rede-, Meinungs-, und Informationsfreiheit in seinem Absatz 2 ausdrücklich zu.

Der Ausschluss des Staates als Veranstalter von Fernsehprogrammen ist in § 53 Absatz 3 des Medienstaatsvertrages geregelt. In der aktuellen Fassung heißt es dort: 

Eine Zulassung darf nicht erteilt werden an juristische Personen des öffentlichen Rechts mit Ausnahme von Kirchen und Hochschulen, an deren gesetzliche Vertreter und leitende Bedienstete sowie an politische Parteien und Wählervereinigungen. Gleiches gilt für Unternehmen, die im Verhältnis eines verbundenen Unternehmens im Sinne des § 15 des Aktiengesetzes zu den in Satz 1 Genannten stehen. Die Sätze 1 und 2 gelten für ausländische öffentliche oder staatliche Stellen entsprechend.

Es ist also eine einfachgesetzliche Norm, zudem auf Ebene der Länder in Form eines zwischen den Ländern geschlossenen Vertrages, die das angeblich so heilige und unverrückbare Prinzip der Staatsferne festlegt. Was man einfachgesetzlich oder gar in der Form eines Staatsvertrages verbieten kann, kann man - guten Willen vorausgesetzt - genauso gut einfachgesetzlich oder eben in der Form eines Staatsvertrags als Ausnahme wieder zulassen. Das Grundgesetz steht dem gerade nicht entgegen und das einzige, woran es fehlt, ist tatsächlich ebendies: Der gute Wille, die Stimme Russlands zu hören. 

Nebenbei: Gerechtfertigt wird der Grundsatz der Staatsfreiheit des Rundfunks und der Medien mit den "Erfahrungen der deutschen Geschichte", womit wohl der Staatsfunk des Dritten Reiches gemeint ist. Schräg wird diese Argumentation dann, wenn mit der Geschichte Deutschlands die souveränen Entscheidungen gerade des Volkes bei der Gestaltung seines Auslandsfunks missachtet und benutzt werden, um dessen Stimme verstummen zu lassen, das unter der besagten Geschichte am meisten gelitten hat. Es hat ein Geschmäckle, erinnert sehr stark an das "Am deutschen Wesen soll die Welt genesen" und an eine Bevormundung des russischen Volkes und russischen Staates.   

Als deutscher Sender geplant, als russischer Auslandsdienst verwirklicht

Wie man sieht, spielt es dem Wortlaut nach keine Rolle, aus welchen Quellen der Sender finanziert wird, ob es nur Werbeeinnahmen oder auch allgemeine Steuermittel oder - wie beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland - eigens für diesen Zweck geschaffene Zwangsgebühren sind. Auch ist beispielsweise der deutsche Auslandssender, die Deutsche Welle, zum erheblichen Anteil steuerfinanziert. Mit nur wenig Kompromissbereitschaft beider Seiten hätte daher der deutsche Ableger von RT durchaus so gestaltet werden können, dass das Gebot der Staatsferne erfüllt wäre. Verweigert hat sich solchen Gestaltungen und überhaupt einem konstruktiven Entwicklungsprozess einzig und allein die deutsche Seite. 

Nach der ursprünglichen Konzeption sollte RT DE von einer in Berlin ansässigen juristischen Person (GmbH) deutschen Rechts betrieben werden. Hier wären durchaus rechtliche und fachliche Gestaltungen möglich gewesen, die die Beteiligung des russischen Staates, vor allem aber seine Einflussnahme auf die Programmgestaltung auf ein mit deutschen Vorstellungen vereinbartes Maß reduziert hätten. In etwa so, wie beim deutsch-französischen Sender arte, dessen französische Mehrheitsanteile direkt vom französischen Staat gehalten werden. 

Im Gegensatz zu der ohne Zweifel historischen Aussöhnung der früheren "Erbfeinde" Deutschland und Frankreich, auf die man als Deutscher oder Franzose unbestritten stolz sein darf, wird eine ähnlich zukunftsweisende Versöhnungsleistung im Verhältnis zu Russland von den deutschen Eliten nicht angestrebt. Was im Verhältnis zu Frankreich problemlos möglich war, wurde und wird im Verhältnis zu Russland mit einer Hartnäckigkeit verweigert, die an die dunkelsten Epochen der deutschen Geschichte denken lässt. Darum wird es in absehbarer Zeit wohl keinen gemeinsamen deutsch-russischen Sender, zu dem RT Deutsch hätte werden können, geben.

Daher änderte sich im Sommer 2021 die Konzeption des deutschsprachigen Dienstes von RT grundlegend: Solange Deutschland seine russophobe Grundeinstellung nicht abgelegt hat, wird es keinen hier ansässigen deutschsprachigen Sender der Franchise RT geben. Stattdessen gibt es nun einen klassischen Auslandsdienst in deutscher Sprache, der in Moskau ansässig ist und von dort sendet.

Dieser Auslandsdienst untersteht dann auch nicht mehr der deutschen Jurisdiktion. Da er in keinem davon ansässig ist, ist er tatsächlich frei darin, in welchem Mitgliedsstaat des Europäischen Übereinkommens über das grenzüberschreitende Fernsehen (auch Europaratsübereinkommen genannt) er die Lizenz beantragt. 

Das Europäische Übereinkommen über das grenzüberschreitende Fernsehen

Die Frage, wessen Rechtshoheit ein Rundfunkveranstalter unterliegt, ist in Artikel 5 des Übereinkommens geregelt. Dabei wird grundsätzlich unterschieden zwischen Rundfunkveranstaltern, die im Hoheitsgebiet eines der vertragsunterzeichnenden Länder niedergelassen sind, und solchen, die es nicht sind.

Wann Rundfunkveranstalter in einem Mitgliedsstaat niedergelassen sind, ist in Absatz 3 des Artikels 5 detailliert geregelt. Kurz zusammengefasst, bestimmt sich die zwischenstaatliche Zuständigkeit nach der Kombination von zwei Faktoren: des tatsächlichen Sitzes des Rundfunkveranstalters und des Ortes, an dem Entscheidungen bezüglich der Programmgestaltung getroffen werden. Liegt weder das eine noch das andere auf dem Gebiet eines Unterzeichnerstaates des Europaratsübereinkommens über das grenzüberschreitende Fernsehen, greift Absatz 4 des Artikels 5 und der Rundfunkveranstalter gilt als außereuropäisch. Nach Absatz 4 hat er dann faktisch die Wahl, der Jurisdiktion welchen Mitgliedsstaates er sich unterwirft, indem er wählt, die reservierten Frequenzen oder Satellitenkapazitäten welchen Staates er nutzt bzw. von wessen Staatsgebiet aus er das Programm an den Satelliten überträgt (upstreamt). 

Russland hat sich bezüglich seines deutschsprachigen Auslandssenders nach der Rückkehr zur Gestaltung desselben als klassischen in Moskau ansässigen Auslandsdienstes für Serbien als Lizenzstaat entschieden, indem das deutschsprachige Programm von RT in Serbien upgestreamt wird. 

Das ist - anders als die Medienanstalt Berlin-Brandenburg es behauptet - auch keine unzulässige Umgehung der deutschen Normen. Eine Umgehung wäre es dann, wenn ein offensichtlich und ausschließlich deutscher Betreiber den Sitz formell ins Ausland verlegen würde, um in den Genuss einfacherer Lizenzierungsvorgaben in einem anderen Land zu kommen. Bei Russia Today besteht indes kein Zweifel, dass es ein deutschsprachiger Dienst eines anderen Staates ist (daraus leiten die Gegner von RT DE ja gerade dessen grundsätzliche Nichtzulassungsfähigkeit in Deutschland her). Dann wird aber nichts umgangen, sondern der ausländische Sender macht schlicht und ergreifend zulässigerweise von seinen Gestaltungsspielräumen Gebrauch. Es hätte ja auch von Anfang an auf den Versuch, einen Sender in Deutschland anzusiedeln, verzichtet werden und stattdessen ein deutschsprachiger Dienst in Moskau aufgebaut werden können. Warum die Rückkehr zu diesem für einen staatlichen Auslandssender naheliegenden, ja natürlichen Modell eine Umgehung deutscher Gesetze sein soll, ist weder mit gesundem Menschenverstand noch mit juristischer Dogmatik nachvollziehbar.

Serbische Lizenz - wer entscheidet über die Gültigkeit? 

Auch wenn Deutschland nun der Meinung ist, dass Serbien die Lizenz zu Unrecht erteilt hat, kann es diese nicht einfach ignorieren und aus eigener innerstaatlicher Hoheit für unwirksam erklären. Eine erteilte Lizenz wird durch divergierende Auffassungen der Mitgliedsstaaten nicht unwirksam. Vielmehr sind in dem Übereinkommen über das grenzüberschreitende Fernsehen Mechanismen der Streitschlichtung festgelegt, auf die Deutschland zurückgreifen muss, um gegebenenfalls die Rücknahme der Lizenz durch Serbien zu erreichen. 

Diese Mechanismen sind in den Artikeln 24, 24 a, 25 und 26 des Übereinkommens geregelt. 

Der Fall, den Deutschland, konkret die innerstaatlich zuständige Medienanstalt Berlin-Brandenburg (mabb) annimmt, nämlich die missbräuchliche Erteilung der serbischen Lizenz ist explizit in Artikel 24a des Übereinkommens geregelt: 

Ein Rechtsmissbrauch liegt vor, wenn das Programm eines Rundfunkveranstalters vollständig oder hauptsächlich auf das Hoheitsgebiet einer Vertragspartei gerichtet ist, deren Rechtshoheit der Rundfunkveranstalter nicht unterliegt (die ‹empfangende Vertragspartei›), und wenn dieser Rundfunkveranstalter sich in der Absicht niedergelassen hat, sich den Gesetzen in den von diesem Übereinkommen erfassten Bereichen zu entziehen, die auf ihn anwendbar wären, wenn er im Hoheitsgebiet dieser anderen Vertragspartei niedergelassen wäre.

Und selbst in diesem Fall, selbst dann also, wenn die deutsche Deutung der Gestaltung von RT DE als klassischem Auslandssender zutreffend wäre, wird die serbische Lizenz nicht automatisch nichtig, wie aus dem weiteren in Art. 24a vorgesehenen Procedere unzweifelhaft hervorgeht. So müsste Deutschland vorgehen: 

"Wenn eine Vertragspartei einen Rechtsmissbrauch behauptet, findet folgendes Verfahren Anwendung:

a) die betroffenen Vertragsparteien bemühen sich um eine gütliche Beilegung;

b) wenn sie innerhalb von drei Monaten zu keiner gütlichen Beilegung gelangen, legt die empfangende Vertragspartei die Angelegenheit dem Ständigen Ausschuss vor;

c) nach Anhörung der betroffenen Vertragsparteien nimmt der Ständige Ausschuss innerhalb von sechs Monaten nach dem Tag, an dem ihm die Angelegenheit vorgelegt wurde, Stellung zu der Frage, ob ein Rechtsmissbrauch begangen wurde oder nicht, und notifiziert diese Stellungnahme den betroffenen Vertragsparteien."

Statt RT DE (wem eigentlich?) das Senden zu verbieten, müsste Deutschland somit in Verhandlungen mit Serbien treten und, wenn keine Einigung möglich wird, den Ständigen Ausschuss, der auf Grundlage von Artikel 20 des Übereinkommens gebildet wird, anrufen. Nur dieser darf entscheiden, ob die serbische Lizenz rechtsmissbräuchlich ist oder nicht. 

Das Übereinkommen geht aber weiter: Selbst eine Entscheidung des Ständigen Ausschusses, die Deutschland Recht gibt, macht die serbische Lizenz nicht unwirksam: Serbien muss aktiv werden und die erteilte Lizenz wieder einkassieren. Unterlässt der Balkanstaat dies, darf Deutschland nach sechs Monaten ab der Entscheidung des Ständigen Ausschusses ein Schiedsverfahren anstrengen. 

Die gesamte Zeit dieses mehrstufigen Schlichtungsverfahrens bleibt die beanstandete Lizenz wirksam. Die Streitigkeiten um deren Gültigkeit muss Deutschland mit Serbien ausfechten, nicht mit einer Produktions-GmbH in Berlin-Adlershof, die nicht einmal in der Lage ist zu entscheiden, ob gesendet oder nicht gesendet wird. Den Streit um die Gültigkeit der serbischen Lizenz müssen nicht die RT DE Productions GmbH, ja nicht einmal der in Moskau ansässige tatsächliche Rundfunkveranstalter vor deutschen Gerichten austragen, sondern Deutschland und Serbien im Rahmen der im Europarat-Übereinkommen geschaffenen Verfahren.

Und der chinesische Staatssender?     

Wie aber kommt es, dass der chinesische Auslandssender CGTN in Deutschland empfangen werden kann?

Ursprünglich war CGTN lizenziert von der britischen Medienaufsicht Ofcom und konnte daher auf Grundlage des Europäischen Übereinkommens über das grenzüberschreitende Fernsehen, auf das sich auch RT beruft, nach Deutschland senden. Ofcom entzog dem chinesischen Auslandssender die Lizenz am 4. Februar 2021. Begründet wurde diese Entscheidung damit, dass das Medienunternehmen, das die britische Lizenz von CGTN innehat, Star China Media Limited (SCML), "keine redaktionelle Kontrolle über seine Programme" hat. Vielmehr würde die Kommunistische Partei Chinas die redaktionellen Inhalte kontrollieren. 

CGTN wandte sich daraufhin an die französische Medienaufsichtsbehörde Conseil Supérieur de l'Audiovisuel (CSA), um legalen Zugang zu europäischen Netzen zu erhalten. Die französische Regulierungsbehörde bestätigte, dass CGTN unter französischer Jurisdiktion senden darf.

Anders als häufig vermutet, hat dies jedoch nichts mit der Mitgliedschaft in der EU zu tun, sondern mit dem Vertrag, auf den sich auch Russland beruft: Das Europarats-Übereinkommen über das grenzüberschreitende Fernsehen. Warum dies im Fall des chinesischen Senders problemlos akzeptiert wird, im Fall des russischen Pendants aber auf Widerstand stößt, ist Ansichtssache. 

RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.

In Vorbereitung dieses Artikels wurden mehrere amtierende und emeritierte deutsche Hochschullehrer, die als ausgewiesene Kenner des Rundfunk- und Medienrechts gelten, gebeten, zu den relevanten und in diesem Artikel besprochenen Rechtsfragen Stellung zu nehmen. Obwohl es ein interessanter Präzedenzfall ist, der in dieser Konstellation noch nicht vorkam, bekamen wir leider keine Zusagen. Sollte sich doch noch ein Hochschullehrer finden, der den Thesen in diesem Artikel zustimmen oder widersprechen möchte, ist die Redaktion bereit, ihm die Möglichkeit dazu einzuräumen. 

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