von Bernd Müller
Wenn die Deutschen zurzeit besorgt sind, dann sind sie es in erster Linie über die Inflation. Im Januar lag diese nach Angaben des Statistischen Bundesamtes bei 4,9 Prozent – und damit deutlich höher, als Experten zuvor geschätzt hatten.
Bei den Menschen sorgt das für Unsicherheit. 70 Prozent der Deutschen seien deshalb beunruhigt, heißt es im "Sicherheitsreport 2022", der am Dienstag vorgestellt wurde. Der Anteil derer, die sich persönlich durch die Geldentwertung bedroht fühlen, sei innerhalb eines Jahres von 32 auf jetzt 51 Prozent gestiegen. In der Rangliste der Sorgen steht damit die Inflation noch vor dem Klimawandel oder der COVID-19-Pandemie. Auch Russland und China sorgen die Deutschen weniger.
Erstellt wird der "Sicherheitsreport" seit 2011 vom Centrum für Strategie und höhere Führung und dem Meinungsforschungsinstitut Allensbach. Für die aktuelle Ausgabe wurden 1.090 Personen im Alter von über 16 Jahren mündlich und persönlich befragt. Die Umfrage gilt damit als repräsentativ.
"Insgesamt ist die große Mehrheit bisher finanziell bemerkenswert gut durch die zweijährige Krise gekommen, aber die hohe Inflationsrate alarmiert die Bevölkerung zunehmend und trifft überdurchschnittlich die schwächeren sozialen Schichten", betonte Renate Köcher, Geschäftsführerin des Instituts für Demoskopie Allensbach.
Getrieben wird die Inflation unter anderem von den Energiepreisen. Nach einer aktuellen Auswertung des Vergleichsportals Check24 erreichten die Energiekosten ein neues Rekordhoch. "Die Kosten für Strom, Heizen und Mobilität lagen für eine exemplarische Familie im Januar 2022 bei durchschnittlich 6.092 Euro", heißt es dort. Im Vergleich mit dem Januar im letzten Jahr waren das 57 Prozent mehr. Oder in Zahlen ausgedrückt: 2.201 Euro mehr. Damals betrugen die Kosten demnach nur 3.891 Euro.
"Derzeit ist Energie so teuer wie nie", sagte Steffen Suttner, Geschäftsführer Energie bei Check24. "Fast alle Energiearten erreichten in den vergangenen Wochen ihren Allzeitrekord und sind damit auch Treiber der aktuell hohen Inflation."
Dem stimmen auch Ökonomen zu, Jörg Krämer zum Beispiel. Der Chefvolkswirt der Commerzbank betonte ebenfalls die Rolle der Energiepreise für die Inflation. Das Ende der Fahnenstange sei wohl noch nicht erreicht, denn längst nicht alle Versorger hätten schon ihre Absatzpreise an die erhöhten Einkaufspreise angepasst. Die Inflation werde wohl langsamer zurückgehen, als die Europäische Zentralbank (EZB) erhofft hat, sagte Krämer.
Politikern ist die Brisanz einer hohen Inflation durchaus bewusst, und sie geben zumindest vor, nach Wegen zu suchen, um private Haushalte und Unternehmen schnell zu entlasten. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) sprach sich am Montag dafür aus, die sogenannte EEG-Umlage schnell anzusenken. Wenn es nach ihm ginge, könnte das schon in wenigen Wochen umgesetzt werden, sagte er im Morgenmagazin der ARD. Die EEG-Umlage wird seit dem Jahr 2000 erhoben und mit ihr wird der Ausbau der erneuerbaren Energien finanziert.
Der linken Opposition im Bundestag reicht das aber nicht – und sie machte schon Anfang Januar auf das Problem aufmerksam. Für einen durchschnittlichen Haushalt würde die Abschaffung der EEG-Umlage nur eine Entlastung von 13 Euro im Monat bedeuten, hatte der Linken-Fraktionsvorsitzende Dietmar Bartsch gesagt. Aber gleichzeitig würden dem Staat mit den steigenden Energiepreisen 1,4 Milliarden Euro mehr in die Kassen gespielt. Insgesamt nimmt die Bundesregierung durch die Stromsteuer und die Energiesteuern auf Heizöl, Erdgas als Heizstoff und Kraftstoffe mehr als 45 Milliarden Euro ein.
Nun brachte Christian Görke, Finanzexperte seiner Fraktion und ehemaliger Finanzminister des Landes Brandenburg, eine zeitlich begrenzte Absenkung der Mehrwertsteuer ins Gespräch. "Die Leute brauchen nicht nur Strom, sie müssen auch heizen und tanken", erklärte er. Eine niedrigere Mehrwertsteuer für Energie würde da "sofort für Entlastung im Geldbeutel sorgen". Damit befindet sich die Linksfraktion im Bundestag im Gleichklang mit verschiedenen Sozialverbänden, die ebenfalls ein Absenken der verschiedenen Energiesteuern forderten.
Aber nicht nur die hohen Energiepreise treiben die Inflation an, sondern auch die lockere Geldpolitik der Europäischen Zentralbank. Die Notenbank strebt eine jährliche Teuerungsrate von zwei Prozent im Euroraum an, ist aber auch bereit, ein moderates Über- und Unterschreiten zu akzeptieren. Das kommt nun wiederum den Regierungen im Euroraum zugute, denn über die Inflation können sie ihre Schulden abbauen – auf Kosten der Sparer und Verbraucher.
Die DZ Bank hat in einer aktuellen Studie die Wirkung einer höheren Inflation für Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien untersucht. Besonders das verschuldete Italien könnte demnach seinen Schuldenberg deutlich abtragen. Bei einer Teuerung von drei Prozent im Jahr könnte Italien seine Schuldenstandquote bis zum Jahr 2026 um 20 Prozentpunkte verringern. Bei einer Inflation von fünf Prozent wären es in diesem Zeitraum sogar 32 Prozentpunkte. "Italien würde der Schuldenabbau bei einem längerfristigen Überschießen des EZB-Inflationsziels von 2 % massiv erleichtert", heißt es bei der DZ Bank.
Für die Bundesregierung ergäbe sich auch ein geringerer Schuldenstand gemessen am Bruttoinlandsprodukt. Bei einer Inflation von drei Prozent würden ihre Schulden um 11,1 Prozent zurückgehen, bei fünf Prozent Teuerung um 16,4 Prozent. Ob sich die Bundesregierung von diesen Modellrechnungen leiten lassen wird, ist noch unklar. Zumindest ein Interesse an einer hohen Inflation dürfte sie haben.
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