Die Süddeutsche Zeitung (SZ) hat diese Woche einen Artikel mit dem Titel "Die fragwürdigen Methoden des Nils Melzer" veröffentlicht (Bezahlschranke). Der Artikel richtet sich augenscheinlich und offensiv formuliert gegen den UN-Sonderberichterstatter für Folter Nils Melzer. Melzer hat den Versuch unternommen, eine Gegendarstellung in der Zeitung platzieren zu können. Diese wurde ihm bisher untersagt. Der Rechtswissenschaftler zeigt sich empört:
Im SZ-Artikel werden mehrere Ereignisse jüngeren Datums erwähnt, bei denen sich der UN-Sonderberichterstatter aktiv eingeschaltet hat. So verweisen die beiden Autoren auf Reaktionen Melzers im Rahmen der ausufernden und völlig unverhältnismäßigen Gewalttaten der niederländischen Polizei zu Beginn des Jahres im Zuge einer Demonstration von Corona-Maßnahmen-Gegnern. Dabei handelt es sich um die Veröffentlichung von Videos der Ereignisse. Melzer, im Rahmen seiner Funktion als Folterberichterstatter der Vereinten Nationen, bat per Twitter um die Zusendung von Beweisen für die Gewalttaten.
Die SZ-Autoren beschreiben die Ereignisse in Amsterdam wie folgt: "Demonstranten attackierten die Polizei. (...) Die Beamten packten manchmal hart zu. Auch diesmal war das so." In den Niederlanden sei Melzer dann "in Aktion" getreten, heißt es in der Einleitung, um wenig später einen Tweet zu zitieren. Hier das Original:
Die beiden Autoren behaupten nun, dass der Vergleich mit George Floyd einige Reaktionen ausgelöst hätte: "Vor allem diese Worte – mit Bezug auf den schwarzen Amerikaner Floyd, der 2020 während der Verhaftung durch einen Polizisten erstickte – zeigen Wirkung in den Niederlanden. Kritiker der Corona-Maßnahmen jubeln: Nun sähen sogar die Vereinten Nationen ein, dass ihr Staat vollkommen durchdrehe! Andere fragen: Was macht der UN-Mann da eigentlich?" Zu einer von Melzers Videoquellen schreiben sie: "Das Video stammt von der rechtsradikalen, nationalistischen polnischen Webseite Visegrad24, die überwiegend Verschwörungserzählungen verbreitet." Im weiteren Verlauf des Artikels zeichnet sich das Ansinnen der beiden SZ-Autoren eindeutig ab: Diskreditierung. Melzer spricht von "Rufmord":
"Der Retweet von Visegrad24 ist offenbar kein Zufall. Der Schweizer Nils Melzer hat auf Twitter viele zweifelhafte Kontakte. Da wimmelt es von Rechtsextremisten und Kreml-Apologeten aus allen Ländern, mit denen er kommuniziert. Auch bei RT, dem staatlich finanzierten russischen Propagandasender, ist er regelmäßig zu Gast, als profilierter Kämpfer für den inhaftierten australischen Whistleblower Julian Assange."
Die Autoren hätten Melzer für ihre Recherche kontaktiert:
"Wenn man sich bei ihm meldet, ruft er blitzschnell zurück, auch spät abends. Warum, Herr Melzer, sprachen Sie mehrmals mit RT, zuletzt im Dezember, mit dem Kreml-Sender, der in Deutschland keine Lizenz bekommt? In bis zu halbstündigen Interviews breitete der UN-Vertreter dort seine Theorie vom Verfall des 'Westens' aus: korrupte Regierungen, eine gelenkte Justiz, devote, halb blinde Medien. RT passen solche Aussagen bestens ins Programm."
Zu Assange heißt in dem Artikel: "Assange ist eine vielschichtige Figur. 2016 veröffentlichte Wikileaks E-Mails der Wahlkampagne Hillary Clintons, die höchstwahrscheinlich der russische Geheimdienst gehackt hatte. Aber er ist eben auch ein mutiger Mensch, der Wichtiges geleistet hat für Transparenz und Medienfreiheit." Immer wieder kommt der Verweis auf Melzers "russische Kontakte" und fehlende Berührungsängste: "In einem Beitrag für Telepolis, einer Seite, die die russische Regierung oft in Schutz nimmt, wirft Melzer Deutschland 'Komplizenschaft' mit den USA vor: Im Fall von Alexej Nawalny, dem russischen Oppositionellen, spreche Berlin 'entschlossenen Klartext', bei Assange oder anderen westlichen Folteropfern schaue man weg."
"Darauf angesprochen, stockt Melzer kurz: 'Ich sehe mich sicher nicht als Sprachrohr der Russen', sagt er dann. 'Ich bekomme von denen auch nicht nur Fanpost.' Tatsächlich kritisiert er auch Russland hin und wieder."
Zum Artikelende gehen die beiden SZ-Autoren auf Ereignisse im August 2020 in Berlin ein. Auch hier reagierte Melzer auf Polizeigewalt bei sogenannten Corona-Demonstrationen und bat um Informationen von Teilnehmern und Zeugen.
Im Artikel heißt es: "Er twitterte ein Video von einem Einsatz, klagte, eine ältere Dame, die zu Boden gebracht wurde, 'hätte sterben können'. Die Berliner Polizei verwies auf den Kontext, die Gewalt der Demonstranten – und fragte sich laut Tagesspiegel hinter vorgehaltener Hand, was Melzer 'getrieben haben mag'. Die Zeitung schrieb über den Artikel: 'Geht der UN-Beauftragte für Folter Querdenkern auf den Leim?'"
Der Artikel endet mit der Fragestellung: "Kann es sein, dass dieser UN-Berichterstatter mit seinem Aktivismus Grenzen überschreitet? Wer kontrolliert solche Kontrolleure überhaupt? Von den UN in Genf ist dazu nur indirekt ein Kommentar zu erhalten: 'Sonderberichterstatter haben keine anderen Sprecher als sich selbst.' Melzers Mandat läuft noch bis November."
Es sollte nun nicht überraschen, dass der inhaltlich massiv attackierte Nils Melzer die Süddeutsche Zeitung um eine klärende Gegendarstellung bat. Diese wurde ihm verweigert. Melzer erklärte dazu in einem inzwischen veröffentlichten Artikel, der die verhinderte Gegendarstellung komplett zur Verfügung stellt:
"Obwohl die SZ-Redaktion auf die Mängel im ursprünglichen Artikel hingewiesen wurde, verweigerte sie ausdrücklich die Veröffentlichung einer Gegendarstellung oder Replik."
Melzer erwähnt auch die Kontaktaufnahme durch die beiden SZ-Autoren: "... zumal ich mir viel Zeit genommen habe, Herrn Kirchner meine Arbeitsmethoden und Beweggründe telefonisch darzulegen. Doch eine differenzierte Darstellung scheint nicht das Ziel des Artikels zu sein."
Des Weiteren beklagt er: "Anstatt sich ernsthaft mit den unbequemen Fakten zu befassen, die meinen öffentlichen Stellungnahmen zugrunde liegen, drängen mich die Autoren mit befremdlichem Eifer in die Ecke der Verschwörungstheoretiker." Zu weiteren Inhalten des Artikels – bezüglich der Ereignisse und Recherchen Melzers zu Julian Assange – schreibt er:
"Leider begnügen sich die Autoren jedoch nicht mit der Verzerrung von Fakten, sondern sie reichern diese zusätzlich auch noch mit Unwahrheiten an."
Die Gegendarstellung endet mit den Sätzen: "Wer aus beruflichen Gründen Twitter-Accounts beobachtet, sich auf unbestrittenermaßen authentische Videos bezieht oder auch außerhalb des journalistischen Mainstreams sachlich fundierte Interviews gibt, markiert damit wohl professionelles Engagement, nicht aber politische Sympathie. Es gibt einen Punkt, an dem aus kritischem Journalismus böswilliger Rufmord wird."
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