An den Schulen herrscht in zahlreichen Bundesländern Chaos. Konsens ist zwar, dass der Präsenzunterricht so lange wie möglich aufrechterhalten werden soll. Doch angesichts der hohen Inzidenzen und der Quarantäneregelungen werfen zahlreiche Lehrerverbände den verantwortlichen Stellen vor, keine ausreichende Vorsorge für beispielsweise quarantänebedingte Ausfälle zu treffen. So erklärte Stefan Behlau, der Landesvorsitzende des Verbands Bildung und Erziehung in Nordrhein-Westfalen, am Montag gegenüber der Rheinischen Post:
"Wenn Politik den Präsenzunterricht zum obersten Gebot erklärt, muss sich das deutlich in kurz- und langfristigen Maßnahmen widerspiegeln."
Der Landesvorsitzende des Lehrerverbandes NRW, Andreas Bartsch, plädierte für einen vom Landesministerium festgelegten Schwellenwert, ab dem Distanzunterricht erfolgen solle. Dieser Wert könne beispielsweise bei 1.000 liegen. Das Schulministerium Nordrhein-Westfalen sieht unterdessen noch keine Gefahr für den Präsenzunterricht, da derzeit bedingt durch COVID-19 lediglich 1,83 Prozent der Lehrkräfte nicht am Präsenzunterricht teilnehmen.
Auch in Thüringen kritisierten Lehrervertreter das uneinheitliche Vorgehen der Gesundheitsämter bei Quarantäneverordnung bei Schülern. Kathrin Vitzthum, die Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehungswissenschaften und Rolf Busch, der Vorsitzende des Thüringer Lehrerverbandes, erklärten, dass die Ämter bei vergleichbaren Fällen unterschiedliche Entscheidungen über die Quarantänedauer treffen würden. Besonders deutlich werde das bei Fällen, in denen für die Kontaktpersonen der Schüler unterschiedliche Gesundheitsämter zuständig seien, wenn diese in unterschiedlichen Landkreisen wohnen. Auch Heinz-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, erklärte gegenüber RT DE:
"Ich glaube, da steigt niemand mehr richtig durch. Wir haben natürlich die bundesweiten Regelungen, die jetzt die Ampelkoalition beschlossen hat.
Das heißt, dass sich Schülerinnen und Schüler, die Kontaktpersonen sind, sich nach fünf Tagen freitesten können. Aber alles andere ist sehr sehr unterschiedlich gehandhabt."
Meidinger räumte ein, dass es schwierig sei, eine vernünftige Regelung zu finden. Zum einen wäre aber ein Orientierungsrahmen hilfreich, da Präsenzunterricht ab einem gewissen Infektionsgeschehen "wahrscheinlich schwer durchzuhalten wäre". Man habe bereits gesehen, dass auch ohne Anordnung Schulen schließen mussten. Zum anderen brauche man aber auch einen gewissen Entscheidungsspielraum vor Ort, da es auch auf die Personalversorgung an den jeweiligen Schulen ankäme.
"Ich glaube, im Ziel sind wir uns alle einig, dass wir Präsenzunterricht möglichst lange aufrechterhalten wollen, allerdings eben nicht auf Teufel komm raus."
An die Politik erhob Meidinger im Gespräch mit RT DE schwere Vorwürfe: Es sei ein großes Ärgernis, dass man die Zeit nicht genutzt habe. An zahlreichen Schulen gebe es beispielsweise immer noch kein schnelles Internet, in solchen Fällen funktioniere auch der Distanzunterricht nicht besonders gut:
"Insofern hat die Politik ihre Hausaufgaben wirklich nicht gemacht und wir stellen jedes Mal fest: Wir sind, falls wieder Distanzunterricht kommt, wieder nicht gut darauf vorbereitet."
Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes stellte auch klar, dass die vergangenen zwei Jahre drastische Einschnitte für die Schüler mit sich gebracht hätten: Zum einen müssten Lernrückstände nachgeholt werden, was nicht nur Monate, sondern vielleicht auch Jahre dauern könne.
"Das andere ist: Wie kann man die psychischen, die sozialen Schäden aufholen. Da fürchte ich, dass bestimmte Dinge überhaupt nicht reparabel sind. Diese Vereinsamung, die stattgefunden hat, der Verlust des geregelten Arbeitsalltages, auch die Spielsucht und Computersucht, die gefördert worden ist durch Schulschließungen, das wird uns noch lange begleiten."
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