Baerbock auf schwieriger Mission in Kiew und Moskau: Zwischen Nord Stream 2 und Waffenlieferungen

Der ukrainische Botschafter fordert von Deutschland Waffenlieferungen in sein Land, Russland fordert Garantien des Westens auch bezüglich der Ukraine. Die prominente Kritikerin an Nord Stream 2 reist nach Kiew und Moskau, während deutsche Erdgasspeicher ungewöhnlich leer sind.

Die neue Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) war bereits zu einem Antrittsbesuch in Washington, D.C. und zu Gast bei Freunden. Nun will sie nacheinander Kiew und Moskau besuchen. Dabei trägt auch die deutsche Außenpolitik bereits seit der Amtszeit von Frank-Walter Steinmeier noch als Minister im Auswärtigen Amt Mitverantwortung für die Entwicklung in der Ukraine bis heute.

Der Westen glaubt sich bedroht durch russische Truppen in deren eigenem Land, nämlich durch einen angeblichen Aufmarsch in der Nähe der Grenzen zur Ukraine. Gleichzeitig hat die Regierung in Kiew ihre Truppen an der inneren "Frontlinie" im Donbass verstärkt. An dieser Truppenkonzentration sind auch NATO-Truppen involviert, ganz im Widerspruch zu den Vorgaben der völkerrechtlich verbindlichen Minsker Vereinbarungen, die den Abzug aller ausländischen Truppen verlangen. So sind beispielsweise ständig britische Schiffe in ukrainischen Gewässern präsent, die der Ukraine beim Aufbau einer Marine helfen sollen, aber auch unzählige Ausbilder, die in den Gebrauch der neu gelieferten Waffen einweisen sowie weitere Unterstützung etwa bei der Cyberabwehr gewähren sollen. Die russische Regierung lehnt jede weitere Ausdehnung der NATO an Russlands Grenzen ab und sieht die Präsenz dieser Truppen dort als unmittelbare Bedrohung der nationalen Sicherheit.

Die Ukraine fordert von Deutschland, dass Nord Stream 2 nicht in Betrieb genommen werden dürfe und außerdem die neue Regierung in Berlin Waffenlieferungen an Kiew zustimmen solle. 

Im Vorfeld ihrer Reise warb Baerbock zwar für einen "ernsthaften Dialog" mit Russland, aber auch für eine entschlossene Reaktion: 

"Wir sind bereit zu einem ernsthaften Dialog über gegenseitige Vereinbarungen und Schritte, die allen in Europa mehr Sicherheit bringen, auch Russland."

Am Montagmorgen veröffentlichte das Auswärtige Amt eine Erklärung, die sich augenscheinlich an Skeptiker und Kritiker ihrer Auslandsreise richtet:

Als erster Termin steht in Kiew ein Treffen mit Vertretern der Beobachtermission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) an. Die OSZE soll die Einhaltung aller Verpflichtungen aus den Minsker Vereinbarungen überwachen. Danach ist die Zusammenkunft mit dem ukrainischen Präsidenten Wladimir Selenskij und dem ukrainischen Außenminister Dmitri Kuleba geplant. Dienstag wird die Grünen-Politikerin dann in Moskau auf den russischen Außenminister Sergei Lawrow treffen und verkündete zuvor: 

"Ich will vor Ort ausloten, ob es die Bereitschaft gibt, auf diplomatischem Weg zu Lösungen zu kommen – vor allem, den Normandie-Prozess wieder mit Leben zu füllen und endlich bei der Umsetzung der Minsker Vereinbarungen voranzukommen." 

Die Ukraine nutzt die vermeintliche Gunst der Stunde und fordert unterdessen auch von Deutschland Waffenlieferungen zur "Verteidigung". Baerbocks Parteikollege Robert Habeck hatte bereits mögliche Lieferungen von Defensivwaffen an Kiew in Betracht gezogen. Dem ukrainische Botschafter in Berlin Andrej Melnyk reicht das nicht: 

"Die Menschen in der Ukraine sind äußerst enttäuscht. Nun ist der Moment der Wahrheit gekommen, wer der echte Freund ist." 

Laut Koalitionsvertrag zwischen der SPD, Bündnis 90/Die Grünen und der FDP dürften auch künftig keine Waffen in Krisengebiete geliefert werden. Für den ukrainischen Botschafter aber ist solch ein Koalitionsvertrag kein Problem: 

"Dieses politische Dokument ist ja keine Bibel. Und die Welt steht derzeit vor der größten Gefahr eines riesigen Krieges mitten in Europa, des schlimmsten seit 1945!"

Deutschland zählte allerdings auch zu den diplomatischen Garantiestaaten für die Minsker Vereinbarungen, müsste also in Kiew auf deren Umsetzung, insbesondere hinsichtlich der Aufnahme direkter Verhandlungen Kiews mit den Vertretern der abtrünnigen, selbsternannten  Republiken Donezk und Lugansk drängen. In diesem Punkt sind die außenpolitischen Positionen von Bündnis 90/Die Grünen und die diplomatischen vertraglichen Verpflichtungen Deutschlands völlig konträr, von den Erwartungen des ukrainischen Botschafters in Deutschland ganz abgesehen.

Ein weiteres Thema auf dieser Reise wird die Gaspipeline Nord Stream 2 sein. Baerbock teilt die Kritik der Ukraine an der Ostseepipeline. Durch den Verlauf der Pipeline verliert die Ukraine die Rolle eines Transitlands durch die alten Rohrstränge auf dem Festland und fühlt sich benachteiligt. Es war jedoch die Ukraine, die vor Jahren eine Modernisierung dieser Transitleitung durch das gleiche Konsortium verhinderte, das dann später als Ausweg Nord Stream 1 und 2 errichtete.

Baerbock sieht die Auflagen für eine Genehmigung der fertiggestellten Pipeline als nicht erfüllt an. Der Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hingegen spricht von einem privatwirtschaftlichen Projekt außerhalb der Politik. Wirtschaftsvertreter fürchten zudem, dass ohne die Gaslieferungen durch Nord Stream 2 als Erweiterung für die seit zehn Jahren bewährte Ostseepipeline Nord Stream 1 die Grundlast der deutschen Energieversorgung nicht mehr sichergestellt ist. Selbst für erfahrene Außenpolitiker ist es vermutlich keine leichte Aufgabe, angesichts dieser Widersprüche einen diplomatischen und wirtschaftlich vertretbaren Ausweg zu finden.

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