Im Rahmen eines Interviews bei dem Videopodcast 19 – die Chefvisite beantwortete der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Gassen, am 13. Januar Fragen zur aktuellen Situation der Coronakrise in Deutschland. Das Interview wurde vom Chef der Uniklinik Essen, Professor Jochen A. Werner, zusammen mit dem Publizisten Jens de Buhr geführt.
Alle drei Beteiligten waren der Meinung, dass die Omikron-Variante im Vergleich zur zurückliegenden Delta-Variante des Coronavirus "leichtere Verläufe" mit sich bringe. Trotz dieses "positiven Effekts" könne sich jedoch ein "Ansturm" auf Hausarztpraxen anbahnen. Der Anstieg der Infektionszahlen in Deutschland gegenüber anderen Ländern, wie England, Italien und Frankreich, könnte laut Gassen als "fast moderat" bezeichnet werden. Sehr häufig wären entdeckte Omikron-Infektionen ein "Zufallsbefund", da die Verläufe oft "gar nicht spürbar wären" oder "das Erkältungstypische" überwiege.
Würde sich die Omikron-Variante als der "Gamechanger" herausstellen, von dem Virologen derzeit sprechen, und würde sich dadurch die Intensivbettenbelegung entspannen, sei eine höhere Belastung der ambulanten Praxen zu erwarten. Dies könne dann als "Weg aus der Pandemie" angesehen werden. Es gebe durch eine "hohe Dunkelziffer" nur wenige Erkenntnisse, um die Anzahl der Omikron-Infektionen bei Ungeimpften und "Geimpft-Geboosterten" zu belegen. Junge Menschen würden "wahrscheinlich" wenig davon merken, denn "offen gestanden haben die auch von Delta wenig gemerkt". In der Gesamtbetrachtung überwiege aber eine "Unschärfe" hinsichtlich der Auswirkungen einer Omikron-Infektion.
Politik, Wissenschaft sowie Medien sollten angesichts der aktuellen gesellschaftlichen Situation "semantisch etwas abrüsten". Gassen bezog das auf Verweise auf die "Bilder von Bergamo". Ihm sei "wichtig", dass Virologen herausstellen, "wir sind in einer neue Welt" – bezogen auf nun bekannte Zahlen "von geringeren Krankheitsverläufen, geringeren Todeszahlen". In Diskussionen solle stärker "das Grippeähnliche" herausgestellt werden. Die Politik sei daher schon jetzt gefordert, einen "Fahrplan aufzustellen, um mehr Freiheit zuzulassen":
"Die Perspektive muss ja ... irgendwann mal sein, wann wird es denn mal wieder, wie früher?"
Er habe den zudem Eindruck, dass, "etwas flapsig formuliert", Menschen, die eine Impfung bisher ablehnten, sich diese auch nicht "von einem Tierarzt geben lassen" würden. Er sei froh, dass seine Kinder schon erwachsen seien. Hätte er ein Kind zwischen fünf und zwölf Jahren, würde er dieses aktuell nicht impfen lassen. Vor allem mit dem Wissen um mildere Verläufe bei Infektionen von Kindern mit der Delta- oder Omikron-Variante. Eine Herzmuskelentzündung als potenzielle Nebenwirkung einer Impfung sei, "wenn auch reversibel, kein Spaß".
Zum Abschluss des Gesprächs wollte der Moderator von Andreas Gassen wissen, ob sich die Diskussion um eine Impfpflicht nicht "längst erübrigt" hätte: "Ist das nicht alles obsolet?" Gassen schildert daraufhin, wie er zum Jahresende 2021 mit Gesundheitsminister Lauterbach in einem Ausschuss zusammengesessen habe.
Dieser hätte ihm "sehr klar und nachvollziehbar dargelegt, und das war noch vor Weihnachten, dass eine Impfpflicht aus epidemiologischer Sicht keinen Sinn macht".
Dies begründete er mit der Unmöglichkeit der "Virus-Eradikation" (der Ausrottung des Virus). Weder eine Herdenimmunität noch ein Individualschutz würden gegen Infektionen mit dem Virus helfen. Jetzt, unter einer veränderten Virus-Variante, die "noch viel weniger gefährlich ist", und mit dem Wissen darüber, "dass Geimpfte keinen Infektionsschutz haben", mache für Gassen die Impfpflicht "medizinisch … keinen Sinn". Die "Rahmendaten" sprächen sogar gegen eine Impfpflicht, zumal die Impfquote "ja gar nicht so schlecht" sei. Tauche keine gefährlichere Variante als Omikron mehr auf, sei das Thema Corona "im Frühsommer beendet", so Gassen am Ende des Gesprächs.
"Logischerweise" hätte ein Großteil der Politiker, keinen medizinischen Sachverstand. Daher könne er es nicht nachvollziehen, dass in dieser Woche bei einer Diskussionsrunde des Bundespräsidenten mit "Impfgegnern" zum Thema "Impfskepsis" kein einziger Mediziner beteiligt gewesen sei. Das hätte "ihn aus den Schuhen gehauen", zeige aber "die Ignoranz der Politik", so Gassen abschließend.
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