Längst ist die Impfpflicht nicht mehr nur ein Thema unter Verschwörungstheoretikern. Die Debatte schwelt bereits seit Wochen und erreicht nun einen vorläufig neuen Höhepunkt. Grund ist nicht zuletzt die sich aktuell weiter ausbreitende Omikron-Variante und die damit einhergehenden Meldungen über steigende Infektionszahlen. Gleichzeitig ist genau dieser Umstand dafür verantwortlich, dass die Impfpflicht nun wieder wackelt – zumindest in Österreich.
Dort soll die im Dezember beschlossene Impfpflicht eigentlich zum 1. Februar eingeführt werden – samt eines nationalen Impfregisters. Waren es bisher nur sogenannte Corona-Leugner und Impfgegner die sich gegen eine verpflichtende COVID-Impfung aussprachen, mehren sich nun Experten-Stimmen, die die Impfpflicht ebenfalls mit Skepsis betrachten. So etwa der Epidemiologe Gerald Gartlehner von der Donau-Uni Krems, Im ORF-Fernsehen forderte der Fachmann nun, die Maßnahme neu zu bewerten.
So sei "wegen hoher Ansteckungszahlen durch Omikron (…) ein bisher unerreichtes Ausmaß an Immunität in der Bevölkerung zu erwarten". Gleichzeitig sank die Impfbereitschaft im Alpenland zuletzt wieder deutlich, nachdem sie im Anschluss an die Verkündung der Impfpflicht angestiegen war. Auch die praktische Umsetzbarkeit des Impfregisters bis zum festgesetzten Termin wirft demzufolge Fragen auf.
In Deutschland kommt es am Freitag zum Bund-Länder-Treffen, um die Pandemie-Situation in Deutschland neu zu bewerten. Anders als etwa Gartlehner in Österreich argumentierte hierzulande Gesundheitsminister Karl Lauterbach zuletzt, dass eine "schmutzige Impfung" keinesfalls eine Alternative zur Impfung darstelle.
"Wir können nicht darauf warten, dass eine Impfpflicht überflüssig wird, weil wir eine sehr hohe Durchseuchung der Bevölkerung haben. Omikron als schmutzige Impfung ist keine Alternative zur Impfpflicht. Das wäre sehr gefährlich."
Die Impfpflicht sollte "schnell kommen", so Lauterbach. Und neben der schmutzigen Impfung sprach der Talkshow-Experte und Mediziner Lauterbach auf dem Kurznachrichtendienst Twitter auch bereits von der "billigen Impfung".
Auf ein Impfregister will Lauterbach bei der Einführung der allgemeinen Impfpflicht derweil verzichten. "Er soll unbürokratisch sein und bevorzugt ohne Impfregister auskommen. Es soll auch keine neuen Meldestrukturen geben".
Doch auch hierzulande mehren sich die kritischen Stimmen was die Einführung einer Impfpflicht angeht. So mag etwa Justizminister Marco Buschmann einer solchen nur noch unter bestimmten Bedingungen zustimmen. Erste Erkenntnisse deuteten darauf hin, dass "wir mit Omikron in eine neue Phase der Corona-Pandemie steuern", so der FDP-Politiker in einem Zeit-Interview. Sollte eine Impfpflicht mit einer deutlichen "Vergrößerung des Freiheitsspielraums" für die Menschen einhergehen, spräche vieles für deren Einführung.
"Wenn das Impfen hingegen absehbar nur für zwei, drei Monate helfen sollte, aber ansonsten im Grunde alles bleibt, wie es ist, dann spricht das eher gegen eine Impfpflicht".
Der stellvertretende FDP-Vorsitzende Wolfgang Kubicki und weitere FDP-Abgeordnete hatten sich in einem Antragsentwurf bereits klar gegen eine Impfpflicht ausgesprochen - aufgrund verfassungsrechtlicher und praktischer Probleme. FDP-Chef Lindner positionierte sich nun ebenfalls zurückhaltender, nachdem er im Wahlkampf eine allgemeine Impflicht abgelehnt und diese dann Anfang Dezember befürwortet hatte. "Der Schutz der Gesundheit ist ein hohes Gut, aber das höchste Gut unserer Verfassung, das ist und bleibt die Freiheit", teilte Lindner nun mit. Eine Impfpflicht sei hingegen als empfindlicher Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Menschen zu bewerten. Darüber gelte es nun ohne Parteilinien zu entschieden.
Zudem könne man aufgrund der Lageentwicklung rund um die Omikron-Variante des Coronavirus gegenwärtig noch nicht entscheiden, so Lindner am Rande des traditionellen Dreikönigstreffens der FDP in Stuttgart. "Deshalb ist gut, dass wir uns noch etwas Zeit lassen. Für die fünfte, für die Omikron-Welle, würde eine allgemeine Impfpflicht ebenfalls ja auch noch keinen Beitrag leisten."
Und während man sich in der Ampel-Koalition in Sachen Impfpflicht nicht mehr grün ist, meldet sich die Union aus der Opposition heraus zu Wort. Die Bundesregierung und insbesondere Kanzler Olaf Scholz müssten nun Farbe bekennen.
Laut Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus sei die genaue Ausgestaltung einer möglichen Impfpflicht eine "Führungsentscheidung" und eine der "wichtigsten Fragen überhaupt". Jetzt brauche es einen nationalen Konsens zum Thema. "Und der nationale Konsens muss durch den Bundeskanzler hergestellt werden".
Und wie u.a. die Welt am Donnerstag berichtete, werden die eigentlich bereits für die kommende Woche geplanten Beratungen über eine mögliche Impfpflicht im Bundestag verschoben. Dies sei "nach Angaben aus Fraktionskreisen nötig geworden, weil die Vorbereitung der verschiedenen Gesetzentwürfe länger dauere als geplant. Zudem solle das stark umstrittene Thema im Parlament ausführlich und ohne Eile debattiert werden, um einen breiten Konsens zu erzielen".
Währenddessen warnte Gesundheitsminister Lauterbach nun vor einem Kurswechsel beim Thema Impfpflicht. Er halte eine allgemeine Corona-Impfpflicht in Deutschland weiterhin für sinnvoll. Gegenüber dem Fernsehsender Welt teilte er mit: "Eine Impfpflicht halte ich für wichtig, um im Herbst zu verhindern, dass wir dann schon wieder vor diesem Problem stehen, das wir jetzt haben."
Es sei sehr unwahrscheinlich, dass Omikron die letzte wichtige Virusvariante sein werde. Außerdem seien auch Varianten vorstellbar, die so ansteckend wie Omikron aber gefährlicher seien. Schutz böte da vor allem die Impfpflicht.
"Dafür muss ich vorbereitet sein und da wäre für mich eine Impfpflicht das Wichtigste, weil ich dann sehr schnell die Bevölkerung vor einer solchen schweren Bedrohung immunisieren könnte."
Über eine allgemeine Impfpflicht gegen Corona soll der Bundestag nach derzeitiger Planung in freier Abstimmung ohne Fraktionsdisziplin entscheiden. Erneut warnte Lauterbach davor, eine sogenannte Durchseuchung durch Omikron als "eine Art schmutzige Impfung" anzusehen. Dies werde seiner Einschätzung nach "sehr viele Menschen schwer krank hinterlassen".
Nach Ansicht des Gesundheitsministers sei es "völlig offen", ob eine Infektion mit Omikron später vor neuen Varianten schütze. Gleichzeitig versuchte der SPD-Minister jüngsten Befürchtungen zu begegnen, die bisher vor allem sogenannte Impfkritiker umtrieben.
"Es ist auch noch nicht gesagt, dass man sich ständig impfen lassen muss."
Die Impfstoffe, die vor zwei Jahren entwickelt worden seien, böten immer noch einen "sehr guten Schutz vor Tod und schwerer Erkrankung".
Mehr zum Thema - Herausgeber Stefan Aust: Virologen der No-COVID-Strategie "in Wirklichkeit Quacksalber"
(rt de/dpa)