von Susan Bonath
Bin ich gut genug? Werde ich die Zukunft meistern können? Derartige Fragen und Ängste machen in dieser Zeit politischer, wirtschaftlicher und sozialer Umbrüche offenbar immer mehr Jugendlichen zu schaffen. Einem neuen Kinder- und Jugendreport der Deutschen Angestellten-Krankenkasse (DAK) zufolge stieg die Zahl der wegen Depressionen ambulant oder stationär behandelten 15- bis 17-Jährigen im ersten Corona-Jahr 2020 um acht Prozent gegenüber 2019. Darüber hinaus könnte es eine Dunkelziffer vieler unbehandelter Fälle geben.
Bei jüngeren Kindern zwischen fünf und 14 Jahren gingen die Behandlungen aufgrund von Depressionen hingegen leicht zurück. Ebenso wurden 28 Prozent weniger Minderjährige ab einem Alter von zehn Jahren wegen Alkoholmissbrauchs und 13 Prozent weniger wegen Problemen durch Cannabis-Konsum in eine Klinik eingeliefert.
Weniger Alkohol, mehr harte Drogen
Diesen Rückgang führte der Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) Thomas Fischbach allerdings auch auf besondere Bedingungen durch die Corona-Maßnahmen zurück. Dass weniger Kinder wegen des Missbrauchs dieser Suchtmittel behandelt wurden, könne "auch damit zusammenhängen, dass Eltern stark mit sich selbst beschäftigt waren", sagte er laut einer Mitteilung. So könnten den Eltern die Probleme ihrer Kinder weniger aufgefallen sein. Möglicherweise hätten sich auch deshalb weniger Minderjährige bei Ärzten vorgestellt.
Während allerdings die Meldefälle mit Alkohol- und Cannabis-Missbrauch zurückgingen, landeten knapp fünf Prozent mehr Kinder und Jugendliche als 2019 beim Arzt oder in einem Krankenhaus, weil sie Opioide, Schlaftabletten, Kokain, Halluzinogene oder Lösungsmittel eingenommen hatten. Die Fälle von Missbrauch mehrerer harter Drogen gleichzeitig stieg ebenfalls um 2,6 Prozent an.
Die jüngeren Kinder unter zehn Jahren litten deutlich häufiger unter einer übermäßigen Gewichtszunahme. Die Zahl der einem Arzt vorgestellten Kinder mit Adipositas wuchs in dieser Altersgruppe um fast 16 Prozent gegenüber dem Vorjahr, bei den Zehn- bis 14-Jährigen um zwei Prozent. Damit verschoben sich im ersten Pandemie-Jahr auch die Krankheitsbilder bei Minderjährigen deutlich. Arztkonsultationen wegen Infektionserkrankungen gingen stark zurück, während etwa Sprachstörungen und psychiatrische Erkrankungen häufiger behandelt wurden.
Überfüllte Kinderpsychiatrien
Dass die Pandemie-Maßnahmen Kinder und Jugendliche zunehmend psychisch beeinträchtigen und die Wartelisten in den Kinderpsychiatrien länger werden, ist schon länger bekannt. So zeigte sich hier im ersten Halbjahr 2021 eine auffällige Zunahme von Notfällen.
Im November forderte deshalb die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) von den Regierenden mehr Schutzmaßnahmen für die schwächsten Mitglieder der Gesellschaft. "Die Auswirkungen der Pandemie und das Leiden der Heranwachsenden und Familien erleben wir täglich in unseren Praxen", sagte deren Vorstandsmitglied Michaela Willhauck-Fojkar. Bereits im Juli dieses Jahres hatten Kinderpsychologen zunehmende Engpässe gemeldet und vor einem Notstand gewarnt.
Zwei Länder sperren ungeimpfte Kinder aus
Bayerns Staatsregierung unter Ministerpräsident Markus Söder (CSU) ficht das offenbar nicht an. Unbeirrt setzt diese nun die 2G-Regel (Geimpft oder Genesen) für Kinder und Jugendliche ab zwölf Jahren um, bis Jahresende gilt lediglich eine Übergangsfrist. Das könnte die Probleme für Minderjährige und ihre Familien verschärfen, denn wer diese Bedingungen nicht erfüllt, ist praktisch von allen Freizeitangeboten ausgeschlossen, darunter auch Schwimmbäder oder Jugendvereine. Die Grünen in der Opposition warfen der regierenden CSU vor, Kinder so von jeder sozialen Teilhabe auszuschließen. Um dem Infektionsschutz Genüge zu tun, reiche es auch, wenn Kinder und Jugendliche sich testen lassen.
Den Infektionsschutz führt auch die niedersächsische SPD/CDU-Regierung ins Feld, um für ungeimpfte Kinder ab zwölf Jahren ohne Genesenen-Ausweis das kommende Jahr mit einem 2G-Lockdown einzuläuten.
Dagegen stemmen sich der Kinderschutzbund und die Grünen in der Opposition.
Ihr Vorwurf: Kinder müssten nun die Impfentscheidung ihrer Eltern mit dem Entzug sozialer Teilhaberechte ausbaden, dies dürfe nicht sein. Die Landesregierung unter Stephan Weil (SPD) überlegt indes lediglich, ob sie die Altersgrenze für die 2G-Regel noch auf 14 Jahre anhebt. Denn ab diesem Alter hätten Jugendliche ein Mitspracherecht bei der Impfentscheidung.
Kinderschutzbund: Erwachsene müssen Kinder schützen, nicht umgekehrt
Die Grünen nannten dies "unverhältnismäßig", der Kinderschutzbund warnte davor, die Schutzbefohlenen weiter zu belasten. Diese hätten bereits genug Opfer erbracht, jetzt müssten Erwachsene damit beginnen, Kinder zu schützen. Die FDP forderte indes die Landesregierung auf, die Einführung von 2G für Kinder und Jugendliche zu verschieben, bis alle, die noch nicht geimpft seien, dies vollständig nachholen könnten.
Angesichts hoher Quoten von Impfdurchbrüchen – laut Robert Koch-Institut (RKI) waren im November mindestens die Hälfte aller positiv Getesteten "vollständig immunisiert" – ist es ohnehin höchst fraglich, ob die 2G-Regelung zur Eindämmung des Coronavirus beitragen kann. Die Pandemie der Depressionen unter Kindern und Jugendlichen wird sie jedenfalls eher befördern.
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