Bund und Länder wollen Kommunikationsdienste wie Telegram regulieren und damit stärker gegen die Verbreitung von sogenannten Verschwörungstheorien und "Hass und Hetze" in der Querdenker-Szene vorgehen. In einer Beschlussvorlage, die ntv vorliegt, weisen die Länder darauf hin, dass Plattformen, "die sich mit dem Angebot öffentlicher Gruppen und Kanäle faktisch … zu einem offenen sozialen Netzwerk mit Massenkommunikation entwickeln", einer "angemessenen und hinreichend differenzierten Regulierung im Netzwerkdurchsetzungsgesetz" bedürften.
Damit dürfte sich die Beschlussvorlage vor allem auf den Messengerdienst Telegram beziehen. Neben der Kommunikation zwischen einzelnen Personen können Menschen in Telegram auch in öffentlich zugänglichen, nicht moderierten Gruppen kommunizieren. Der Messengerdienst galt bisher jedoch nicht als soziales Netzwerk, auch wenn Kritiker forderten, ihn als ein solches einzustufen. Bereits vor der Corona-Krise war Telegram vor allem bei IT-Experten beliebt, mittlerweile wird die Plattform verstärkt von Kritikern der Corona-Maßnahmen und der Querdenken-Bewegung nahestehenden Personen genutzt, da die Inhalte kaum gelöscht oder zensiert werden.
In der Beschlussvorlage heißt es zudem, dass man gegenüber den "Betroffenen von Hass und Hetze" Solidarität und uneingeschränkte Unterstützung anbiete. In einer "demokratischen Gesellschaft" müsse über die Corona-Maßnahmen diskutiert und gestritten werden. Morddrohungen und Fackelaufzüge vor Privathäusern seien hingegen inakzeptabel und ein "Angriff auf unsere Gesellschaft und unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung". Zuletzt hatte ein Fackelaufmarsch vor dem Haus von Sachsens Sozialministerin Petra Köpping für Empörung gesorgt. Zudem sollen in einer Telegram-Gruppe Gewaltfantasien und angebliche Mordpläne gegen Sachsens Ministerpräsidenten Michael Kretschmer geäußert worden sein.
In der Beschlussvorlage heißt es weiter, man sehe "mit großer Sorge", dass über Kommunikationsdienste "zunehmend Verschwörungstheorien, Lügen, Hetze, Anfeindungen und Aufrufe zur Gewalt verbreitet werden". Entsprechende Inhalte würden dazu beitragen, "die Gesellschaft zu spalten". Weiterhin seien zunehmende Radikalisierungstendenzen, "insbesondere bei der Querdenken-Bewegung", zu beobachten. Daher wolle man vermehrt auf Präventionsprogramme setzen, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, und zähle auf eine Erhöhung der Medienkompetenz, "couragiertes Verhalten im Netz" sowie "Argumentationshilfen gegen Verschwörungserzählungen".
Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, welches die Löschung von mutmaßlich rechtswidrigen Inhalten innerhalb von 24 Stunden vorschreibt, wird bisher vor allem bei sozialen Netzwerken wie Youtube, Facebook und Twitter angewandt. Doch mittlerweile gerät auch Telegram stärker in den Fokus der Justizbehörden, da das Portal nun verstärkt als soziales Netzwerk angesehen wird. Allerdings kooperieren die Telegram-Gründer bisher nicht mit staatlichen Behörden. Dies geht auch aus Medienberichten von NDR, WDR und der Süddeutschen hervor: Demnach habe das Bundesamt für Justiz in Bonn im April ein Schreiben, das offenbar an die entsprechenden Medien durchgestochen wurde, an die Adresse von Telegram in die Vereinigten Arabischen Emirate geschickt. In dem Brief heißt es, dass Telegram ein "soziales Netzwerk" mit mehr als zwei Millionen Nutzern in Deutschland betreibe. Damit unterliege es dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz von 2017 und sei verpflichtet, strafbare Inhalte zu sperren und zu melden. Telegram komme dieser Verpflichtung nicht nach, weshalb ein Bußgeld von bis zu 50 Millionen Euro drohe.
Im Medienbericht wird auch darauf eingegangen, dass Telegram in Ländern wie Iran, Weißrussland oder Syrien oft von Oppositionellen und Regimekritikern genutzt wird. In Deutschland ist der Messengerdienst den deutschen Behörden hingegen ein Dorn im Auge, da sich dort "Extremisten und Terroristen unterschiedlichster Ideologien" tummeln. Das Bundesamt für Justiz sandte zudem ein Schreiben an die Behörden in Dubai und bat das Justizministerium der Vereinigten Arabischen Emirate um Rechtshilfe. Laut Justizministerium habe die Erfahrung jedoch gezeigt, dass es wohl einige Zeit dauern werde, bis man eine Antwort erhalte. Im Schreiben an Telegram hatte man eine zweiwöchige Frist für eine Rückmeldung gesetzt, andernfalls müsse man "nach Aktenlage" entscheiden und ein Bußgeld verhängen. Bis heute gibt es von Telegram keine Antwort auf das Schreiben.
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