Der Kölner Rechtsanwalt Dirk Sattelmaier hat sich seit der Feststellung "einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite" durch den Deutschen Bundestag am 25. März 2020 gegen die damit verbundenen Einschränkungen der Grundrechte engagiert. Als Vorsitzender der Anwälte für Aufklärung unterstützt er deren Hauptanliegen, die neue pandemiebedingte Rechtslage juristisch zu bewerten.
Insbesondere stellen die Anwälte für Aufklärung die Angemessenheit der Maßnahmen, die durch die Änderung des Infektionsschutzgesetzes am 18.11.2020 legitimiert werden, hinsichtlich der Einhaltung grundlegender Menschenrechte in Frage. Diese Anwälte verteidigen diejenigen Menschen, die die Grundrechtseinschränkungen für rechtswidrig halten oder dagegen Widerstand leisten. Sattelmaier berichtet im Interview unter anderem darüber, was sich dabei an deutschen Gerichten abspielt. Das Interview führte Felicitas Rabe.
Herr Sattelmaier, als Strafverteidiger haben Sie zumeist mit Gesetzesbrechern zu tun, also mit Menschen, die eine gewisse "kriminelle Energie" mit sich bringen. Im Allgemeinen fügen Straftäter anderen Menschen einen Schaden zu oder schädigen die Gesellschaft. Aktuell werden Menschen angeklagt und wie Kriminelle behandelt, die sich nicht an die Maßnahmen und Vorschriften des neuen Infektionsschutzgesetzes halten. Ist die Verteidigung dieser Straftäter vergleichbar mit Ihren anderen Strafrechtsverfahren?
Neben den "gewöhnlichen" Strafverfahren, die ich in meiner bisherigen beruflichen Tätigkeit betreut habe, häufen sich seit September 2020 die Verfahren mit einem "Corona-Bezug". Das sind im Wesentlichen natürlich die gesamten Bußgeldverfahren, die nach vermeintlichen Verstößen gegen die jeweiligen Landesverordnungen erlassen wurden. Es kommen nun vermehrt die Strafverfahren hinzu, welche typischerweise mit dem Versammlungsrecht einhergehen. Darunter fallen z. B. Widerstandsdelikte gegen Vollzugsbeamte, vermeintliche Verstöße von Versammlungsleitern gegen Auflagen, Beleidigungen und auch Körperverletzungen.
Das Besondere hierbei ist, dass es sich fast ausnahmslos um Mandanten handelt, die bisher noch nie vor einem (Straf-)Gericht standen, also in der Regel als unbescholtene Bürger gelten. Viele haben Familie, stehen im Beruf und zahlten immer brav ihre Steuern. Nun werden sie zu Straftätern gemacht, wenn sie z. B. Versammlungen angemeldet haben oder wegen einer vermeintlichen Ordnungswidrigkeit in Gewahrsam genommen werden und hierbei Widerstand geleistet haben sollen. Das geht sehr schnell – für meine Begriffe viel zu schnell.
Die anschließende Verteidigung vor Gericht gestaltet sich in vielen Fällen von Beginn an schwierig. Denn diese Menschen wurden bzw. werden "erfolgreich" als "Querdenker" und "Corona-Leugner" diffamiert und tragen so bereits beim Betreten der Gerichtsgebäude diesen "Stempel". Auch im Gerichtssaal besteht die Gefahr einer Vorverurteilung durch den Richter oder die Richterin. Meine Aufgabe besteht darin, darauf zu achten, dass diese Menschen ein faires Verfahren bekommen. Das ist in diesen Zeiten keine Selbstverständlichkeit. Ich habe in den letzten 14 Monaten so viele Befangenheitsanträge gegen Richterinnen und Richter gestellt wie in meiner gesamten 19-jährigen Tätigkeit als Rechtsanwalt zusammen. Die Verfahren sind daher alles andere als gewöhnlich und somit nicht vergleichbar.
Gibt es vor allem Gerichtsverfahren, in denen die Maßnahmenverweigerer vor Gericht stehen, oder gibt es auch einen maßgeblichen Anteil an Klagen gegen den Staat?
Es gibt sicherlich mehr Straf- und Bußgeldverfahren als Verwaltungsverfahren, in denen die Bürger versuchen, ihre Rechte gegen den Staat geltend zu machen. Aber natürlich gibt es auch diese. Und wenn in sogenannten Hauptsacheverfahren – also Verfahren mit etwaigen Beweiserhebungen und Verhandlungen – Entscheidungen getroffen werden, haben diese durchaus weitreichende Folgen für sehr viele Menschen – auch wenn nur ein Kläger das Verfahren betrieben hat.
Als Beispiel nenne ich die Entscheidung des Bayerischen VGH (Verwaltungsgerichtshof), der die Ausgangssperre vom Frühjahr 2020 in Bayern für rechtswidrig erklärt hatte. Hier dürfte das Land Bayern alle Bußgelder, die darauf basieren, zurückzahlen müssen. Allerdings hat der VGH die Revision zum Bundesverwaltungsgericht zugelassen, weshalb eine endgültige Entscheidung noch aussteht. Ja, die Mühlen der (Verwaltungs-)Justiz mahlen langsam – für diese Zeit eben zu langsam. Deshalb sind ja auch die Strafverfahren mit ihren mündlichen Verhandlungen und Beweisaufnahmen derzeit so wichtig, da hier Erfolge erzielt wurden.
Was hat sich seit Einführung der epidemischen Lage an den Gerichten geändert?
Ich habe den Eindruck, dass auch bei vielen Richterinnen und Richter die Angst vorherrschend ist. Aber Angst lähmt, drängt die Rationalität in den Hintergrund und führt zu rein emotionalem Handeln und Denken. All das kann sich ein Gericht nicht erlauben. Das merke ich so vielen Verfahren. Das fängt schon bei der Maskenpflicht in Gerichtssälen an, die es nach dem Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) eigentlich nicht geben dürfte. Die Gerichte machen hier eine Ausnahmemöglichkeit des § 176 GVG seit nunmehr über einem Jahr zur Regel. Das darf nicht sein. Der Rechtsstaat zeigt so kein Gesicht mehr, was er meines Erachtens aber zwingend tun muss, wenn er jemanden verurteilt.
Können Sie uns ein paar Beispiele aus Ihrer alltäglichen Praxis vor Gericht nennen?
Ich selber bin bereits zweimal von Richterinnen dazu genötigt worden, die Maske aufzuziehen. Ansonsten hat man mir mit "der Räumung des Gerichtssaales" gedroht, was nicht anderes als meine gewaltsame Entfernung aus dem Saal bedeutet hätte. Derartige Ordnungsmaßnahmen sieht das GVG für Rechtsanwälte aber gar nicht vor. Wir sind Teil der Rechtspflege, weshalb uns ein besonderer Schutz zuteilwird. Und das hat seinen guten Grund. Aber dieser Grundsatz wird von manchen Gerichten mit Füßen getreten, was erschreckend ist. So etwas gab es vor "Corona" definitiv nicht.
Man hört häufig, dass Klagen gegen den Staat von den Gerichten abgelehnt werden – und Eilverfahren nicht zugelassen werden. Warum scheuen viele Richter die Verfahren, wenn sie doch öffentlich zu diesem Rechtsstaat und dem neuen Infektionsschutzgesetz stehen? Dann könnten sie dieses Recht doch auch enthusiastisch anwenden und umsetzen?
Die Gerichte – insbesondere die Verwaltungsgerichtsbarkeit – haben in der Corona-Zeit meines Erachtens vollkommen versagt. Sie haben eben nicht von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, Maßnahmen der Exekutiven zu überprüfen und zu korrigieren. Alle grundrechtseinschränkenden Maßnahmen wurden – zumindest in den Eilverfahren – durchgewunken.
Der Enthusiasmus lag eher im Durchwinken der Maßnahmen als in der Kontrolle und der Anwendung geltender und auch gelernter Rechtsgrundsätze – also eine vollkommen verkehrte Welt. Möglicherweise ändert sich das in den Hauptsacheverfahren – aber ich befürchte, dass auch hier der Maßnahmenenthusiasmus der Gerichte überwiegt.
Wie begründen Sie die Kritik der Anwälte für Aufklärung, dass die Gewaltenteilung in Deutschland aktuell nicht mehr gegeben ist?
Die Gewaltenteilung zeichnete sich bisher dadurch aus, dass eine Kontrolle unter den Gewalten stattfand. Diese Kontrolle scheint verloren gegangen zu sein: Das Parlament gibt sämtliche Befugnisse mit einer Gesetzesänderung zu "pandemischen Lage von nationaler Tragweite" aus der Hand. Die Gerichte stellen auf einmal das Grundrecht des Art. 2 GG auf Leben und körperliche Unversehrtheit als eine Art "Supergrundrecht", welches es bisher nicht war, allem anderen voran und winken nahezu alle grundrechtseinschneidenen Maßnahmen der Exekutive kritiklos durch. Wenn wir schließlich die Medien als sogenannte "vierte Gewalt" auch noch in die Pflicht nehmen, so hat auch hier keine Kontrolle stattgefunden. Oder haben Sie z. B. jemals von einem Moderator des öffentlichen Rundfunks eine wirklich kritische Frage an den Dauertalkgast Lauterbach vernommen?
Warum haben sich die Anwälte für Aufklärung gegründet, und worin besteht das Hauptanliegen?
Kritische Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte haben sehr rasch merken müssen, dass die Maßnahmen nicht dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprachen, den wir noch universitär rauf und runter beten und lernen mussten. Leider haben sich nicht genug Kolleginnen und Kollegen getraut, rechtzeitig ihre Meinung zu sagen. Vielleicht wäre es dann nicht so weit gekommen.
Unser wichtigstes Anliegen besteht darin, den Schutz des Grundgesetzes mit seiner freiheitlichen demokratischen Grundordnung in den Fokus zu stellen und diesbezügliche Gefahren zu benennen und aufzuzeigen. Wir wissen aus zahlreichen Zuschriften, dass es sehr viele Kolleginnen und Kollegen gibt, die dieses Anliegen unterstützen. Diese Kolleginnen und Kollegen haben aber viel zu verlieren und haben sich aus Angst vor diesem Verlust nicht getraut, offen ihre (juristische) Meinung zu vertreten. Ähnlich geht es sicherlich auch Richterinnen und Richtern sowie Staatsanwälten. Man sieht ja sehr eindrucksvoll am Fall Kimmich, wie groß der Druck werden kann, wenn man eine "falsche", sprich abweichende Meinung vertritt. Das sollte aus Sicht eines Juristen nahezu unerträglich sein, denn im Studium haben wir uns immer mit sogenannten Mindermeinungen "herumschlagen" müssen. Wir brauchten diese Mindermeinungen, um das juristische Argumentieren zu erlernen. Viele Juristen – egal ob Staatsanwälte, Richter, Rechtsanwälte und Verwaltungsjuristen – haben das offenbar "vergessen".
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