Hochwirksam und sicher? Jeder dritte "COVID-Tote" der letzten vier Wochen war durchgeimpft

Laut Medienberichten sollen fast nur ungeimpfte Corona-Patienten in deutschen Krankenhäusern liegen. Mit dieser Erzählung wollen Politik, Medien und Interessenvertreter den Ungeimpften die Schuld an einer angeblich drohenden Überlastung des Gesundheitswesens in die Schuhe schieben. Doch die RKI-Daten widersprechen dem.

Eine Analyse von Susan Bonath

Angeblich liegen "fast nur Ungeimpfte" auf den Corona-Stationen. Diese Schlagzeile jedenfalls verbreitete sich in dieser Woche wie ein Lauffeuer in den Medien. Den Anfang machte das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND), die Nachrichtenagentur dpa zog nach. Ob in Brandenburgs oder Bayerns Kliniken: Alle seien überfüllt mit Ungeimpften.

Bereits im September hatte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) vor einer „Pandemie der Ungeimpften“ gewarnt. Kürzlich griff auch das ZDF seine Worte wieder auf. Die Intensivstation im bayrischen Rosenheim sei mit jüngeren Ungeimpften voll belegt, hieß es. Sie seien verantwortlich für die "vierte Welle" – laut MDR auch in Sachsen. Es helfe niemandem, "wenn wir es verschweigen", mahnte ebenfalls der Tagesspiegel im Hinblick vorwurfsvoll an alle, die sich nicht impfen lassen. Das Blatt zitierte darin einen Charité-Arzt.

Jeder vierte Corona-Patient war ein "Impfdurchbruch"

Doch die Zahlen des Robert Koch-Instituts (RKI), auf das sich die Politik im Zweifelsfall beruft, zeigen seit Wochen ein ganz anderes Bild. Von einer "Pandemie der Ungeimpften" kann demnach keine Rede sein. Im jüngsten Wochenbericht, den das Bundesinstitut am Donnerstag veröffentlichte, gibt es auf Seite 23 für die vergangenen vier Wochen vom 13. September bis 10. Oktober einen weitaus höheren Anteil an sogenannten Impfdurchbrüchen an – Tendenz steigend.

Laut RKI-Bericht waren in der Altersgruppe der über 60-Jährigen bereits 55,4 Prozent, also mehr als die Hälfte der symptomatisch erkrankten Corona-Patienten doppelt geimpft. Wobei angefügt werden muss, dass das RKI diese Fälle erst dann als "Impfdurchbruch" erfasst, wenn die zweite Impfung zum Zeitpunkt des positiven Corona-Tests mindestens zwei Wochen zurücklag.

Bei den jüngeren Erwachsenen betrug die so erfasste Rate an "Impfdurchbrüchen" 31,6 Prozent. Insgesamt waren in den zurückliegenden vier Wochen demnach 35.079 von 100.039 COVID-19-Patienten mit Symptomen zweimal geimpft, das sind rund 35 Prozent, also mehr als ein Drittel.

Seit einigen Wochen hat man sich darauf geeinigt, dass die Impfung mit einem der vier COVID-19-Vakzine zwar eine Ansteckung nicht vollständig ausschließe. Sie schütze aber sicher vor schweren Krankheitsverläufen. Doch angesichts der Zahlen gerät auch das ins Wanken: In Altersgruppe 60 plus zählte das Bundesinstitut fast 40 Prozent der im Krankenhaus behandelten Corona-Patienten als "Impfdurchbruch", bei den jüngeren Erwachsenen bezifferte es ihren Anteil mit 15,3 Prozent. Insgesamt lag der Anteil der zweifach Geimpften in Krankenhäusern damit bei rund 27 Prozent.

Ein Drittel der Corona-Toten war fertig geimpft

Schließlich entlarvt das RKI selbst die Meldungen von "fast nur Ungeimpften" auf Intensivstationen (ITS) als nicht haltbar. Demnach erfasste es 141 von 490 über 60-jährigen ITS-Patienten in den vier Wochen zwischen Mitte September und Mitte Oktober als "Impfdurchbruch" – das sind knapp 29 Prozent. Bei den jüngeren Erwachsenen zählte es ein gutes Zehntel "Impfdurchbrüche", insgesamt summiert sich der Anteil damit auf ein gutes Fünftel.

Noch höher ist sogar der Anteil der "Durchgeimpften" bei den sogenannten COVID-19-Todesfällen. Insgesamt waren 155 von 480 Verstorbenen vollständig geimpft, das waren 32,3 Prozent, also fast ein Drittel. In der Altersgruppe 60 plus, in der demnach die allermeisten starben, betrug der Anteil der "Impfdurchbrüche" unter den Toten sogar fast 35 Prozent.

Dass die Zahl der "Impfdurchbrüche" steigt, ist allerdings schon länger bekannt. Und sie lag auch in den vier Wochen davor, vom 16. August bis 12. September, bereits höher, als offiziell bekannt gegeben. Laut entsprechendem Wochenbericht waren in diesem vorangegangenen Vierwochen-Zeitraum insgesamt 27.223 von 114.627 symptomatischen COVID-19-Patienten zweifach geimpft. Die Quote stieg damit von einem knappen Viertel auf ein gutes Drittel, bei den über 60-Jährigen sogar von 44,8 auf 55,4 Prozent. Bei den Hospitalisierten kletterte die "Durchbruchsquote" laut RKI binnen Monatsfrist von elf auf 27 Prozent, bei den auf einer ITS Behandelten von zehn auf über 20 Prozent, bei den Toten von 23 auf 32,3 Prozent.

Irreführung durch das Gesundheitsministerium?

Die Bundesregierung lässt sich allerdings von diesen Zahlen nicht beeindrucken. In ihrer von Steuergeldern finanzierten Impf-Werbekampagne propagiert sie immer noch die Zahlen der ersten Studien, mit denen die Vakzinhersteller Ende 2020 die Zulassung erhielten. So schreibt sie den Vakzinen von Pfizer/BioNTech und Moderna weiterhin eine "Wirksamkeit" von 95 Prozent zu, dem Mittel von AstraZeneca 80 und dem Impfstoff von Johnson & Johnson 65 Prozent. 

Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) lobt in sozialen Medien wie Facebook beispielsweise:

"Alle in Deutschland zugelassenen Impfstoffe schützen wirksam und sicher gegen einen schweren Krankheitsverlauf, auch bei den bisher bekannten Virusvarianten." Zudem sei "das Risiko einer Ansteckung deutlich niedriger als ohne Impfung".

"Falsch" sei dagegen, so das BMG, dass die "tatsächliche Wirksamkeit der Impfstoffe niedriger ist als bisher bekannt". Wer auf ein anderes Ergebnis komme als das BMG, interpretiere die wissenschaftlichen Daten falsch.

Noch am vergangenen Wochenende verbreitete das BMG ein Video, in dem es heißt, die Impfstoffe verhinderten "mit hoher Wahrscheinlichkeit" einen schweren Krankheitsverlauf; außerdem seien "fast alle" COVID-19-Klinikpatienten ungeimpft.

Zur Untermauerung seiner Theorien präsentiert das BMG ein Video mit einem Säulendiagramm, dass verdeutlichen soll, wie viel mehr Ungeimpfte in den Krankenhäusern mit Corona lägen. Doch die aktuelle Entwicklung stellt der Clip nicht dar. So fast das BMG darin die RKI-Zahlen zu doppelt geimpften Corona-Patienten von Anfang Februar bis heute zusammen.

Auf diese Weise fallen die Zahlen der "Impfdurchbrüche" viel geringer aus, als sie inzwischen sind. Das rührt daher, dass zu Anfang die Impfquote deutlich geringer war. Es gab einfach noch nicht so viele Geimpfte. Ein weiteres Problem taucht auf: Das BMG präsentiert alle anderen als "ungeimpft". Dabei ist gar nicht bekannt, wie viele dieser Betroffenen bereits ein- oder zweimal geimpft waren. Denn wie gesagt: Ein Impfdurchbruch wird erst angenommen, wenn von der Zweitimpfung bis zum Positivtest mindestens 14 Tage vergangen sind. Das ist irreführend, denn es spiegelt nicht die aktuelle Realität wider.

Seltsame Berechnungsmethoden des RKI

Möglicherweise orientiert sich das BMG doch am RKI. Das deutet seine eigenen Zahlen nämlich wenig nachvollziehbar. Obwohl die Rate an Impfdurchbrüchen bei den hospitalisierten über 60-Jährigen zwischen dem 13. September und 10. Oktober bei 39,6 Prozent lag, schreibt das Institut dieser Altersgruppe eine 87-prozentige Schutzwirkung vor Hospitalisierungen, also Klinikaufenthalten zu. Und obgleich in diesen vier Wochen 28,8 Prozent der über 60-jährigen Intensivpatienten als Impfdurchbruch erfasst waren, und in den vier Wochen davor immerhin auch schon 17 Prozent, attestiert es hier eine Wirksamkeit von 92 Prozent.

Auf Anfrage der Autorin, wie es auf diese Zahlen kam, reagierte RKI-Sprecherin Susanne Glasmacher am Freitag mit wenig Verständnis. "Die Zahlen sind im Bericht enthalten", gab sie zu verstehen und ging nicht weiter auf das Thema ein. In dem Bericht heißt es erläuternd dazu etwa:

"Zur Berechnung dieser Schätzer wird die Impfeffektivität über den Beobachtungszeitraum wochenweise berechnet und anschließend der Mittelwert aus den wochenweisen Einzelwerten gebildet."

Welche Wochen gemeint sind, wird allerdings nicht verraten, wahrscheinlich die gesamte Zeit von Beginn der Impfkampagne.

Hat das RKI die Daten geschönt?

Auch auf andere Fragen will die RKI-Sprecherin partout nicht eingehen. Etwa: Wie viele der als "ungeimpft" gezählten Corona-Patienten hatten tatsächlich bereits ihre erste oder gar beide Impfungen erhalten und nur die vorgeschriebenen zwei Wochen nach der letzten Spritze noch nicht herumgebracht?

Vor einigen Wochen hatte Glasmacher die Frage der Autorin unbeantwortet gelassen, ob bei allen als ungeimpft erfassten Patienten überhaupt der Impfstatus erhoben wurde. Kurz danach verschwanden ohne großes Aufsehen Tausende Patienten aus der Gruppe der angeblich Ungeimpften. Das RKI setzte der Beschreibung in der Tabelle ein "mit Angabe zum Impfstatus" hinzu.

So hatte es im Bericht vom 16. September beispielsweise fast 66.000 hospitalisierte über 60-Jährige seit Anfang Februar erfasst, denen es die "Impfdurchbrüche" gegenüberstellte. Im nächsten Bericht waren es plötzlich weniger als halb so viele, nämlich 32.000 mit "erfasstem Impfstatus". Offenbar hatte das Institut die Durchbruchsrate kleingerechnet, indem es Patienten der Gruppe „ungeimpft“ zuschob, bei denen gar keine Informationen dazu vorlagen.

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RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.

Information:

Sicherheit und Wirksamkeit der Corona-Impfstoffe sind umstrittene Themen. Zahlreiche Experten in Wissenschaft, Politik und Medien schätzen diese als sicher und effektiv ein, da sie das Risiko einer schweren COVID-19-Erkrankung weitgehend verhindern und die Vorteile einer Corona-Impfung die Risiken und Nebenwirkungen überwiegen. Langzeitnebenwirkungen der Impfungen sind generell nicht bekannt. Auch Risiken wie der ADE-Effekt (antibody-dependent enhancement, auf Deutsch: infektionsverstärkende Antikörper) wurden bisher bei weltweit Milliarden verabreichter Impfstoff-Dosen nicht beobachtet. Auch, dass Gensequenzen von beispielsweise mRNA-Vakzinen in die menschliche DNA eingebaut werden, gilt in Fachkreisen als ausgeschlossen. Stellungnahmen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der bundesdeutschen Ständigen Impfkommission (STIKO) beim Robert Koch-Institut (RKI) lassen sich hier und hier nachlesen.