Von Tilo Gräser
Die Linkspartei in der nächsten Bundesregierung? Das erscheint manchem nach der Wahl am 26. September möglich, vor allem in dieser Partei selbst. Davon künden Aussagen wie die des Linksfraktionschefs im Bundestag Dietmar Bartsch. Der erklärte in den letzten Tagen mehrmals, seine Partei beharre nicht auf einen NATO-Austritt der Bundesrepublik – wenn sie mitregieren sollte.
Doch keine der anderen potenziellen Regierungsparteien wird sich solche Gedanken machen. Die im Wahlprogramm der Linkspartei umrissene Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik garantiert, "dass die SED-Nachfolgepartei einer wie auch immer zusammengesetzten künftigen Bundesregierung nicht angehören wird".
Das macht zumindest Wolfgang Labuhn in einem Beitrag im aktuellen Heft der Zeitschrift Europäische Sicherheit & Technik (ES&T – Heft 9/2021) klar. Der Autor ist Berlin-Korrespondent der Zeitschrift und hat früher unter anderem für den Deutschlandfunk gearbeitet. ES&T gilt als Plattform der Rüstungsindustrie und wird laut Impressum in Zusammenarbeit mit der Bundeswehr und dem Bundesverteidigungsministerium herausgegeben.
Missachtetes Militär?
Insofern ist nicht überraschend, wenn Labuhn beim Blick in die Wahlprogramme der derzeit im Bundestag vertretenen Parteien anscheinend bedauernd feststellt:
„Obwohl das Verteidigungsministerium über den zweithöchsten Einzeletat im Bundeshaushalt verfügt, hat die Sicherheits- und Verteidigungspolitik für keine der im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien hohe Priorität.“
Zumindest ist das Thema bei den Unionsparteien "schon auf den ersten Seiten zu finden", so der Autor.
Er gibt wieder, was CDU und CSU alles für die NATO und die Bundeswehr tun wollen. Beide Parteien wollen sich für das NATO-Ziel von zwei Prozent des Bruttosozialprodukts (BSP) "für die Sicherheit" starkmachen. Laut Unionswahlprogramm wird die "freiheitlich-demokratische Ordnung" durch "autoritäre Staaten" und insbesondere durch China bedroht. Mit dem Reich der Mitte solle auch kooperiert werden, heißt es, aber "nur im Rahmen eines fairen Wettbewerbs unter gleichen Bedingungen und der Wahrung des Prinzips der Gegenseitigkeit".
Auch Russland fordert aus Unionsperspektive den Westen heraus, der sich dagegen wappnen müsse – "militärisch mit der Fähigkeit zur glaubhaften Abschreckung und Resilienz", politisch mit Dialogbereitschaft. Selbstverständlich wollen CDU und CDU die transatlantischen Verbindungen mit den USA pflegen und die NATO stärken. Zudem soll die Bundeswehr bis zum Jahr 2030 mindestens zehn Prozent der militärischen NATO-Fähigkeiten stellen.
Ja zu Drohnen
In der Bundesrepublik selbst will die Union eine "neue Sicherheitsarchitektur", mit einem "Nationalen Sicherheitsrat" im Kanzleramt, so Labuhn. Die Bundeswehr soll materiell mit einem "Bundeswehrplanungsgesetz" und einer Personalaufstockung auf 203.000 Uniformierte abgesichert werden. Letztere sollen "im Einsatz" auch durch Drohnen "geschützt" werden, so die Unionsparteien.
Drohnen will ebenfalls die SPD, gern auch bewaffnet, aber erst nach einer umfangreichen Debatte. Ansonsten ist ES&T-Autor Labuhn unzufrieden mit den Sozialdemokraten, weil in deren "Zukunftsprogramm" die Bundeswehr erst auf Seite 63 von 66 genannt wird. Doch für die mitregierende Partei ist die NATO als "tragender Pfeiler der transatlantischen Partnerschaft und für Europas Sicherheit unverzichtbar".
Zudem soll die Europäische Union (EU) militärisch eigenständiger werden und eine "Europäische Armee" als Teil einer "Friedensmacht Europa" aufgebaut werden. Bis dahin soll die Bundeswehr nicht zu kurz kommen, versichert die SPD laut Labuhn. Es würden aber keine Aussagen zur "nachhaltigen Finanzierung" des Militärs gemacht, bedauert der Autor.
Konkurrenzlose NATO?
Im EU-Umfeld werde Russland als wichtigster Gesprächspartner bezeichnet und zugleich Moskau vorgeworfen, "regelmäßig internationales Recht" zu brechen. Labuhn berichtet, dass die FDP in ihrem Programm die "Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik" (GASP) der EU fördern will. Das schließe eine "Europäische Armee" ebenso wie das Bekenntnis zur NATO als "konkurrenzlos erfolgreiches Sicherheitsbündnis" ein.
Die Liberalen wollen demnach ebenso einen "Nationalen Sicherheitsrat" sowie, dass die Bundesrepublik drei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts (BIP) für "Verteidigung, Entwicklung und Diplomatie" ausgibt. Die Bundeswehr soll mehr Geld für mehr Einsatzbereitschaft bekommen und modernisiert werden, so die FDP.
Dagegen wollten die Grünen die Armee einst abschaffen, wovon heute bei Bündnis 90/Die Grünen natürlich keine Rede mehr ist. Und so stellt Labuhn unter anderem beim Blick ins bündnisgrüne Wahlprogramm fest:
„Aber die Grünen erkennen nun überraschenderweise auch an, dass Kampfdrohnen 'Soldat*innen in gewissen Situation' besser schützen können.“
Die einstige Antikriegspartei sei "erstaunlich weit über ihren (bisherigen) Schatten gesprungen".
Ansonsten geht es den Grünen aber vor allem um "Frieden und Sicherheit", stellt der ES&T-Autor fest. Das schließe Abrüstung und einen Stopp von Rüstungsexporten ein, aber ebenso "humanitäre Interventionen" als "Wahrnehmung internationaler Schutzverantwortung". Die Anwendung militärischer Gewalt soll die "Ultima Ratio" sein, so die Grünen.
"Auch die NATO kommt glimpflich davon", stellt Labuhn anscheinend beruhigt fest. Sie solle zwar strategisch neu ausgerichtet werden, werde aber als "unverzichtbare Akteurin" bezeichnet, "die die gemeinsame Sicherheit Europas garantieren kann". Das Zwei-Prozent-Ziel der NATO wird aber abgelehnt.
Konsequente Linkspartei?
Im Vergleich bleibt die Partei Die Linke in Sachen Krieg und Frieden konsequenter, wie auch die ES&-T-Auswertung zeigt. Da wird gefordert, die NATO aufzulösen und "ein kollektives Sicherheitssystem unter Beteiligung Russlands" gefordert. Nicht nur das entsetzt Labuhn, sondern ebenso der Linkspartei-Vorschlag für einen Deutsch-Russischen Vertrag. Ob es bei dem gleichfalls für Erschrecken des Autors sorgenden "Nein" der Linkspartei zu Bundeswehr-Auslandseinsätzen und "humanitären UN-Missionen" bleibt, kann bezweifelt werden.
Die Haltung der Partei Die Linke zur Armee sorgt im von der Bundeswehr unterstützten Magazin nicht überraschend für das Urteil "nicht regierungsfähig". Bei der "Alternative für Deutschland" (AfD) sind es unter anderem Aussagen in deren Wahlprogramm zu den "besten Traditionen der deutschen Militärgeschichte". Diese hätten sich "allerdings bis 1945 zu keinem Zeitpunkt mit demokratischen Traditionen" gedeckt, meint Autor Labuhn dazu. Das würde potenzielle Koalitionspartner abschrecken.
Atomwaffenfreies Deutschland
Das gilt aus Sicht des ES&T-Korrespondenten auch, weil die AfD sich wie die Linkspartei für ein besseres Verhältnis zu Russland einsetzt. Vielleicht gilt diese Passage im AfD-Wahlprogramm ebenso als "nicht regierungsfähig", auf die Labuhn nicht eingeht:
"Die AfD lehnt nukleare Erstschlagvorbehalte ab und setzt sich für die globale Abschaffung von ABC-Waffen ein. Ziel muss der Abzug aller Atomwaffen aus Deutschland, aber auch der auf Deutschland gerichteten atomaren Kurzstreckenwaffen sein. Damit würde die nukleare Teilhabe der Bundesrepublik obsolet."
Die rechtskonservative Partei will aber dennoch die "Wehrhaftigkeit Deutschlands" wiederherstellen. Deshalb soll mehr Geld für die Bundeswehr ausgegeben werden, weil diese sich in einem "desolaten Zustand" befinde. Und die "autonomen und leistungsfähige wehrtechnische Industrie in Deutschland" soll erhalten bleiben.
Labuhn zitiert weiter aus dem AfD-Wahlprogramm: "Die Bundeswehr soll wieder einen starken Korpsgeist, ihre Traditionen und deutsche Werte pflegen. Die Tugenden des Soldaten sind Ehre, Treue, Kameradschaft und Tapferkeit." Ob die AfD jemals mitregieren darf, wird die Zeit zeigen.
In der Linkspartei wird weiter vom Mitregieren auf Bundesebene geträumt, trotz geforderter NATO-Auflösung. "Das ist eine Vision", hatte Linkspartei-Außenpolitiker Gregor Gysi am 7. September in einem Deutschlandfunk-Interview dazu erklärt und hinzugefügt:
"Das hat mit der Koalition jetzt nichts zu tun."
Ob die NATO aufgelöst wird oder nicht, ist für Gysi "gar nicht so wichtig. An dieser Marginalie lassen wir kein Bündnis scheitern." Auch das führt zurück zu der Frage: Wen interessieren schon Wahlprogramme?
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