Im Endspurt des Superwahljahrs erfuhren die lange in der Bundespolitik als irrelevant geltenden Sozialdemokraten zuletzt derartigen Zuspruch in Umfragen, dass sie nunmehr in Talkshows befragt werden und ihrerseits darüber Auskunft geben, mit wem sie unter welchen Voraussetzungen zu koalieren bevorzugen. So gab der Generalsekretär der SPD Lars Klingbeil in der ntv-Sendung "Frühstart" staatsmännisch seine makropolitischen Präferenzen als unumstößliche Prinzipien kund sowie sogleich auch Kritik an all jenen, die diese nicht hinreichend mittragen.
Die tendenziöse Frage vom Moderator des Bertelsmann-Senders adressierte denn sogleich das Gelöbnis vom SPD-Kanzlerkandidaten Olaf Scholz zur NATO und der transatlantischen Verbundenheit, während dieser gleichzeitig eine Koalition mit der Linken aber noch nicht ausgeschlossen hatte: "Mal ernsthaft, bei der Linken können Sie darauf natürlich noch lange warten". Darauf antwortete Klingbeil, dass es zunächst um Prinzipien gehe:
"Wir kämpfen für unsere Inhalte und Prinzipien. Und dazu gehören ein klares Bekenntnis zu den transatlantischen Beziehungen, ein klares Bekenntnis zur Europäischen Union. Und dann werden wir nach dem 26. September genau gucken, mit wem ist das möglich, mit wem können wir diese Ziele umsetzen."
Gezielt ging er damit auf Distanz zu den derzeit vielgescholtenen Linken und wiederholte die Kritik, welche auch andere Abgeordnete zuvor geäußert hatten und ging deutlich auf Distanz zu deren antimilitaristische Linie, die bereits früher aller NATO-Befürwortern ein Dorn im Auge war. Der Linkspartei war von verschiedenen Seiten aufgrund ihrer nichtmilitärischen Einstellungen und der Kritik an der NATO mangelnde Regierungsfähigkeit unterstellt worden, auch von Grünen-Politikern wie Robert Habeck. Nicht nur der ntv-Moderator, auch in öffentlich-rechtlichen Nachrichtensendungen wurde die NATO-kritische Position von Linken als Ausschlusskriterium für jegliche Regierungsfähigkeit dargestellt.
Die Linke sei – wie ein politischer Teenager, den es zu maßregeln gelte – beim Thema Außen- und Sicherheitspolitik nicht berechenbar. Das habe sich gerade erst am Abstimmungsverhalten im Bundestag gezeigt, wo am Mittwoch über ein nachträgliches Bundeswehrmandat für die bereits angelaufene Evakuierung sogenannter Ortskräfte aus Afghanistan abgestimmt wurde, betonte nun auch Klingbeil. Er erachte es als "zutiefst unanständig", dass sich viele Abgeordnete dieser Partei bei der Frage nach einem Einsatz der KSK-Kräfte enthalten haben. Auch wenn die Linke seit jeher und aktuell auch auf Wahlplakaten mit dem Schlagwort "Frieden" wirbt, betonte Klingbeil, der Mitglied im Seeheimer Kreis von Siemtje Möller als einer ausgesprochenen Befürworterin militärischer Einsätze ist, die humanitäre Rolle, die das Militär derzeit spiele:
"Das Verhalten der Linkspartei war zutiefst unanständig. Aus meiner Heimatregion sind Soldaten in Kabul, unter Einsatz ihres Lebens. Sie haben in den letzten Tagen 5.000 Menschen gerettet, sie haben Leben gerettet, und das, was sie brauchen, ist volle Rückendeckung aus dem Parlament. Das hat die Linke gestern verweigert."
Siemtje Möller, verteidigungspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, macht sich auch für höchst umstrittene Rüstungsprojekte wie bewaffnete Drohnen stark, um damit womöglich in ihrem Wahlkreis, der auch Standort großer Bundeswehreinrichtungen ist, zu punkten. Und Klingbeil war bereits lange Jahre Mitglied des Präsidiums der Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik und im Förderkreis Deutsches Heer (FKH). Das beschreibt sich selbst als Forum für jene, die sich "umfassend und aktiv der Bundeswehr, ihren Landstreitkräften, hier vor allem dem Deutschen Heer, verpflichtet" fühlen.
Bis zu seinem Amt als Generalsekretär war Klingbeil dort ebenfalls Mitglied des Präsidiums und – wie der Verein auf Anfrage gegenüber RT bestätigte – Klingbeil war diesem lange verbunden und ist seit Austritt aus dem Präsidium zur 19. Legislaturperiode weiterhin "einfaches Mitglied". Im Jahr 2017 erhielt er das Direktmandat in Munster, einem bedeutenden Heeres-Standort in der Lüneburger Heide. Laut der taz schwänzt Klingbeil auch schon ab und an mal Sitzungswochen, um bei öffentlichen Gelöbnissen der Bundeswehr zu erscheinen.
Laut Analyse Klingbeils profitiere die SPD in Umfragen davon, dass sie sich im Gegensatz zu anderen Parteien geschlossen zeige:
"Was wir nicht bieten können, sind diese Machtkämpfe, diese Selbstzerfleischungen, die wir bei den anderen Parteien erleben. Wir haben gottseidank keinen Robert Habeck, der sich hinsetzt und die Aufmerksamkeit von der eigenen Kanzlerkandidatin abzieht", so der SPD-Generalsekretär. Und er fügt noch hinzu: "Wir haben keinen Markus Söder, der andauernd dem eigenen Kanzlerkandidaten vors Schienbein tritt. Sondern sie erleben eine geschlossene, eine kampfbereite, eine motivierte SPD."
In der Tat gab es auch bei der Linken-Fraktion bereits vor der fraglichen Abstimmung bemerkenswert unterschiedliche Positionen zum aktuellen Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan, wenn auch nicht bis zur "Selbstzerfleischung". Fünf Linken-Politiker – Klaus Ernst, Matthias Höhn, Thomas Nord, Helin Evrim Sommer und Kersten Steinke – stimmten am Ende gar für den Einsatz; immerhin sieben Bundestagsabgeordnete stimmten dagegen – Sevim Dağdelen, Zeki Gökhan, Heike Hänsel, Andrej Hunko, Ulla Jelpke, Żaklin Nastić, Andreas Wagner –, während sich 43 Abgeordnete der Partei Die Linke bei der Abstimmung einer klaren Positionierung für sich, für das Parlament und für ihre potenziellen Wähler enthielten.
Am bisherigen Partei-Konsens, bewaffnete Auslandseinsätze der Bundeswehr geschlossen abzulehnen, sollte laut der diesmal vorangegangenen Abstimmungsempfehlung der Parteiführung in diesem Fall erstmalig nicht festgehalten werden. Da bisherige Evakuierungsmaßnahmen katastrophal umgesetzt würden, sei eine Enthaltung "ein gangbarer Weg", so die Parteivorsitzende Janine Wissler am Montag. Einige Vertreter der Partei hatten sich ausdrücklich für den Bundeswehreinsatz zur Evakuierung der Ortskräfte und ihrer Familien aus Afghanistan ausgesprochen, darunter der Bundesgeschäftsführer der Linken Jörg Schindler, der aber auch kritisierte, dass der Einsatz sehr spät erfolge und so wohl zu wenige erreichen könne.
Mehrere Abgeordnete der Linken hatten aber auch im Vorfeld der Abstimmung noch einmal klar gemacht, dass die Militäreinsätze in Afghanistan zu viel Leid gebracht haben, darunter zivile Tote beim Bundeswehreinsatz im September 2009 in Kundus, wo bei einem vom deutschen Oberst Klein ausgelösten Luftangriff 142 Menschen ums Leben gekommen waren, mehrheitlich Zivilisten.
"Die zentrale Lehre aus dieser Entwicklung muss darin bestehen, künftig nicht mehr die Bundeswehr in solche Einsätze zu schicken, sondern sie allein auf die Landesverteidigung auszurichten. Die Bundeswehr muss aus allen Auslandseinsätzen zurückgezogen werden", hieß es in dem Antrag.
Der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte zur militärischen Evakuierung aus Afghanistan läuft bereits seit dem 16. August, bis zu 600 Bundeswehr-Soldaten können eingesetzt werden, beteiligt sind daran medienwirksam auch KSK-Soldaten. Der Einsatz soll laut Mandat längstens bis zum 30. September andauern, jedoch ist mit einem Ende der Bundeswehr-Luftbrücke bereits zum Wochenende zu rechnen.
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