Die Vorsitzende des Deutschen Ethikrats Prof. Dr. Alena Buyx hat sich am Donnerstag zu ethischen Fragen im künftigen Verlauf der Pandemie geäußert. "Wir sind im Moment in einer Übergangsphase. Jetzt muss man aus allen Rohren feuern, was das Impfen anbelangt", sagte sie Donnerstag im Podcast Die Idee des NDR.
Buyx ist Professorin für Medizinethik an der Technischen Universität München. Seit 2019 ist sie Mitglied des beratenden Expertenausschusses für die Entwicklung globaler Standards der Steuerung und Überwachung der Bearbeitung menschlicher Genome. 2020 wurde Buyx zur Vorsitzenden des Deutschen Ethikrats.
"Für ihr herausragendes Engagement während der Corona-Pandemie" erhielt Buyx den diesjährigen, mit 30.000 Euro dotierten Preis der Deutschen Nationalstiftung. In der Begründung für die Verleihung hieß es, dass der Deutsche Ethikrat die oft emotional geführten Debatten über Gerechtigkeit und Grundrechte durch Expertise versachlicht habe. Dabei sei Buyx in der öffentlichen Wahrnehmung besonders präsent gewesen.
Niedrigschwelliges und aufsuchendes Impfen
Im Podcast sagte Buyx, dass man seit dem Juni 2021 in einer neuen Situation sei, weil seitedem genügend Impfstoff für alle Bürger vorhanden ist. Bisher habe man aber noch Gruppen, die sich noch nicht impfen lassen können. Für Kinder unter zwölf Jahren sei noch kein geeigneter Impfstoff da. Für die Zwölf- bis Fünfzehnjährigen fehle noch die Empfehlung der Ständigen Impfkomission.
Um die Erfolge beim Impfen voranzutreiben muss Buyx zufolge den Bürgern weiterhin ein "hürdenarmes Angebot" gemacht werden. Die Rundfunk- und Fernsehmedien müssten breit genutzt werden, um für die Impfung zu werben und aufzuklären. Zusätzlich plädiert die Medizinethikerin für noch mehr "niedrigschwelliges und aufsuchendes Impfen". Viele Bürger könnten immer noch nicht die Impfung in ihren Alltag einbauen, seien zu weit von Impfzentren entfernt oder hätten keinen Arzt in ihrer Nähe.
Irgendwann käme aber die Zeit, so Buyx, wenn niemand mehr sagen dürfe, dass er sich nicht bequem impfen lassen kann und der nicht die relevanten Informationen habe, "um wirklich zu verstehen, worum es bei dieser Impfung geht."
"Da sind wir im Moment in einer Übergangsphase. Deswegen muss man aus allen Rohren feuern, was das Impfen anbelangt."
Rechtliche oder moralische sanktionierbare Impflicht
In einer Stellungnahme von 2019 hatte der Deutsche Ethikrat keine Empfehlung einer "rechtlich sanktionierbaren Impflicht" ausgesprochen, also die Möglichkeit, Bürger zu bestrafen, wenn sie sich nicht impfen lassen. Eine berufsbezogene Impflicht, wie sie in Frankreich verabschiedet wurde, hält Buyx zum jetzigen Zeitpunkt nicht für notwendig. In Deutschland habe das Personal in Gesundheitseinrichtungen sehr schnell eine Quote von achtzig Prozent und höher erreicht - deutlich mehr als in Frankreich.
Eine Impfquote von hundert Prozent sei immer unwahrscheinlich. Viel könne man aber mit guter, wertschätzender Aufklärung machen. Die Situation müsse aber weiter beobachtet werden und darauf achten, dass die Quote nicht zu tief sinkt.
"Das Gemeine ist, dass sich das Virus sozusagen jede Möglichkeit sucht, dann tatsächlich vorzudringen."
Einschränkungen für Ungeimpfte
In Bezug auf die Bürger, die sich bisher nicht geimpft haben lassen, betonte Buyx:
"Es ist jetzt einfach genug Impfstoff da, man kriegt das bequem. Man kann bei Ikea vorbeigehen oder eben eine Bratwurst essen und sich impfen lassen."
Aus ethischer Sicht entstehe bei der Impfung zunehmend die Frage nach der persönlichen Wahl und Eigenverantwortung. Buyx zufolge müssten die Bürger, die sich weiterhin nicht impfen lassen wollen, mit entsprechenden Konsequenzen rechnen.
"Wenn du dich jetzt nicht impfen lässt, nicht weil es nicht geht, oder weil du keine Informationen dazu hast oder nicht kannst, sondern weil du sagst: Nö, mache ich nicht! entscheidest du dich letztlich eigenverantwortlich gegen deinen eigenen Schutz, gegen den Schutz der Menschen um dich herum, und du entscheidest dich auch dazu beizutragen, dass die Pandemie noch weiter geht."
Für Buyx folgt daraus, dass Ungeimpfte nicht erwarten könnten, dass COVID-Tests weiterhin für sie kostenlos angeboten werden - ein Argument, das sie überzeugt. Zumindest eine Kostenbeteiligung müsse man erwägen. Hier könne es durchaus zu sehr starken Freiheitseinschränkungen kommen. Aus ethischer Perspektive müsse man aber unterscheiden, ob Ungeimpfte nicht mehr auf ein Rockkonzert gehen dürfen oder den Öffentlichen Nahverkehr nutzen - wie genau, ließ Buyx offen.
Ungeimpfte stellen sich außerhalb der Solidargemeinschaft
Um die Pandemie besser beurteilen zu können, müsse man wahrscheinlich allgemein PCR-Tests anstellt von Schnelltests nutzen. Buyx findet, dass das Einkommen bei der Kostenbeteiligung keine Rolle spielen dürfe, besonders bei "Impfverweigerern". Wer nicht eigenverantwortlich handle, indem er sich und andere mithilfe der Impfung schützt, darf nicht auf Gleichbehandlung hoffen. Das sei ein genuin ethischer Konflikt.
"Die Solidargemeinschaft macht mir ein kostenloses Angebot, dass ich mich schützen kann. Ich habe all die Informationen, die ich brauche, die Impfung ist 4,3 Milliarden mal verimpft worden weltweit. Wir wissen alles über die Sicherheit. Und ich mache das trotzdem nicht. Und jetzt möchte ich aber, dass die Solidargemeisnschaft mir dennoch meinen Restaurantbesuch ermöglicht. Das funktioniert dann irgendwann nicht mehr."
Mit der persönlichen Entscheidung, sich nicht impfen zu lassen, stelle man sich außerhalb der Solidargemeinschaft. Keiner könne dann verlangen, dass die Solidargemeinschaft diesen Personen die Tests weiterhin finanziert. Zudem weist Buyx darauf hin, dass die Impfung viel kostengünstiger als ständiges Testen ist, insbesondere mit dem PCR-Test.
"Deswegen muss man sich dann irgendwann klarmachen, dass man eine individuelle Entscheidung trifft, die gegebenenfalls bestimmte Konsequenzen mit sich bringt."
Solidarisch mit der jungen Generation bis zur Impfung im Herbst
Die Sorge der Eltern kann Buyx laut eigener Aussage gut verstehen. Aus ihrer Sicht sei die Frage der Schulen ein "absolut zentrales Thema". Die Frustration, die durch zu wenig Luftfilter und Schutzkonzepte, entstanden ist, sei nachvollziehbar. Wahrscheinlich würden die Infektionszahlen aber wieder zunehmen. Jüngere Gruppen würden davon besonders betroffen, weil sie sich noch nicht impfen lassen konnten.
Wie hoch das Risiko der Krankheit für junge Menschen an sich ist, könne Buyx nicht sagen. Die Eltern sorgten sich ihrer Meinung nach aber weniger um das individuelle Risiko ihrer Kinder als darüber, dass der Schulbetrieb sichergestellt wird. Aus ihrer Sicht ist das ein ganz starkes Argument dafür, sich um niedrige Infektionszahlen unter den jungen Menschen zu bemühen. Daher sollten nicht alle Maßnahmen aufgehoben werden.
"Dass man sagt, komm, so nervig das ist mit der Maske, wir tragen die noch eine Weile, bis sich sozusagen die Impfquote noch erhöht hat und bis man auch noch mehr weiß, was jetzt mit der Delta-Variante ist, wie die sich jetzt verhält in unterschiedlichen Altersgruppen, damit wir noch halbwegs ordentliche Inzidenzen haben und damit uns die Schulen nicht um die Ohren fliegen."
Von der Gesellschaft wünscht sich Buyx, dass sie solidarisch mit der nicht geimpften Jugend ist, die besonders unter der Pandemie gelitten habe. Die Solidarität müsse dann auch von der Politik umgesetzt werden.
"Es ist noch nicht alles vorbei. Wir haben wie gesagt, gerade noch die Gruppen, die noch gar nicht mit dem effektivsten Mittel, das wir gegen die Pandemie haben, geschützt werden können, durch die Impfung."
Die unter Zwölfjährigen seien noch gar nicht geschützt, bei den unter achtzehnjährigen seien es maximal fünfundzwanzig Prozent. Die jungen Menschen hätten zwar niedrige Erkrankungsraten, diese wollten aber "wieder ins Leben kommen". Die Maßnahmen für den Herbst sollten laut Buyx differenzierter werden. Man müsse "kontinuierlich kalibrieren". Alles-oder-nichts-Lösungen seien mit Vorsicht zu betrachten.
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