Das Bundesgesundheitsministerium will mehr Corona-Impfangebote für Jugendliche. Das geht aus einem Entwurf für einen Beschluss der Gesundheitsministerkonferenz an diesem Montag hervor, der der Nachrichtenagentur dpa vorliegt. Zuvor hatte die Bild am Sonntag darüber berichtet.
In dem Entwurf des Ministeriums heißt es:
"Eine entsprechende ärztliche Aufklärung sowie eine ggf. notwendige Zustimmung der Sorgeberechtigten werden dabei sichergestellt."
In dem an die Länder versendeten Beschlussvorschlag schreibt das Bundesgesundheitsministerium:
"Es werden nunmehr alle Länder Impfungen für Zwölf- bis 17-Jährige in den Impfzentren anbieten."
Auch niedergelassene Ärzte und Betriebsärzte, die Angehörige impften, könnten eingebunden werden.
In einigen Ländern sind bereits Impfaktionen etwa an Schulen geplant. In Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern beginnt der Unterricht nach den Sommerferien an diesem Montag wieder, in Hamburg am Donnerstag.
Das Impftempo bei Erwachsenen hatte sich zuletzt verlangsamt. 61,6 Prozent (51,2 Millionen Menschen) in Deutschland sind inzwischen mindestens einmal gegen das Coronavirus geimpft, wie Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) am Samstag twitterte. 52 Prozent (43,2 Millionen) sind demnach vollständig geimpft. Unter den Jugendlichen hat jeder Fünfte inzwischen eine erste Impfung bekommen. In absoluten Zahlen sind es 900.000.
Nach Ansicht von Experten sind die Impfzahlen viel zu niedrig, um angesichts der grassierenden und als hochansteckend geltenden Delta-Virusvariante die anrollende vierte Welle flach zu halten.
Für junge Erwachsene sollen die Länder "niedrigschwellige Angebote" in Universitäten, Berufsschulen und Schulen machen, so der Beschlussentwurf für Montag. "Dies kann maßgeblich zu einem sichereren Start in den Lehr- und Lernbetrieb nach den Sommerferien beitragen."
Trotz heftigen politischen Drucks: STIKO bleibt bei ihrer Haltung und wartet auf Daten aus USA
Die Europäische Arzneimittelbehörde EMA hatte im Mai den COVID-19-Impfstoff von BioNTech/Pfizer auch für Zwölf- bis 17-Jährige zugelassen, vor wenigen Tagen folgte auch die Freigabe für den US-Hersteller Moderna. Trotz heftigen politischen Drucks bleibt die Ständige Impfkommission (STIKO) in Deutschland jedoch weiterhin bei ihrer Haltung zur Impfung von Kindern und Jugendlichen. Das Gremium empfiehlt das Vakzin bisher nur Kindern und Jugendlichen mit bestimmten Vorerkrankungen wie Diabetes oder Adipositas, die ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf einer COVID-19-Erkrankung haben.
Der STIKO-Vorsitzende Thomas Mertens sagte diesbezüglich der Zeitung Die Welt:
"Unsere Aufgabe ist, auf der Grundlage aller verfügbaren Erkenntnisse die beste Impfempfehlung für die Bürger dieses Landes und auch für die Kinder dieses Landes zu geben. Und das werden wir tun, daran arbeiten wir ständig außerordentlich intensiv."
Zum Zeitraum sagte Mertens, es handele sich um "Wochen". Am Mittwochabend hatte STIKO-Mitglied Fred Zepp im ZDF gesagt, er erwarte Daten aus den USA zur Impfung von Jugendlichen "in den nächsten zwei bis drei Wochen". Man habe dort dreistellige Zahlen von Herzmuskelerkrankungen gesehen, "die auch alle zum Teil so verlaufen sind, dass die Jugendlichen ins Krankenhaus mussten".
Mertens betonte erneut am Montag im Sender NDR Info, es gebe noch zu wenige Daten über mögliche gesundheitliche Folgeschäden für 12- bis 17-Jährige.
"Wir sagen, wir können nicht eine generelle Empfehlung aussprechen, solange wir diesbezüglich nicht die notwendige Datensicherheit haben."
Für SPD-Politiker Karl Lauterbach vertrete die STIKO hier eine "Außenseiterposition". Der Sozialdemokrat findet es "richtig", dass die Politik bei Corona-Impfungen von Kindern ab zwölf Jahren nun Fakten schaffe, wie er es am Montag im Deutschlandfunk sagte. Die wesentlichen Studien zur Impfung von Kindern zeigten, dass eine Durchseuchung mit der Delta-Variante des Coronavirus gefährlicher sei als eine Impfung. Wissenschaftlich komme Lauterbach klar zu dem Ergebnis, dass Impfungen Kindern helfen.
Auch die US-Gesundheitsbehörde CDC, die weltweit wohl die besten Experten habe, so Lauterbach, empfehle eine Immunisierung von Kindern. In den USA seien mehr als sechs Millionen Kinder geimpft, die Immunisierung sei hier gut untersucht.
Aus Bundesländern kommt Unterstützung für das Vorgehen in Berlin. Der baden-württembergische Gesundheitsminister Manne Lucha (Grüne) befürwortet Impfungen für Jugendliche. Auch aus Sachsen-Anhalt kommt Zustimmung. Die amtierende sachsen-anhaltische Gesundheitsministerin Petra Grimm-Benne (SPD) sagte der dpa: "Die Nachfrage dazu ist vorhanden." Das Land plane bereits Sonder-Impfaktionen für Heranwachsende.
Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller verteidigt ebenfalls die Pläne, Kindern ab 12 Jahren ein Corona-Impfangebot zu machen. Obwohl die STIKO hier noch zögere, seien viele Ärzte und Wissenschaftler der Ansicht, dass eine Impfung junge Menschen deutlich besser schütze, sagte der SPD-Politiker am Montag im ARD-"Morgenmagazin". In Berlin sei bereits zu sehen, dass die Gruppe der 15- bis 25-Jährigen eine doppelt bis vierfach so hohe Inzidenz aufweise wie andere Bevölkerungsgruppen. Darauf zu reagieren und ein Angebot zu machen, das keine Pflicht sei, halte er für "sehr sachgerecht".
Der STIKO-Chef Mertens betonte jedoch gegenüber Welt, dass für den weiteren Verlauf der Pandemie nicht eine Impfung von 4,5 Millionen Kindern entscheidend sei, sondern eine hohe Impfquote in der Altersgruppe von 18 bis 59 Jahren.
Kritik am Vorgehen der Politik in Berlin kam von der FDP. Andrew Ullmann, Obmann der FDP im Gesundheitsausschuss des Bundestags, sagte dem Tagesspiegel:
"Wenn die Gesundheitsminister die Impf-Empfehlung an der STIKO vorbei ändern, kommt das einer Entmachtung gleich."
Politischer Druck für eine schnelle Entscheidung habe keinen Einfluss auf die STIKO, machte Mertens deutlich. "Es kann durchaus sein, dass wir unsere Empfehlung ändern werden, aber sicher nicht, weil Politiker sich geäußert haben", sagte der STIKO-Vorsitzende.
Mehr zum Thema - Impfschaden oder Zufall? Aufklärung gemeldeter Verdachtsfälle obliegt Gutdünken örtlicher Behörden
(rt/dpa)