Über zwei Wochen nach dem Hochwasser sind die betroffenen Gebiete zumindest in Rheinland-Pfalz von Normalität immer noch weit entfernt. Fünf Ersatzbrücken sind fertig oder in Arbeit; die Zahl der zerstörten Flussübergänge beträgt aber 62, und in den Ortschaften entlang des engen Flusstals der Ahr sind ganze Ortsteile oft ohne Brücke nur noch per Boot erreichbar.
Viele Schulen in dem Gebiet wurden so schwer beschädigt, dass sie zu Beginn des neuen Schuljahres am 27. August den Betrieb noch nicht wieder aufnehmen können. Die betroffenen Schüler müssen also in andere Orte gebracht werden, was angesichts der zerstörten Infrastruktur eine zusätzliche Aufgabe darstellt. Die Bahn spricht von Schäden in Höhe von mindestens 1,3 Milliarden und erklärt, die Wiederherstellung der sieben betroffenen Strecken, die teils völlig zerstört seien, werde Jahre dauern.
Die reguläre Wasser- und Stromversorgung ist bisher erst in Sinzig wiederhergestellt. Der Rest des Gebiets ist nach wie vor auf Trinkwasserversorgung von außen angewiesen; gleiches gilt oft ebenfalls für Nahrungsmittel. Guido Orthen, der Bürgermeister der schwer betroffenen Stadt Altenahr, die immerhin noch am unteren Ende der Ahr liegt, ist mit der Arbeit des Krisenstabs sehr unzufrieden. Bis heute würden die 25.000 von der Flut unmittelbar betroffenen Einwohner der Stadt nicht ausreichend mit warmen Mahlzeiten versorgt, und selbst der Bau der Behelfsbrücke mit dem THW sei "unter dem Radar des Krisenstabes passiert", so Othen zur Presse.
Nicht nur der Bürgermeister ist unzufrieden. Die Wut der Bevölkerung auf die Einsatzkräfte nimmt zu; die Bundespolizei sieht Presseberichten zufolge in einer internen Bewertung den Grund darin, dass die Versorgung mit Wasser und Strom immer noch nicht gewährleistet sei und Betroffene oft nicht nachvollziehen könnten, wenn man sie am Betreten ihrer einsturzgefährdeten Häuser hindere.
Dabei sind die Gefahren im Hochwassergebiet noch lange nicht vorüber. Die Flut, in der nach heutigem Stand in Rheinland-Pfalz 134 Menschen ums Leben gekommen waren und weitere 69 immer noch vermisst werden, hat Kadaver und Autowracks hinterlassen, die erst teilweise entfernt wurden. Das aus beschädigten Tanks auslaufende Benzin verseucht nicht nur das Grundwasser; bei den sommerlichen Temperaturen besteht auch Explosionsgefahr. Der Schlamm ist außerdem mit Öl aus Heiztanks und auch mit Chemikalien aus landwirtschaftlichen Betrieben sowie Hinterlassenschaften aus überfluteten Kläranlagen sowie Mülldeponien durchsetzt. Die Infektionsgefahr für alle, die damit bei Aufräumarbeiten in Kontakt kommen, ist hoch.
Die ehemalige Leiterin des Gesundheitsamts des Landkreises Ahrweiler und jetzige Vorsitzende des Bundesverbands der Ärztinnen und Ärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes Ute Teichert sieht Seuchengefahr in den betroffenen Regionen. Krankenhäuser und Arztpraxen seien zerstört worden, die gesundheitliche Versorgung gerade chronisch Kranker wie Diabetiker sei nicht gesichert.
Die Erwiderung, die seitens des Deutschen Roten Kreuzes auf diese Aussage gegeben wurde, zeigt, dass das Stichwort Seuche dort nicht mehr richtig verstanden wird; das DRK dachte an Corona statt an Typhus, Ruhr und Hepatitis. Sprecherin Marion Müller verwies auf das Impfzentrum in Ahrweiler und die Impfung von Johnson & Johnson ...
Immer noch sind Tausende Helfer des THW und über 1.900 Bundeswehrsoldaten im Katastrophengebiet im Einsatz, dazu noch mehrere Tausend freiwilliger Helfer aus allen Teilen der Bundesrepublik. Allerdings ist die Zahl der Bundeswehrsoldaten, die zur Hochwasserhilfe abgestellt wurden, verglichen mit dem letzten Elbhochwasser 2013 ausgesprochen niedrig – damals waren 20.000 Soldaten im Einsatz gewesen. Warum diesmal so wenig Personal geschickt wurde, bleibt eine offene Frage. Artikel aus dem Jahr 2013 lassen allerdings erahnen, womit diese Sparsamkeit zu tun haben könnte – die Vor- und Nachbereitung von Auslandseinsätzen blockiert viel Personal; die 20.000 waren damals die Obergrenze des personell Machbaren. 2013 gab es allerdings noch keine Einsätze in Mali, in Libyen und im "Kampf gegen den IS", und auch die Dauermanöver der NATO an der russischen Grenze begannen erst 2014. Es steht also zu befürchten, dass diese 1.900 Soldaten alles sind, was nicht durch Auslandseinsätze und Manöver in Anspruch genommen wird.
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