Die Debatte um die Impfung von Kindern ab zwölf Jahren zum Schutz vor einer Ansteckung mit COVID-19 reißt nicht ab. Insbesondere die Ständige Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut (RKI) steht angesichts dessen unter politischem Druck. Die STIKO hatte sich gegen eine generelle Empfehlung einer entsprechenden Impfung ausgesprochen, da die Datenlage keinesfalls eindeutig sei. Ausgenommen sind Kinder und Jugendliche mit bestimmten Vorerkrankungen, die das Risiko für einen tatsächlich schweren Verlauf erhöhen.
Im Gegensatz zur STIKO hatte die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) im Mai eine Empfehlung für die Verimpfung des Vakzins der Unternehmen Pfizer und BioNTech bei Kindern ab zwölf Jahren ausgesprochen. Anschließend ließ die EU-Kommission die Impfung von Kindern ab zwölf Jahren offiziell zu.
Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärte angesichts der Zulassung durch die EU-Kommission, dass ein sicherer Schulbetrieb "auch in Zukunft völlig unabhängig von der Frage bleiben" werde, "ob ein Kind geimpft ist oder ob ein Kind nicht geimpft ist". Merkel sprach sich Ende Mai gegen einen indirekten Zwang für Eltern aus, ihre Kinder impfen zu lassen:
"Wir haben keine Impfpflicht."
Unabhängig von Merkels Aussage gab derweil der bayerische Ministerpräsident Markus Söder zu Protokoll, dass eine "Schulpflicht" bestehe und nun durch die Impfung sichergestellt werden müsse, dass der Schulbetrieb auch stattfinden könne. Der Bayerische Rundfunk (BR) zitiert:
"Der Unterschied zu Gastronomie, zu Handel ist: Dort muss ich nicht hinein, es gibt keine Verpflichtung. In der Schule gibt es die Schulpflicht. Und deswegen müssen wir alles tun, um die Schule zu ermöglichen."
Um die STIKO zu einem Positionswechsel zu animieren, sagte Söder: "Wir würden uns sehr wünschen, dass die STIKO mal ihre Entscheidung überdenkt."
Und Söder ist keineswegs der einzige prominente Politiker, der sich für die Corona-Impfung von Kindern und Jugendlichen ab zwölf Jahren aussprach. Auch Gesundheitsminister Jens Spahn fordert dies – und möchte die Altersgruppe selbst entscheiden lassen. Anfang Juni erklärte Spahn:
"Ich finde, wir sollten die Kinder und Jugendlichen selbst entscheiden lassen."
Vergangene Woche stellte der bayerische Ministerpräsident im BR nun die Kompetenz des unabhängigen Gremiums infrage. Die STIKO sei lediglich eine ehrenamtliche Organisation, wohingegen es sich bei der EMA um echte "Profis" handele.
"Wir schätzen die STIKO, aber das ist eine ehrenamtliche Organisation. Die EMA – die Europäische Zulassungsbehörde – das sind die Profis. Die haben entschieden: Ja, der Impfstoff ist zugelassen."
Dass sich der Impfstoff des britisch-schwedischen Herstellers AstraZeneca zum "Ladenhüter" entwickelt habe, verortete Söder ebenfalls im Verantwortungsbereich der STIKO. Was das mutmaßliche "Hin und Her" der STIKO angeht, erklärte der CSU-Politiker im BR-Interview:
"Die Impfkommission hat auch hier unterschiedliche Empfehlungen abgegeben. Das ist kein Vorwurf, es ist aber eine Feststellung."
Nun setzt sich die STIKO erneut gegen den wachsenden Druck aus den Reihen der Politik zur Wehr. Demzufolge seien "die aktuellen Aussagen von Herrn Söder und anderen Politikern zur STIKO und zu deren Arbeit (...) auch unter Berücksichtigung der Wahlkampfzeit ungewöhnlich". Daher müssten diese "korrigiert werden".
Ziel der STIKO sei das Erarbeiten der bestmöglichen Impfempfehlung für einzelne Menschen und für die Gemeinschaft.
"Dies erfolgt unabhängig von Meinungen und Wünschen von Politikern und der pharmazeutischen Industrie."
Zudem sei man "keinesfalls" weniger professionell als die Kollegen der EMA. Das Aufgabenspektrum sei jedoch ein anderes. Die EMA prüfe die Zulassungsunterlagen und erteilte die Zulassung.
"Hingegen ist es der Auftrag der STIKO, Empfehlungen zu erarbeiten, wie ein zugelassener COVID-19-Impfstoff am sinnvollsten in der Bevölkerung zur Anwendung kommt."
Die STIKO werde von Mitarbeitern des RKI "maßgeblich unterstützt" und arbeite dem gesetzlichen Auftrag entsprechend "transparent nach streng wissenschaftlichen Kriterien", fühlte sich das Gremium genötigt zu ergänzen.
Was den Söder-Vergleich mit dem Vakzin des Anbieters AstraZeneca anbelangt, kontert das Gremium: Die mit der Zeit vorgenommenen Aktualisierungen seien "Ausdruck der sorgfältigen Analyse sich stetig verändernder und neu hinzukommender wissenschaftlicher Erkenntnisse, die angesichts der Dynamik der Forschung zu COVID-19 in rascher Folge veröffentlicht werden".
Am 15. Juli geriet STIKO-Chef Prof. Dr. Thomas Mertens angesichts der Debatte um die Kinder-Impfung in der ZDF-Sendung Markus Lanz unter Druck. Dabei stelle sich zuvorderst vor allem auch die Frage:
"Brauchen die Kinder als Kinder die Impfung für ihre Gesundheit?"
Wie etwa das RedaktionsNetzwerk Deutschland Mertens wiedergibt, sei diese Frage "erstaunlicherweise" bislang auf politischer Bühne nicht diskutiert worden. Beim Studium der aktuellen Datenlage sei "sehr klar herausgekommen, dass die Krankheitslast COVID-19 für die Kinder dieser Altersgruppe, von der die Rede ist, keine wesentliche Rolle spielt".
Seine eigenen Enkel würde Mertens hingegen nicht impfen lassen.
"Nein, gesunde Kinder würde ich jetzt im Augenblick nicht impfen lassen."
Zudem halte er es "für einen schlechten Rat, eine unabhängige Expertenkommission abzuschaffen, weil sie mal etwas sagt, was nicht genehm ist". Beim Thema "Long COVID" verweist Mertens auf eine Studie aus der Schweiz:
"Und was ist da herausgekommen? Die Krankheitslast des sogenannten Long COVID ist bei denen, die infiziert worden waren, und denen, die nicht infiziert worden waren, praktisch gleich."
"Zu Long COVID in dieser Altersgruppe", ergänzt der Virologe, "wissen wir praktisch nichts".
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