von Dagmar Henn
Inzwischen steht fest – das Hochwasser, das in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag in der Eifel begann, ist das folgenschwerste in der Geschichte der Bundesrepublik seit der Hamburger Sturmflut 1962. Die endgültige Zahl der Todesopfer steht noch nicht fest. Aber die Aufräumarbeiten werden lange dauern, und es gibt viele Fragen, auf die eine Antwort gefunden werden muss.
Die Warnung des Deutschen Wetterdienstes lag bereits am Dienstag vor; es war die Rede von Starkregengebieten Richtung Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz, mit Schwerpunkt im Gebiet der Eifel, bei denen bis zu 200 Liter/qm innerhalb von 48 Stunden möglich sind.
Tatsächlich erwies sich der Ort Rheinbach-Todenfeld als Spitzenreiter, mit 158 mm/qm (entsprechend 158 Litern) innerhalb von 24 Stunden. Er liegt in Nordrhein-Westfalen in der Nähe zu Rheinland-Pfalz.
Die Feuerwehr von Ahrweiler, einem der am schwersten betroffenen Orte, warnte auf Facebook am Mittwoch: "An der Ahr ist die Hochwassergefahr sehr hoch. Innerhalb der nächsten 24 Stunden ist mit Überflutungen, Stromausfall und Verkehrsbehinderungen zu rechnen. Halten Sie sich möglichst nicht in Kellern, Tiefgaragen und tieferliegendem Gelände auf. Entfernen Sie ihre PKWs aus dem Gefahrenbereich. Informieren Sie sich über die Medien und behalten Sie das Wetter und das Abflussgeschehen im Auge. Achten Sie unbedingt auf Ihre eigene Sicherheit und auf die Anweisungen der lokalen Einsatzkräfte."
Eine durchaus zutreffende Warnung, die belegt, dass die Informationen über die anrückende Gefahr rechtzeitig vorlagen. Allerdings stellt sich die Frage, ob daraus die nötigen Konsequenzen gezogen wurden.
In einer Stadt ein Stück weiter ahrabwärts, in Sinzig, starben zwölf Bewohner eines Heimes für Behinderte. Das Wasser kam um zwei Uhr dreissig in der Nacht und, so der Geschäftsführer der Lebenshilfe, die das Heim betreibt, stieg nach Auskunft der Nachtwache in einer Minute bis zur Decke des ersten Stocks; sie hätten nur noch einige Bewohner retten können.
Das Heim wurde 1995 eröffnet; etwa zur gleichen Zeit wie das Schulzentrum gleich nebenan. Die Pestalozzistraße, an der es steht, liegt etwas tiefer als die ältere Wohnbebauung, und der Name der Parallelstraße in Richtung auf das Flüsschen Ahr, In den Ahrwiesen, deutet an, dass das gesamte Gebiet erst etwa zu Beginn der 1990er zur Bebauung freigegeben wurde und zuvor vermutlich als Hochwasserausweichfläche diente.
Das Gebäude des Heims selbst liegt noch etwas unterhalb der Straße. Auf der Hochwassergefährdungskarte des Landes Rheinland-Pfalz ist die Gegend als Hochwassergefährdungsgebiet eingetragen, mit einer Überflutungshöhe von einem halben Meter bei einem Jahrhunderthochwasser. Allerdings soll die leichte Senke um das Heim und die Schulen zur Ahr hin nach dieser Karte mit Deichen und Wänden geschützt sein, die sich zumindest auf dem Luftbild nicht erkennen lassen.
Warum also wurde das Heim nicht am Mittwochabend evakuiert, wenn eine entsprechende Warnung bereits vorlag? Immerhin hatte die Stadt zu diesem Zeitpunkt bereits begonnen, Notunterkünfte einzurichten. Es ist ja nachvollziehbar, dass man die anliegenden Bewohner, die selbst beweglich sind, erst im letzten Moment auffordert, ihre Häuser zu verlassen, aber bei Krankenhäusern, Pflegeheimen und Behinderteneinrichtungen sollte klar sein, dass sie zu einer Evakuierung Unterstützung benötigen, es also Sinn macht, sie bereits vorsorglich zu evakuieren.
Die Stadt Sinzig arbeitet seit 2019 an einem Hochwasserschutzkonzept, das unter anderem wegen der Befürchtung möglicher Starkregenereignisse initiiert wurde; die Erfassung besonders gefährdeter Bereiche und die Erstellung entsprechender Evakuierungspläne sollte eigentlich abgeschlossen sein; der Entwurf liegt vor. An mangelndem Wissen kann es nicht gelegen haben.
Aber es gibt noch eine ganze Reihe weiterer Fragen. Es wird beispielsweise berichtet, dass die Koordinierung der Einsatzkräfte schwierig sei, da die Mobilfunknetze teilweise ausgefallen seien. Noch vor zehn, fünfzehn Jahren hätte das die Tätigkeit von Rettungsdiensten nicht beeinträchtigt, weil diese ein eigenes Funknetz besaßen. Das Funknetz wurde aufgegeben und durch Nutzung des Mobilnetzes ersetzt, weil das Kosten spart und es dafür keine gesonderte Schulung mehr braucht.
Bei diesem Hochwasser erweist sich allerdings, was bei der Umstellung bereits zu befürchten war - wenn der Strom ausfällt, können auch die Retter nicht mehr kommunizieren. Und mit Sicherheit - wenn die Rettungsdienste noch Funk hätten, dann hätten zumindest die Notunterkünfte ihre Personenlisten längst abgeglichen, und man würde nicht mehr von 1.300 Vermissten reden müssen. Ob die Umstellung zielführend war, sollte angesichts dieses Ereignisses noch einmal überprüft werden.
Die Mobilfunknetze hätten eigentlich auch zur Warnung genutzt werden können. Es ist für solche Situationen ein echtes Problem, dass die Zeiten, in denen große Teile der Bevölkerung einträchtig vor der Tagesschau saßen, lange her sind und auch der Konsum eines normalen Radioprogramms inzwischen eine Seltenheit ist. Also, wie kann der Verlust einer solchen Mitteilungsmöglichkeit für Katastrophenfälle ersetzt werden? Technisch könnten die Mobilfunkbetreiber, solange ihr Netz noch funktioniert, allen in bestimmten Funkzellen befindlichen Telefonen eine Warnung schicken. Die bisherigen Lösungsvarianten in Deutschland umgehen aber eine Einbindung (und Verpflichtung) der Netzbetreiber, sondern setzen voraus, dass sich die Bürger eine App herunterladen, um gewarnt zu werden, die aber nicht so genau regional gesteuert werden kann wie Nachrichten über die Funkzellen.
Das über die europäische Weltraumagentur betriebene Satellitennetz Copernicus kann nicht nur zur Überwachung, sondern auch zur Vorausberechnung von Flutereignissen genutzt werden. Die brandenburgische Regierung hat darüber die Folgen des Starkregens 2017 auswerten lassen. Wurde dieses System in Anspruch genommen? Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe hat jedenfalls Zugriff darauf.
Wenn, wie der Innenminister von Nordrhein-Westfalen auf der Pressekonferenz erklärte, die Koordinierungsgruppe des Krisenstabs seit Dienstag arbeitete, hätte diese Ressource eingebunden werden können.
Auch bezüglich der zur Verfügung stehenden Einsatzkräfte gibt es Fragen. Verglichen mit anderen Hochwasserereignissen mit weniger Schäden an Leib und Leben wurde die Bundeswehr sehr zögerlich eingesetzt. Dabei sitzt die Bundesakademie für Bevölkerungsschutz und Zivile Verteidigung, die als Ausbildungs- und Forschungsstätte genau diesem Zweck dient, mitten im Katastrophengebiet, in Bad Neuenahr-Ahrweiler. Bisher sind nach Auskunft der Bundeswehr "bis zu 850 Soldatinnen und Soldaten" im Einsatz. Im Jahr 2013 waren es bis zu 19.000.
Noch immer müssen eingeschlossene Anwohner per Hubschrauber gerettet werden; die Hubschrauber dafür wurden aus den Rettungsdiensten mehrerer Bundesländer zusammengezogen. Auch Bundeswehrhubschrauber sind da mittlerweile im Einsatz. Es gäbe aber in Rheinland-Pfalz noch mehr Hubschrauber, die Rettungseinsätze fliegen könnten. Und Bundeskanzlerin Angela Merkel wäre zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen, um ihren Einsatz zu erreichen, gestern in den USA. In Rheinland-Pfalz befindet sich nach wie vor viel US-Militär, auch Hubschrauber, auch für Rettungseinsätze geeignete. Warum werden die US-Hubschrauber nicht einmal nützlich eingesetzt?
Viele Fragen. Aber es werden noch mehr werden, wenn das Wasser zurückgeht, der Schutt beiseite geräumt ist und die vielen Freiwilligen, die jetzt noch damit beschäftigt sind, Menschen zu retten, Zeit gehabt haben, etwas Luft zu holen, und anfangen, nachzudenken, was man besser machen könnte. Oder gekonnt hätte. Oder hätte können müssen.
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