Wieso verbreitet Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble Fake News über Russlanddeutsche und RT?

Bundestagspräsident Wolfang Schäuble warnt in einem Interview mit der BILD-Zeitung vor dem Einfluss Russlands auf Russlanddeutsche. Diese bildeten "AfD-Hochburgen" und stünden unter dem Einfluss des "Propaganda-Senders" RT. Dabei hat eine Studie seine Behauptungen längst widerlegt.

von Björn Kawecki

Wolfgang Schäuble (CDU), Präsident des Deutschen Bundestages, sieht nach eigenen Angaben Anzeichen, dass Russland den Wahlkampf in Deutschland gezielt beeinflussen wolle. In einem Interview mit dem Springerblatt Bild sagte der frühere CDU-Vorsitzende:

"Über den TV-Sender Russia Today versucht Moskau, gezielt Deutsche mit russischen Wurzeln zu manipulieren."

Diese hätten früher konservativ gewählt. "Bezirke", in denen Russlanddeutsche laut Schäuble leben, seien heute zu Hochburgen der AfD geworden. Bezüglich des "Propaganda-Senders" RT (In Schäubles Worten Russia Today) müsse man mit Russland ein "ernstes Wort" sprechen.

Bei Russlanddeutschen handelt es sich um eine verallgemeinernde Bezeichnung für Spätaussiedler mit deutschen Vorfahren aus Ländern der ehemaligen Sowjetunion. Die Migration ihrer Vorfahren ins Russische Kaiserreich liegt teilweise mehrere Jahrhunderte zurück.

In der Vergangenheit war es immer wieder zu Verdächtigungen gegen Spätaussiedler gekommen, beispielsweise im Spiegel. In einem Artikel von 2017 war mit Bezugnahme auf die Russlanddeutschen sowohl von einem sogenannten "Rechtsruck" als auch ihrem angeblichen "Hang zu Verschwörungstheorien" die Rede. 

Studie zum Wahlverhalten Russlanddeutscher

Durch seine Äußerungen griff Schäuble nicht nur klischeehafte Vorstellungen über Russlanddeutsche auf. Er verbreitete auch bereits widerlegte Annahmen über das Wahlverhalten dieser sozialen Gruppierung.

So hatte bereits im Jahr 2018 ein Forschungsprojekt an der Universität Duisburg-Essen das Wahlverhalten Russlanddeutscher bei der Bundestagswahl 2017 eingehender wissenschaftlich untersucht. Fünfhundert wahlberechtigte deutsche Staatsbürger aus dem sowjetischen oder postsowjetischen Raum wurden in Einzelinterviews befragt.

Die Forscher der Universität Duisburg-Essen fanden heraus, dass Russlanddeutsche bei der Bundestagswahl keineswegs die AfD favorisierten. An erster Stelle wählten sie zu 27 Prozent die CDU (bundesweiter Durchschnitt: 32,9 Prozent), gefolgt von der Linken mit 21 Prozent (bundesweit 9,2 Prozent). Nur auf knapp drei Prozent über dem bundesweiten Durchschnitt der Bevölkerung kam die AfD mit 15 Prozent die AfD (bundesweit 12,6 Prozent).

Für die ersten drei Plätze ergab sich bei der vorigen Bundestagswahl also ein Wahlverhalten, welches dem der restlichen Bevölkerung ziemlich ähnlich ist: die CDU auf Platz eins, eine linke Partei auf Platz zwei, die AfD auf Platz drei – nur dass hierbei die SPD und Die Linke in ihrer jeweiligen Position und ihrem Stimmenanteil vertauscht waren.

Warnung vor Russland(-Deutschen)

Woher also nimmt Wolfgang Schäuble – immerhin als ansonsten gut informierter Präsident der obersten Volksvertretung – seine falschen Behauptungen? Warum schürt er gegen eine Bevölkerungsgruppe öffentlich und pauschal einen längst entkräfteten Verdacht?

Immerhin haben seit der Veröffentlichung der Studie bereits zahlreiche deutsche Medien darüber berichtet, darunter heute.de, die Süddeutsche Zeitung und Zeit Online. Und wenn man den Russlanddeutschen unbedingt einen Vorwurf ihrer freien Wahl machen wollte, dann doch, dass sie überdurchschnittlich gar "links" wählten.

Eine Erklärung könnte sein, dass Schäuble sein Interview mit der Bild schon vorsorglich dazu genutzt hat, um in einem Atemzug vor Russland und vor der AfD zu warnen – zwei auf einen Streich. In diesem Drohszenario spielten die Russlanddeutschen die Rolle des quasi natürlichen Überträgers unerwünschter Meinungen.

Oder möchte Schäuble die Russlanddeutschen selbst – für alle Fälle, man weiß ja nie – so vor der Bundestagswahl warnen? In diesem Sinne war wohl auch der Beitrag des Spiegels kurz vor der Bundestagswahl 2017 erschienen, der "den Russlanddeutschen" kollektiv eine feindliche Gesinnung und geistige Nähe zu Moskau unterstellte.

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RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.

Anmerkung der Redaktion: RT DE hat Wolfgang Schäuble gebeten darzulegen, auf welchen Quellen seine Behauptungen bzgl. Russlanddeutschen und RT beruhen. Sobald die Antwort eintrifft, wird diese im Artikel verarbeitet.