Dem Bericht zufolge verbesserte sich die Wirtschaftskraft der Ost-Länder (inklusive Berlin) zwischen 2010 und 2020 von 76 auf 81 Prozent des Bundesdurchschnitts. Das geht aus dem Jahresbericht zum Stand der Deutschen Einheit hervor, den das Kabinett am Mittwoch verabschiedet hat. Noch im Jahr 2010 hatte das BIP der neuen Bundesländer und Berlins bei 74,2 Prozent des gesamtdeutschen Niveaus gelegen.
Jedoch lag das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf im Jahr 2020 in den neuen Ländern einschließlich Berlin bei 32.422 Euro, in den alten Ländern hingegen bei 41.940 Euro. Die Arbeitslosenquote lag im Osten im Durchschnitt bei 7,6 Prozent und im Westen bei 5,6 Prozent. Somit gibt es auch 31 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung einen "klar erkennbaren Rückstand", wie der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Marco Wanderwitz (CDU), erklärte. Zugleich nähmen die regionalen Unterschiede in den Ost-Ländern selbst zu. "Von einer flächendeckenden Strukturschwäche kann nicht mehr gesprochen werden," so der Ostbeauftragte.
Wanderwitz zufolge sind die "neuen Bundesländer" wirtschaftlich besser durch die COVID-19-Pandemie gekommen als Länder im Westen. Die Wirtschaftsleistung ging durch die Pandemie und die damit verbundenen Maßnahmen in Ostdeutschland um 3,8 Prozent zurück, im Westen erlitt sie ein Minus von 5,1 Prozent.
Ausgeprägter als im Westen ist im Osten demnach die Skepsis gegenüber Politik und Demokratie. Viele Unterschiede zwischen Ost und West seien inzwischen nicht mehr überwiegend mit dem Umbruch nach der Wiedervereinigung 1990 zu begründen, so Wanderwitz. Vielmehr stellten sich allen strukturschwachen Regionen in Deutschland die gleichen Herausforderungen. Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern müssten diese Herausforderungen aber häufig von schlechteren Ausgangssituationen aus angehen. Seit 2020 werde deshalb nicht mehr nach Himmelsrichtung, sondern nach tatsächlichem Bedarf gefördert.
In Ostdeutschland gebe es ein "Gefühl der kollektiven Benachteiligung". Während sich aber lediglich ein Drittel der Menschen als "Bürger zweiter Klasse" behandelt sehen, hätten in Westdeutschland ein Viertel der Menschen diesen Eindruck. Hier sieht Wanderwitz die Bundesregierung in der Pflicht. "Ein gesellschaftliches Auseinanderdriften können und dürfen wir nicht akzeptieren", mahnte der Ostbeauftragte.
Erst vor Kurzem hatte Wanderwitz mit Aussagen über Ostdeutsche viel Kritik auf sich gezogen. "Wir haben es mit Menschen zu tun, die teilweise in einer Form diktatursozialisiert sind, dass sie auch nach dreißig Jahren nicht in der Demokratie angekommen sind", behauptete der CDU-Politiker im FAZ-Podcast für Deutschland. Ein Teil der Bevölkerung habe "gefestigte nichtdemokratische Ansichten". Er bleibe bei seinen Aussagen, sagte Wanderwitz. Er sieht bei vielen Ostdeutschen eine "vertiefte Grundskepsis" gegenüber der Politik und der Demokratie.
Mit Blick auf die DDR-Vergangenheit betonte Wanderwitz, es sei nicht zu bestreiten, dass "wir alle in einer Diktatur sozialisiert worden sind". "Wenn ich eine rechtsradikale Partei wähle, dann ist doch etwas nicht in Ordnung mit mir", fügte er hinzu. "Das machen doch Demokratinnen und Demokraten nicht."
"Wer mit einer Reichskriegsflagge an der Bundesstraße steht, mit dem kann man schwer reden", fügte Wanderwitz hinzu.
Zwar sei dies eine Minderheit, doch sei diese größer als in den alten Bundesländern, sagte der CDU-Politiker der Deutschen Presse-Agentur. "Das ist demokratiegefährdend. Wir müssen es schaffen, die Menschen von Demokratie und Rechtsstaat zu überzeugen. Der Zustand muss aufhören, dass wir vor jeder ostdeutschen Landtagswahl wie das Kaninchen auf die Schlange auf die Wahlergebnisse schauen und zittern, wie viel Prozent extreme Kräfte erreichen."
Wanderwitz meint, man müsse mit den Landsleuten im Gespräch bleiben. "Ich hatte mir vorgenommen, ein großes Dialogforum auszurollen, dann kam aber nach ersten Foren Corona dazwischen. Das wollen wir nun weitermachen: in Formaten wie Werkstattgesprächen den Menschen auf Augenhöhe begegnen und ihnen zuhören, den Menschen auch erklären, warum gewisse Dinge nicht funktionieren, so wie sie sie es sich wünschen." Dies sei mühselig. "Und ich bin auch frei von Illusionen. Bei einem gewissen Anteil von denen, die Hass auf die Demokratie haben, kann ich mir schwerlich vorstellen kann, dass man sie damit erreichen kann."
Zum Jahresbericht zum Stand der Deutschen Einheit sagte Wanderwitz, der Vereinigungsprozess sei auch in dieser Legislaturperiode nicht nur wirtschaftlich vorangekommen. "Der wirtschaftliche Aufholprozess ist erfolgreich. Bei Ansiedlungen von Behörden und Forschungseinrichtungen in den neuen Ländern sind wir deutlich vorangekommen. Auch der Strukturwandel in den Braunkohleregionen ist auf dem Weg. Eine Vielzahl von Projekten ist schon in die Umsetzungsphase gegangen." Infrastruktur und Forschung seien Grundlage dafür, beim Strukturwandel bei neuen Technologien im Osten auf die Überholspur zu gehen.
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(rt/dpa)