Bereits seit Wochen warnen Politik und vielfach auch die Medien vor der aktuellen Ausbreitung der Delta-Variante des Erregers SARS-CoV-2. Nur die Impfung schütze demzufolge vor einer Infektion mit der Variante, die zunächst in Indien nachgewiesen wurde – wo die Infektionszahlen trotz niedriger Impfquote seit Wochen stark rückläufig sind.
So warnte etwa Bundesgesundheitsminister Jens Spahn nun eindringlich vor der Ausbreitung der Delta-Variante in Deutschland. Jetzt gelte es, die Infektionszahlen möglichst niedrig zu halten, um Schlimmeres zu vermeiden. "Es liegt an uns, ob Delta eine Chance hat", sagte Spahn. Experten fordern jedoch immer wieder, sich von der Fixierung auf die Inzidenzzahlen zu lösen – auch aufgrund der steigenden Impfquote.
Vor allem die höhere Ansteckungsrate findet bei den düsteren Prognosen immer wieder Erwähnung. So warnte auch der Chef des Robert Koch-Instituts, Lothar Wieler, vor einer Ausbreitung der Delta-Variante:
"Sie ist noch ansteckender als die Variante Alpha (B.1.1.7) und kann sich daher schneller verbreiten, vor allem in der ungeimpften Bevölkerung."
Wie die dpa am 23. Juni berichtete, forderte der Vorsitzende des Weltärztebundes, der Radiologe Frank Ulrich Montgomery, in diesem Zusammenhang stärker auf "Impfskeptiker und Impfleugner" zuzugehen.
"Wenn wir nicht auch einen Teil dieser Gruppe vom Sinn der Impfung überzeugen, werden wir die Herdenimmunität nicht erreichen", erklärte Montgomery dem RedaktionsNetzwerk Deutschland. Mit Blick auf die offensichtlich deutlich ansteckendere Delta-Variante erklärte er: "Wer sich nicht impfen lässt, wird sich früher oder später mit dem Coronavirus infizieren."
Doch eine Impfung bedeutet nicht automatisch Schutz vor Infektion. So verwies das Wall Street Journal jüngst darauf, dass "etwa die Hälfte der Erwachsenen, die bei einem Ausbruch der Delta-Variante von COVID-19 in Israel infiziert wurden, vollständig mit dem Impfstoff von Pfizer Inc. geimpft waren".
Doch eine Impfung schützt nach derzeitigem Wissenstand vor schweren Krankheitsverläufen. Mit Verweis auf den Leiter der Virologie an der Charité Berlin, Christian Drosten, schrieb etwa das Ärzteblatt am 23. Juni:
"Der Schutz vor einem schweren Krankheitsverlauf für vollständig Geimpfte sei im Vergleich zur noch in Deutschland dominierenden Variante Alpha aber gleichwertig."
Der Schutz, den eine Impfung gewährleiste, falle bei der Delta-Variante demnach jedoch schwächer aus im Vergleich mit früheren Virusformen.
Parallel dazu ist bereits bekannt, dass die Delta-Variante bspw. bei Kindern bislang etwa in Großbritannien – wo die Delta-Variante in der Zwischenzeit etwa 90 Prozent der Neuinfektionen ausmachen soll – nicht zu einem Anstieg schwerer Krankheitsverläufe und Hospitalisierungen führte. So meldete kürzlich tagesschau.de: "Daten zeigen, dass die Zahl der Corona-Infektionen in Großbritannien zwar tatsächlich steigt – die der infizierten Kinder und Jugendlichen, die im Krankenhaus behandelt werden müssen, aber gering bleibt."
"Sterblichkeitsrate eher unterhalb der anderen Varianten anzusiedeln"
Nun erklärte der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin, Burkhard Rodeck, mit Blick auf die Delta-Variante, dass diese, was die Sterblichkeit angehe, wahrscheinlich weniger gefährlich sei als andere Coronavirus-Varianten.
Man wisse, dass die Variante wahrscheinlich zu rund 60 Prozent ansteckender sei, erklärte er am Donnerstag bei einer Expertenanhörung im Bundestag zum Thema Schule in der Pandemie. Die dpa zitiert Rodeck wie folgt:
"Sie ist allerdings, was die Sterblichkeitsrate angeht, eher unterhalb der anderen Varianten anzusiedeln."
Der Chefarzt am Christlichen Kinderhospital Osnabrück betonte demzufolge, dass es sich um vorläufige Daten aus Großbritannien handele. Für Kinder lägen bisher nur begrenzte Daten vor. Er fügte aber hinzu: "Vermehrte stationäre Aufnahmen von Kindern infolge einer Deltavirusinfektion sind in England bislang nicht beobachtet worden."
Er sei vorsichtig bei "Alarm-Meldungen" über Delta-Infektionen an verschiedenen Orten in Deutschland. "Man sollte hier abwarten, bis die Datenlage ausreichend ist, um die Gefährlichkeit der Delta-Variante bei Kindern wirklich beurteilen zu können."
Während sich die Delta-Variante in Deutschland auf dem Vormarsch befindet, lag der Anteil der "Alpha-Variante" B.1.1.7 laut Bundesregierung am 24. Juni bei noch 75 Prozent. Bei der britischen Variante war zunächst argumentiert worden, dass diese wesentlich ansteckender und zudem auch tödlicher sei. So schrieb etwa der Bayerische Rundfunk am 25. März:
"Trotz aller Gegenmaßnahmen steigt die Zahl der Neuinfektionen mit dem Coronavirus stark. Hauptgrund dafür ist die Variante B.1.1.7. Sie ist ansteckender als die bis vor Kurzem vorherrschende Variante – und sie führt laut Studien auch öfter zum Tod."
Grundlage für die breite Berichterstattung waren Daten britischer Wissenschaftler. Im Hinblick auf die neue Variante B.1.1.7 hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel Ende März von einer "neuen" Pandemie gesprochen, die drauf und dran sei, Deutschland zu erobern. Wörtlich sagte Merkel:
"Im Wesentlichen haben wir ein neues Virus, natürlich derselben Art, aber mit ganz anderen Eigenschaften – deutlich tödlicher, deutlich infektiöser, länger infektiöser."
Dann warteten britische Wissenschaftler mit neuen Erkenntnissen auf. Die entsprechende Studie wurde am 12. April im Fachmagazin The Lancet Infectious Diseases veröffentlicht. Zwar gebe es "zunehmend Hinweise auf eine erhöhte Übertragbarkeit" der britischen Variante des Erregers, so die Experten, doch den Wissenschaftlern gelang es dabei nicht, den Nachweis für eine höhere Sterblichkeit bei einer Infektion mit B.1.1.7 zu erbringen. Auch im Fall der Delta-Variante deutet die bisherige Datenlage darauf hin, dass sie ansteckender, aber nicht gefährlicher ist als die vorherigen Varianten.
Mehr zum Thema - Ist die Panik unbegründet? Mutante B.1.1.7 laut britischen Wissenschaftlern doch nicht tödlicher