Mitte Januar 2020 war es soweit: In Berlin fand die über Monate vorbereitete und dann auch in den deutschen Qualitätsmedien mit flächendeckender Berichterstattung begleitete Libyen-Konferenz statt. Nun war die Gelegenheit da, Deutschland als geopolitischen "Global Player" zu positionieren, der global "mehr Verantwortung" übernimmt. Die Konferenz selbst sollte den Grundstein für eine Waffenruhe in dem nordafrikanischen Land legen.
Und tatsächlich konnte Bundeskanzlerin Angela Merkel zum Abschluss der Konferenz eine Vereinbarung vorweisen, mit der sich Unterstützerstaaten der beiden Konfliktparteien in Libyen verpflichteten, denen künftig keine Waffen mehr zu liefern.
"Die Teilnehmer der Libyen-Konferenz haben entschieden, das Waffenembargo zu respektieren und stärker zu kontrollieren."
Auch die beiden führenden libyschen Kontrahenten, Ministerpräsident Fayiz as-Sarradsch aus Tripolis und General Chalifa Haftar, der weite Teile des ölreichen Landes weiter östlich unter Kontrolle hält, waren mit von der Partie. Miteinander reden mochten sie derweil dort aber nicht. Das Problem: Auch nach dem erfolgversprechenden Ende der "Friedenskonferenz" standen sich die Kontrahenten weiterhin feindselig gegenüber. Von einer Einhaltung des vereinbarten Waffenstillstands konnte schon nach kurzer Zeit keine Rede mehr sein.
Ende Oktober 2020 einigten sich die rivalisierenden libyschen Parteien dann tatsächlich auf eine Waffenruhe – in Genf. Die UN-Beauftragte für Libyen, Stephanie Williams, sprach angesichts dessen von einer "historischen Errungenschaft". Laut Einigung müssten nun auch die von Anbeginn an in den libyschen Krieg verwickelten ausländischen Kräfte das Land unverzüglich verlassen.
Nun laufen also die Planungen für die zweite Libyen-Konferenz in Berlin. In einem vom Auswärtigen Amt veröffentlichten Interview erklärt Heiko Maas, worum es gehen soll: "Neue Impulse" möchte man setzen, und zwar "im Hinblick auf die Wahlen, die am 24. Dezember stattfinden sollen, und für einen Abzug ausländischer Kräfte aus Libyen."
Maas konstatiert zudem, dass ausländische Akteure bereits bei der ersten Berlin-Konferenz ihren Abzug zugesagt, sich aber nicht an ihre Zusagen gehalten hätten.
"Aber wenn die Libyer die Geschicke ihres Landes wieder selbst bestimmen sollen, dann müssen die ausländischen Kräfte abziehen."
Maas präzisiert nicht, an wen seine Forderung adressiert ist. Doch landläufig werden vor allem die Türkei und Russland als "ausländische Akteure" in diesem Konflikt bezeichnet. Und doch mischen auch andere Staaten, wie etwa Frankreich, seit jeher in Libyen mit. Dabei reicht der "französische Interventionismus" und die "Einmischung in innere libysche Angelegenheiten" bis in die 1940er Jahre zurück. Und jüngst förderte man über Jahre Chalifa Haftar, um seine eigenen Interessen in diesem nordafrikanischen Land zu wahren, ganz zu schweigen von der unrühmlichen Rolle Frankreichs beim Sturz Muammar al-Gaddafis im Jahr 2011, der das Land in ein Jahrzehnt des Chaos bis heute katapultierte. In einem Artikel des Atlantic Council heißt es:
"Von Beginn des Konflikts an war Frankreich offensichtlich für die Intervention der NATO in Libyen, die zu einem Regimewechsel führte."
Nun also erneut eine internationale Konferenz in Berlin, um die aus dem Regime Change resultierende Zerstörung des Landes zu beenden. Das millionenfache Elend auch in anderen Teilen Afrikas ist damit jedoch noch lange nicht beendet. Das destabilisierte Libyen kann schon längst nicht mehr als Flüchtlingsbollwerk dienen.
In diesem Zusammenhang forderte der Präsident des Europaparlaments David Sassoli eine neuerliche EU-Seenotrettungsmission vor der Küste Libyens. Für Maas aber seien "die Voraussetzungen für eine derartige Mission nicht gegeben".
"Auch mit einer neuen Seenotrettungsmission könnten wir schlicht nicht die gesamte Migration nach Europa auffangen. Es braucht einen umfassenden Ansatz, der vor allem den Fluchtursachen begegnet."
Worin die Fluchtursachen seiner Ansicht nach liegen, präzisiert Maas wiederum nicht. Einen "umfassenden EU-Migrationspakt" würde die Bundesregierung jedoch laut dem SPD-Politiker "voll unterstützen". Nun gehe es darum, einen "Schlüssel zur Verteilung von Flüchtlingen" zu finden.
Die Länder, die nicht bereit seien, Flüchtlinge aufzunehmen, sollten ihrer Verantwortung auf andere Weise gerecht werden, "etwa indem sie finanzielle Mittel zur Sicherung der Außengrenzen bereitstellen".
"Wir müssen bei der Teilung der Verantwortung endlich vorankommen."
Auf einer Pressekonferenz hatte der italienische Ministerpräsident Mario Draghi erst am 20. Mai erklärt, dass "der Mechanismus zur Umverteilung von Migranten (…) in den EU-Diskussionen seit einiger Zeit eingeschlafen" sei. Am Montag wird der italienische Regierungschef in Berlin erwartet.
Zudem soll laut dem deutschen Außenminister und aufgrund des syrischen "Bürgerkriegs" (politische Beobachter sprechen von einem "internationalen Stellvertreterkrieg") auch das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei "weiterentwickelt und fortgeschrieben" werden.
"Ich will keine Zahlen in die Welt setzen, aber es ist vollkommen klar, dass es ohne Geld nicht gehen wird. Letztlich übernimmt die Türkei erhebliche Kosten, die anderen erspart bleiben. Schließlich geht es um die Betreuung von Millionen von Menschen."
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