Der Zahlungsdienstleister Wirecard musste infolge des Bilanzskandals im vergangenen Jahr Insolvenz anmelden. Das Unternehmen räumte ein, dass insgesamt 1,9 Milliarden Euro in der Bilanz fehlten. Der langjährige Wirecard-Vorstandschef Markus Braun trat von seinem Posten zurück und wurde später verhaftet. Es folgte ein politischer Skandal, der bis heute anhält.
Die Jahresabschlüsse könnten jahrelang gefälscht worden sein. Auch die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young (EY) gerät in Bedrängnis. Zunächst sah es so aus, als habe die Prüfungsgesellschaft nichts gegen den Betrug von Wirecard unternehmen können. Dieses Bild hat sich jedoch gewandelt.
Gegen alle Prüfer wird derzeit ermittelt. Es gingen konkrete Strafanzeigen ein. Hansrudi Lenz, Professor für Wirtschaftsprüfung der Universität Würzburg, sagte dazu:
"Die Vorwürfe gegen EY haben sich in den vergangenen zwölf Monaten eher erhärtet. Der schmutzige Fleck wird Jahrzehnte auf EY lasten. Die Gesellschaft kann nur neues Vertrauen aufbauen, wenn sie mustergültig agiert und keine Fehler bei Abschlussprüfungen macht."
EY hatte die Prüfung der Bücher von Wirecard mit einem "mittleren Risiko" eingestuft. Das Unternehmen betonte, mit der Prüfung habe man keinen Betrug ans Licht bringen können.
Nach Berechnungen des Handelsblatts kostet der dadurch entstandene Imageschaden das Unternehmen bereits 100 Millionen Euro. Neben Verlusten durch entgangene Honorare kämpft das Unternehmen mit den Kosten für Rechtsberatung und Verteidigung. Diese Kosten sollen sich auf einen zweistelligen Millionenbetrag belaufen. Die Arbeitnehmer sehen sich pauschal verdächtigt, auch wenn sie nichts mit Wirecard zu tun gehabt haben. Das Landgericht München entschied bisher zugunsten von EY. Letztlich wird jedoch der Bundesgerichtshof ein Urteil sprechen müssen. Die Commerzbank wird klagen, und Wirecard-Insolvenzverwalter Michael Jaffé fordert Ansprüche. Gegen die Flut der Klagen könnte eine Umstrukturierung des Unternehmens helfen. Es wird vermutet, dass EY alle Kunden an die europäische Einheit übergibt und die deutsche Einheit der Gesellschaft nicht mehr weiterführt.
Erste ungeklärte Fragen über das schnelle Wachstum des Unternehmens Wirecard stellte ein Journalist in der Financial Times im Jahr 2015. Ein Jahr später folgte ein kritischer Bericht, in dem ein britischer Investor Wirecard Betrug vorwarf. Die deutsche Finanzaufsicht BaFin leitete daraufhin rechtliche Schritte ein. Im Jahr 2019 folgte ein neuer Bericht in der Financial Times, der den Managern des Unternehmens Fälschungen von Verträgen, Bilanzen und Rechnungen in Asien vorwarf. Die Aktienkurse des Unternehmens brachen ein, die BaFin erteilte ein Leerkaufsverbot der Wertpapiere. Das Unternehmen machte den Prüfungsbericht einer Kanzlei mit Sitz in Singapur öffentlich, das es entlastete, und verklagte die Financial Times-Journalisten. Auch die BaFin erstattete Anzeige gegen die britische Zeitung. Die Financial Times aber gab nicht klein bei. Weitere Berichte wurden veröffentlicht, und Wirecard sah sich gezwungen, Bilanzen zu prüfen. Dafür wurde statt EY das Unternehmen KPMG beauftragt. In dem abschließenden Bericht fehlten jedoch Umsätze aus Drittpartnergeschäften zwischen den Jahren 2016 bis 2018. Die Jahresbilanzveröffentlichung verschob sich, Geschäftsräume wurden durchsucht. Es fehlten Nachweise für 1,9 Milliarden Euro. Im Juni 2020 stellte Wirecard einen Insolvenzantrag. Dem ehemaligen Vorstandschef Braun wurde gewerbsmäßiger Bandenbetrug vorgeworfen.
Der Bundestag initiierte einen Untersuchungsausschuss. Die staatlichen Stellen wiesen bisher alle Schuldvorwürfe im Wirecard-Skandal zurück. Anfang Juni verteidigte sich Finanz-Staatssekretär Rolf Bösinger als Zeuge im Untersuchungsausschuss des Bundestags und kritisierte die Vorwürfe, er habe Informationen manipuliert oder getäuscht. Für die Opposition lag ein "kollektives Aufsichtsversagen" vor. Sie sah die Verantwortung bei Finanzminister Olaf Scholz.
Das Finanzministerium und die Anti-Geldwäsche-Einheit (FIU) hätten hier versagt. Verdachtsmomente seien nicht von der FIU an die Ermittler weitergereicht worden. Dabei habe die Commerzbank der FIU den Verdacht auf einem "Goldtablett" serviert. Das Finanzministerium sei anscheinend nicht gewillt gewesen, Aufklärung zu wollen.
Zu den weggebrochenen Kunden von EY zählen die Telekom, die Commerzbank, der Vermögensverwalter DWS und die Staatsbank KfW. Auch die Deutsche Bank könnte im kommenden Jahr als Auftraggeber entfallen.
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