Mit einem neuen Gerät zur Distanzmessung will die Stadt Stuttgart sicherstellen, dass die in der Corona-Krise geltenden Abstandsregeln auch im Club- und Nachtleben eingehalten werden, sofern es wieder zu Veranstaltungen mit größeren Menschenmengen kommen sollte. Der sogenannte Distanztracker soll dabei in einem Feldversuch über mehrere Monate getestet werden.
Wie die Stadtverwaltung am Freitag mitteilte, sollen die Tracker in der Größe einer Scheckkarte die Gäste warnen, wenn sie einander zu nahekommen. Außerdem sollen die Tracker dazu dienen, enge Kontaktpersonen von möglicherweise infizierten Personen zu ermitteln. Das Projekt, das gemeinsam mit der Universität des Saarlands entwickelt wurde, habe die Landesregierung und den Städtetag überzeugt.
Der Saarbrücker Pharmazie-Professor Thorsten Lehr, der an der Entwicklung des Projekts beteiligt war, erklärte, dass zunächst Personen des Stuttgarter Club- und Kulturbereichs als Zielgruppe infrage käme, aber auf Kaufhäuser seien ein potenzielles Anwendungsfeld:
"Die Besucher erhalten beim Betreten der Location einen Tracker, der zu jedem Zeitpunkt die genaue Position des Besuchers erkennt. Ein Echtzeit‐Warnsystem meldet unverzüglich potentiell gefährliche Begegnungen durch Vibration oder Alarmton. Ermöglicht wird dies durch den Einsatz eines innovativen und hochpräzisen Ultrabreitband‐System, das Abstände bis auf 10 Zentimeter genau erkennen kann."
Lehr hatte unter dem Titel "SaarCoKids" bereits eine saarlandweite Studie aufgesetzt, bei der als Teil eines Projekts die elektronische Distanzmessung unter anderem in drei Schulen erfasst wird. Nach Aussage Lehrs habe das System seinen "Charme", da man auf einem engen Raum die Leute mit Kontakten schnell identifizieren könne und nicht gleich die Masse der Menschen in Quarantäne geschickt werden müsse. Zudem würden dadurch die Gesundheitsämter bei der Kontaktverfolgung entlastet und die Ressourcen bei Corona-Tests in Laboren geschont.
Der Gemeinderat will am Donnerstag über das Projekt entscheiden, dass über einen Zeitraum von neun Monaten angelegt ist. Dabei will die Stadt in einem Verfahren zunächst Interessenten ansprechen. Der Antrag an Lehr soll nach dem durchgeführten Verfahren mit klar definierten Teilnehmern aus dem Stuttgarter Club- und Kulturbereich erteilt werden. Sollte der Gemeinderat zustimmen, werden von der Landeshauptstadt 495.500 Euro für das Projekt bereitgestellt. Landesgesundheitsministerin Manne Lucha (Bündnis90/Die Grünen) befürwortete das Projekt, da "wichtige Erkenntnisse für eine sichere Öffnung kultureller Veranstaltungen für die junge Generation", die von "den Corona-Auflagen besonders betroffen" gewesen war, zu erwarten seien.
In den Sozialen Medien kam die Ankündigung allerdings weniger gut an. So bezeichnete ein Nutzer auf Twitter das Projekt als "Traum eines jeden Geheimagenten aus Nordkorea". Ein anderer Nutzer schrieb:
"Da ist er wieder, der scheiß pietistische, unterschwellige Hass der Stuttgarter Verwaltung auf alles Subkulturelle, auf feiernde Menschen, auf Ausgelassenheit. Mich überrascht an dieser Meldung nur, dass überhaupt mal über Club-Öffnungen gesprochen wird."
Ein weiterer Nutzer schrieb auf Twitter:
"Sklaven aus Afrika mussten auch schon entsprechende Vorrichtungen zur Distanzwahrung um den Hals tragen. Stuttgart wird immer skrupelloser. Die Obrigkeit sollte sich Mal wieder in den Dienst der Bürger stellen und nicht umgekehrt."
Mehr zum Thema - Pilotprojekt in Israel: Elektronisches Armband zur Überwachung der Quarantäne