Kabinett beschließt Pflegereform mit Pflicht zur Tarifbezahlung – Kritik an Finanzierungsplänen

Auf den letzten Metern vor der Bundestagswahl gehen Union und SPD noch ein zentrales Vorhaben an – höhere Löhne für Pflegekräfte. Die Pflegereform soll noch im Juni vom Bundestag beschlossen werden. So sollen die Pflegekräfte künftig nach Tarif bezahlt werden müssen.

Nach jahrelangem Ringen um eine bessere Bezahlung von Pflegekräften beschließt das Kabinett eine Pflegereform. So sehen die Gesetzespläne von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) etwa vor, dass Pflegekräfte künftig generell nach Tarif bezahlt werden müssen. Greifen soll dies ab September 2022.

Zugleich sollen Pflegebedürftige von immer weiter steigenden Zuzahlungen für die Pflege im Heim entlastet werden. Dafür sollen sie ab Januar 2022 Zuschläge bekommen, die den Eigenanteil für die reine Pflege senken. Die komplexe Finanzoperation stößt auf Kritik.

Die Pflegereform soll voraussichtlich noch im Juni vom Bundestag beschlossen werden. Zur Gegenfinanzierung soll der Bund ab 2022 einen Zuschuss von jährlich einer Milliarde Euro für die Pflegeversicherung geben. Zugleich soll der Zuschlag für Kinderlose beim Pflegebeitrag um 0,1 Punkte auf künftig 0,35 Prozentpunkte angehoben werden. Damit steigt der Beitrag für sie von 3,3 auf 3,4 Prozent des Bruttolohns.

Spahn verteidigte die Pläne gegen Kritik. Das Pflegepaket löse nicht alle Probleme, gehe aber doch zwei entscheidende Dinge an, sagte er am Mittwoch im WDR. Spahn weiter: 

"Eine regelhaft bessere Bezahlung in der Altenpflege für alle Pflegekräfte, die dort nicht nur in der Pandemie, sondern auch vorher schon jeden Tag Großartiges, Wichtiges leisten. Und gleichzeitig keine Überforderung, Überlastung von Pflegebedürftigen vor allem bei längerer Pflegebedürftigkeit."

Bei den Entlastungszuschlägen für Pflegebedürftige gab es noch Änderungen. Der Eigenanteil für die reine Pflege soll damit nun schon im ersten Jahr im Heim um fünf Prozent sinken, im zweiten Jahr dann um 25 Prozent, im dritten Jahr um 45 Prozent und ab dem vierten Jahr um 70 Prozent. Zunächst war die Entlastung ab dem zweiten Jahr geplant.

In der Altenpflege mit rund 1,2 Millionen Beschäftigten bekommt laut Arbeitsministerium nur knapp die Hälfte Tariflohn. Ein Anlauf für einen Tarifvertrag, den die Regierung für die gesamte Branche verbindlich machen wollte, war zu Jahresbeginn gescheitert. Konkret sollen nun Versorgungsverträge ab dem 1. September nur noch mit Pflegeeinrichtungen abgeschlossen werden dürfen, die nach Tarifverträgen oder mindestens in entsprechender Höhe bezahlen.

Die selbst zu zahlenden Anteile für Pflegebedürftige im Heim steigen seit Jahren, sie lagen zuletzt bei 2.068 Euro pro Monat im Bundesschnitt. Es gibt aber große regionale Unterschiede. Enthalten ist darin zum einen der Eigenanteil für die reine Pflege. Denn die Pflegeversicherung trägt – anders als die Krankenversicherung – nur einen Teil der Kosten. Für Heimbewohner kommen aber noch Kosten für Unterkunft, Verpflegung und Investitionen in den Einrichtungen dazu.

Die Pflegerinnen und Pfleger in Deutschland bräuchten "mehr als Klatschen", sagte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) jüngst im rbb-Inforadio mit Blick auf Sympathie-Bekundungen in der Corona-Krise. "Die brauchen ordentliche Tariflöhne." Im nächsten Jahr könne es flächendeckend Tariflöhne geben. Heil erklärte weiter: 

"Die Konstruktion ist so, dass es eine Aufwärtsspirale gibt für die Löhne."

Das führe zu steigenden Löhnen vor allem in Betrieben ohne Tarifbezahlung. Die Reform werde "auskömmlich finanziert". Die Tarifsteigerungen würden von der Pflegeversicherung bezahlt. Am Mittwoch wies Heil im NDR Info Kritik an der Finanzierung der Reform zurück. So sagte der SPD-Politiker:

"Wenn man bessere Löhne will und es gleichzeitig nicht auf dem Rücken der Pflegebedürftigen sein soll, (...) dann wird man das aus der Pflegeversicherung und aus Steuermitteln finanzieren müssen."

Scharfe Kritik an den Reformplänen gab es vom Sozialverband VdK. Präsidentin Verena Bentele sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe

"Heimbewohnerinnen und Heimbewohner werden mehr Geld zahlen müssen. Es kann nicht sein, dass die Kosten für mehr Personal und notwendige Lohnsteigerungen nun vor allem an ihnen hängenbleiben."

Der geplante Bundeszuschuss von einer Milliarde Euro reiche "nie und nimmer".

Der Arbeitgeberverband Pflege begrüßte, dass der ursprünglich angestrebte allgemeinverbindliche Tarifvertrag für die Altenpflege tot sei. Wer glaube, dass ein Steuerzuschuss für die Pflegeversicherung von einer Milliarde Euro reiche, "glaubt auch an den Weihnachtsmann oder die Weihnachtsfrau", sagte Präsident Thomas Greiner dem Handelsblatt.

Der Chef der Krankenkasse DAK-Gesundheit, Andreas Storm, warnte ebenfalls vor einer völlig unzureichenden Finanzierung der Reform.

"Für das Jahr 2022 zeichnet sich schon jetzt ein Defizit von zwei Milliarden Euro ab."

In der Folge drohten Beitragssteigerungen.

Aus der Opposition gab es auch Kritik. Der Linken etwa geht die Pflegereform nicht weit genug. Weil die Höhe der Tariflöhne nicht festgelegt sei, könne man "einen Flickenteppich erwarten", sagte Fraktionsvize Gesine Lötzsch am Mittwoch im Deutschlandfunk. Lötzsch forderte einen festen Betrag, der zusätzlich auf die tariflichen Lohnerhöhungen kommen müsse:

"Wir müssten mindestens 500 Euro mehr Grundgehalt für die Pflegekräfte realisieren."

Private Betreiber warnten jedoch vor wirtschaftlichen Gefahren. Der Präsident des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste, Bernd Meurer, sagte vergangene Woche gegenüber der Nachrichtenagentur dpa:

"Wir haben nichts gegen höhere Löhne. Zur Sicherung eines professionellen pflegerischen Angebots muss aber auch eine Antwort darauf gegeben werden, wie die Existenz der Pflegeunternehmen gesichert bleibt." 

In Entgeltverhandlungen würden Gehälter auf Tarifniveau von den Pflege- oder Krankenkassen bisher keinesfalls automatisch anerkannt. Zu befürchten sei nur eine Anerkennung der reinen Gehälter. Anbieter müssten aber nicht nur gute Betreuung gewährleisten, sondern auch sichere Arbeitsplätze und Investitionen.

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(dpa/rt)