Nach der großen Medienenthüllung, der dänische Militärgeheimdienst habe dem US-Geheimdienst NSA dabei geholfen, deutsche Spitzenpolitiker wie Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier auszuspionieren, ist die mediale Empörung groß. In den Jahren 2012 bis 2014 soll die NSA einen wichtigen Internetknotenpunkt auf dänischem Territorium benutzt haben, um verschiedene Unterseekabel anzuzapfen. Neben deutschen Politikern seien auch Politiker aus Schweden, Norwegen, den Niederlanden und Frankreich abgehört worden.
Für den Kriminalitätsexperten, ehemaligen Polizisten und Buchautor ("Anis Amri und die Bundesregierung: Was Insider über den Terroranschlag vom Breitscheidplatz wissen"), Stefan Schubert, ist die ganze Angelegenheit an sich nicht verwunderlich. Es gehöre zur gewöhnlichen Praxis der Geheimdienste, auch die "befreundeten Staaten" auszuspionieren. Insbesondere die USA hätten dabei "immense Möglichkeiten". Überraschend sei jedoch, dass sie dabei "den Umweg über den dänischen Militärgeheimdienst gehen".
Schubert, der auch den Telegram-Kanal Schuberts Lagemeldung betreibt, argumentiert im Interview mit RT DE, dass der US-Geheimdienst CIA nicht zufälligerweise seine "größte europäische Niederlassung" in Frankfurt am Main habe. Denn dort liege einer der größten Datenpunkte Europas, wo "praktisch alles abgefischt wird, was irgendwie geht". Es sei daher umso verwunderlicher, dass die USA die Überwachung der europäischen Politiker über den "Umweg" Dänemark betrieben haben. Schubert beschreibt das Vorgehen der Überwachung nach einem Raster-Muster:
"Man muss sich das wie einen Staubsauger vorstellen. Der nimmt die Daten einmal auf, und dann werden diese mit Programmen, über die Edward Snowden bereits veröffentlich hat, automatisiert durchleuchtet. Wenn irgendjemand dabei ins Raster gerät oder gesucht wird, dann werden Name, Telefonnummer und Bankverbindung angegeben, und dann wird alles ausgespuckt, was jemals über diese Person gesammelt wurde."
Diese Vorgänge sind nicht neu, sie wurden bereits 2013 von Snowden und anderen aufgedeckt. Damals stand bereits im Raum, dass Angela Merkel und andere deutsche Top-Politiker von der NSA ausspioniert wurden. Zur Aufklärung der Angelegenheit wurde 2014 ein Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages einberufen – ohne dass daraufhin Sanktionen gegen die USA erhoben wurden.
Auf der Pressekonferenz der Bundesregierung zur aktuellen Dänemark-Affäre verwies der darüber hinaus wortkarge Regierungssprecher Steffen Seibert auf die Aussagen ebendieses Untersuchungsausschusses. Darin sei alles Wesentliche zu der Angelegenheit besprochen worden. Seibert machte deutlich, er habe dem "heute nichts Neues hinzuzufügen" und weiteren Nachfragen von Journalisten "nichts zu sagen".
Für Stefan Schubert sind das alles nur Ausreden, denn der NSA-Untersuchungsausschuss sei – wie auch der Amri-Untersuchungsausschuss – hauptsächlich dazu da gewesen, "um die Bevölkerung ein bisschen in Ruhe und Sicherheit zu wiegen". Trotz allen möglichen Eifers der Beteiligten und auch des teilweise ehrlichen Wunsches, Aufklärungsarbeit zu betreiben, seien den Untersuchungsausschüssen die Hände gebunden, da entscheidende Akten und Dokumente "schlicht nicht geliefert werden oder geschwärzt sind". Es könne nichts weiter dabei herauskommen – außer eine Möglichkeit für die Politiker, gegenüber der Öffentlichkeit und den Medien zu zeigen: "Guckt mal, wir tun was." Schubert betont:
"Wenn man das einmal verstanden hat, dass auch der Untersuchungsausschuss dumm gehalten wird, dass brisante Akten und Dokumente nicht herausgegeben werden, dass sie vorher vernichtet oder geschwärzt werden aus Staatsinteresse, dann wundert es einfach nicht mehr. Ich habe in das Instrument Untersuchungsausschuss schon lange meinen Glauben verloren."
Laut Schubert könne die Zusammenarbeit mit der NSA für den dänischen Geheimdienst ein gewinnbringendes Geschäft gewesen sein. Die USA hätten dank ihrer "immensen finanziellen Ressourcen und technischen Möglichkeiten" einiges als Gegenleistung anzubieten.
"Gerade im Geheimdienst-Milieu ist es mehr so wie auf einem Basar nach dem Motto: 'Ich helfe dir in dieser Sache, dann will ich jenes von dir haben'."
Für den Kriminalitätsexperten offenbart sich in der Einschätzung der Bundesregierung "die ganze Naivität dieser Merkel-Regierung". Merkels Ausspruch "Abhören unter Freunden, das geht gar nicht" sei ein Eingeständnis, dass sie nicht verstanden habe, wie das Geheimdienst-Milieu funktioniere. In diesem gebe es keine Freunde, "da gibt es nur konkurrierende Staaten". Es gehe "um Geopolitik, um militärische und wirtschaftliche Interessen" – gegen "Feinde", aber auch gegen "befreundete Staaten".
Bezeichnend findet Schubert die ausbleibende Reaktion der Bundesregierung, die durch ihre Passivität selbst befördere, ausspioniert zu werden. Schubert argumentiert:
"Normalerweise müsste jetzt mal klare Kante gezeigt werden. Man könnte die dänische Botschaft schließen und den Botschafter auffordern, das Land zu verlassen, um ein Signal zu setzen. Aber außer Phrasen ist von dieser Regierung nichts zu erwarten. Das war beim NSA-Skandal genau das Gleiche, da gab es auch nichts außer Phrasen. In der Beziehung ist Deutschland, die Wirtschaftsmacht Europas, ein dankbares Opfer. Man kann sie ausspähen – selbst die gewählten Regierungsvertreter –, ohne Folgen befürchten zu müssen. Das lockt natürlich die nächste Nachahmungstat nahezu an."
Mehr zum Thema - No-Spy-Lüge: Wie Angela Merkel die Öffentlichkeit hinters Licht führte