Als Drehbuch würde der Fall um den Oberleutnant der Bundeswehr Franco A. wohl aufgrund mangelnder Glaubwürdigkeit abgelehnt; und tatsächlich lässt der kuriose Kriminalfall nach wie vor mehr Fragen offen, als bislang beantwortet werden konnten.
Der Höhepunkt der sogenannten Flüchtlingskrise war gerade abgeebbt, als die Causa um den Oberstleutnant mit den zwei Gesichtern die Flüchtlingsdebatte wieder in die Schlagzeilen brachte. Was dem Fall zusätzliche Brisanz verlieh, waren und sind die Extremismusvorwürfe, mit denen sich die Bundeswehr konfrontiert sieht. So beklagte etwa die damalige Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen aufgrund des Skandals um Franco A. einen "falsch verstandenen Korpsgeist" in der Bundeswehr.
Franco A. wird in Österreich festgenommen
Doch zunächst einige Jahre zurück. Am 3. Februar 2017 wurde der Berufssoldat Franco A. von der österreichischen Polizei am Flughafen Wien-Schwechat festgenommen. Vor Ort hatte er den "Ball der Offiziere" besucht und am 22. Januar 2017 eine vermeintlich von ihm in einem Gebüsch gefundene und geladene Pistole Kaliber 7,65 mm samt Munition im Putzschacht einer Toilettenanlage am Wiener Flughafen deponiert. Eine Putzfrau fand die Waffe und meldete den Fund der Polizei. Als Franco A. zurückkehrte, um die Waffe wieder an sich zu nehmen, wird er von der Polizei am 3. Februar 2017 gestellt.
Wie der Bayerische Rundfunk erfuhr, trat Franco A. wenige Wochen vor seiner Verhaftung als Redner auf dem sogenannten "Preußen-Abend" in München auf. "Das ist eine seit Jahrzehnten bestehende Organisation, zu deren Veranstaltungen sowohl rechtskonservative Akademiker und Vertriebenenfunktionäre als auch AfD-Politiker und Neonazis eingeladen werden." Zudem stünden bei dem Treffen auch "hochrangige aktive und ehemalige Militärs auf der Gästeliste. Während seines Vortrags soll Franco A. für die Schaffung eines "Zentralrats der Deutschen" geworben haben.
Die österreichischen Behörden lassen Franco A. jedoch bereits am nächsten Tag laufen. Laut damaligen Angaben der Staatsanwaltschaft Korneuburg werde ein entsprechendes Vergehen mit einer Geldstrafe geahndet, zumal Franco A. bis dato nicht strafrechtlich auffällig gewesen sei. Wie der Spiegel Ende April 2017 berichtete, sei der im deutsch-französischen Jägerbataillon 291 im französischen Illkirch stationierte Oberleutnant laut Freunden "weltoffen und beliebt" gewesen. Sein größter Wunsch war es demzufolge, Journalist zu werden. Nach Informationen der Welt ist er in der Vergangenheit bislang weder als Rechtsextremist noch in anderer Form aufgefallen.
Verdacht der "Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat"
Doch nun nehmen die deutschen Sicherheitsorgane Ermittlungen auf – auch der Militärische Abschirmdienst (MAD) wird eingeschaltet. Der damalige Chef des Geheimdienstes der Bundeswehr Christof Gramm erklärte 2017 in einem Spiegel-Interview, dass "niemand erwartet" habe, dass "ein äußerst intelligenter Mann über eine lange Zeit und hoch konspirativ Anschlagspläne aushecken konnte" und "sich sogar als Flüchtling tarnt".
Am 26. April 2017 wird der demnach von "Fremdenhass getriebene" Franco A. in Deutschland verhaftet. Zu diesem Zeitpunkt ist er bereits seit neun Jahren bei der Bundeswehr. Laut der Staatsanwaltschaft Frankfurt bestehe der Verdacht der "Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat" im Sinne von § 89a StGB. Zudem werden ihm Verstöße gegen das Waffengesetz, das Kriegswaffenkontrollgesetz und das Sprengstoffgesetz sowie Diebstahl und Betrug zur Last gelegt. Darüber hinaus soll er Munition und Sprengkörper sowie Waffenzubehör aus Beständen der Bundeswehr an sich genommen und unerlaubt zwei weitere Gewehre sowie eine weitere Pistole besessen haben.
Doppelexistenz als Oberstleutnant und syrischer Flüchtling
Im Zuge der Ermittlungen erfährt die Causa Franco A. eine neue skurrile Wendung. So stellt sich aufgrund seiner von den Ermittlungsbehörden genommenen Fingerabdrücke heraus, dass der nun Verdächtige eine Doppelexistenz führte. Im November 2015 stellt der Sohn eines Italieners und einer Deutschen aus Hessen beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) einen Asylantrag – als syrischer Flüchtling.
Er wird an die Erstaufnahmestelle Gießen-Meisenbornweg weitergeschickt und Anfang 2016 der bayerischen Erstaufnahmestelle in Zirndorf zugewiesen. Franco A. schlüpft in die Rolle des christlichen syrischen Obstverkäufers "David Benjamin" aus Damaskus (geboren in Aleppo). Dass seine Anhörung auf Französisch durchgeführt werden muss, begründet Franco A. mit mangelnden Arabischkenntnissen, da er in einer französischstämmigen Gemeinde der syrischen Hauptstadt aufgewachsen sei. Man kauft ihm seine Geschichte ab. Zu guter Letzt wird er als Flüchtling mit subsidiärem Schutzstatus registriert und erhält einen Platz im Heim. Gegenüber den Behörden erklärt Franco A. an einer Stelle, er habe sich "undercover als Geflüchteter registriert, um die Mängel des Asylsystems offenzulegen".
Das sah der Generalbundesanwalt jedoch anders:
"Dem Angeklagten wird vorgeworfen, einen Anschlag – möglicherweise auf den vormaligen Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz Heiko Maas, die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages Claudia Roth oder eine Menschenrechtsaktivistin – vorbereitet zu haben."
Die Tarnung als syrischer Flüchtling habe dem Angeklagten mutmaßlich dazu gedient, den Verdacht bei späteren Ermittlungen auf in Deutschland erfasste Asylbewerber zu lenken.
"Extremistische" Masterarbeit warf bereits Fragen auf
Von Ende April 2017 bis Ende November 2017 sitzt Franco A. insgesamt sieben Monate in Untersuchungshaft, und in der Zwischenzeit dringen weitere Hintergründe zur Causa Franco A. an die Öffentlichkeit – so etwa zu dessen Masterarbeit im Jahr 2014. Die Abschlussarbeit mit dem Titel "Politischer Wandel und Subversionsstrategie" reicht Franco A. 2014 in der Militärakademie Saint-Cyr ein. Laut der Neuen Züricher Zeitung (NZZ) verteidigte A. in der Arbeit, "unter anderem den Holocaust-Leugner David Irving und bezeichnet ihn als Opfer von Subversion".
Demzufolge seien Politiker wie Jörg Haider und Jürgen Möllemann durch von Geheimdiensten durchgeführte Attentate ums Leben gekommen. Das bereits aktuelle Thema "Migration wertet er als Genozid an den Völkern, und weil diese keine Gegenwehr leisteten, benutzt A. auch den Begriff Autogenozid".
"Die Arbeit liest sich wie der Versuch, eine jüdische Weltverschwörung zu beweisen. Es handelt sich um ein wirres Gedankenkonglomerat, das zum Teil in einem auftrumpfenden Ton vorgetragen wird."
Nach Einreichung der Arbeit warnen die Franzosen ihre deutschen Bundeswehrkollegen vor dem ambitionierten Studenten mit dem bizarren Gedankengut. Ein Bundeswehrwissenschaftler vom Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften hatte die Abschlussarbeit bereits als "extremistisch und unvereinbar mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung" beschrieben. Doch Franco A. wird von seinen Vorgesetzten bei der Bundeswehr lediglich ermahnt.
Der MAD wird nicht informiert, auch weil sich der Student demzufolge wortreich aus der Affäre ziehen kann. Franco A. behauptet, dass es sich "um einen Irrtum" handeln würde. Er würde gar nicht so denken, er hätte sich nur in eine so denkende Person hineinversetzen wollen. Die NZZ greift diesen Aspekt ebenfalls auf. So sei Franco A. als Verfasser der Arbeit laut dem damals eingeschalteten Wehrdisziplinaranwalt "angesichts der ihm unzweifelhaft zugeschriebenen hohen Intellektualität ein Opfer seiner eigenen intellektuellen Fähigkeit in der Darstellung geworden".
Der vorgewarnte Franco A. nimmt einen neuen Anlauf. Die neue Masterarbeit mit dem Titel "Gerechtigkeit und Krieg" kommt ohne entsprechende Ideen und Theorien aus und wird angenommen.
Mutmaßliche Verbindungen zur Prepperszene
Der damalige MAD-Chef Gramm ist sich Mitte Mai 2017 sicher, "dass wir Franco A. aufgrund der [ersten] Masterarbeit als Extremisten eingestuft hätten". Auf Druck von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer muss Gramm schließlich seinen Hut nehmen. Zu den Hintergründen schreibt die Augsburger Allgemeine:
"Zahlreiche rechtsextreme Entwicklungen in der Bundeswehr wie im Kommando Spezialkräfte, den Fall Franco A. oder den Nordkreuz-Komplex habe der MAD nicht gesehen 'oder nicht sehen wollen'."
Wie sich im Zuge der Ermittlungen gegen ihn herausstellt, soll auch Franco A. in einem der Chats der sogenannten rechten Preppergruppe "Nordkreuz" aktiv gewesen sein, die demzufolge Teil des rechten "Hannibal-Netzwerks" in Bundeswehr und Sicherheitsbehörden gewesen sei. Franco A. sei demzufolge Mitglied im Netzwerk des früheren KSK-Soldaten André S. (alias "Hannibal") gewesen.
Weitere Fragen werfen diverse Tagebucheinträge auf. So habe der Verdächtige bereits als 17-Jähriger über einen "Putschversuch mit ihm an der Spitze sinniert". Demzufolge sei das Bundeskriminalamt (BKA) auch auf ein Notizbuch mit rechtsextremen Hassbotschaften gestoßen.
"Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat" kann nicht nachgewiesen werden
Konkrete Anschlagspläne kann das Bundeskriminalamt (BKA) dem Soldaten letztlich jedoch nicht nachweisen. Dies führt dazu, dass bereits im November 2017 der Haftbefehl gegen den Verdächtigen durch den Bundesgerichtshof (BGH) außer Vollzug gesetzt wird. Aufgrund eines fehlenden dringenden Tatverdachts wird der Haftbefehl schließlich am 29. November 2017 durch den BGH aufgehoben. Zur Begründung heißt es, dass dem Angeklagten nicht nachgewiesen werden konnte, dass er "fest entschlossen" gewesen sei, seine schweren staatsgefährdenden Taten zu begehen. Dies ergebe sich daraus, dass er sie über den Zeitraum von mehr als sechs Monaten nicht begangen habe, obwohl ihm dies möglich gewesen wäre.
Wegen der weiteren, nicht in die Zuständigkeit des OLG fallenden Anklagepunkte, zu denen die mutmaßlichen Verstöße gegen das Waffengesetzt, Diebstahl und Asylbetrug zählen, wird gegen den 29-Jährigen im Zuge dessen ein Verfahren vor dem Landgericht Darmstadt eröffnet.
Generalbundesanwalt strengt neues Verfahren an
Doch im Juni 2018 legt der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof Beschwerde gegen die Entscheidung ein. Demzufolge hatte man seitens der Generalbundesanwaltschaft in der Zwischenzeit genügend Beweismaterial zusammengetragen, um Franco A. als angehenden Rechtsterroristen auf Grundlage von § 89a StGB vor Gericht zu stellen – und ihm dabei die bislang fehlende "feste Entschlossenheit" nachzuweisen.
Mit Beschluss vom 22. August 2019 gibt der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs der Beschwerde des Generalbundesanwalts schließlich statt und eröffnet das Hauptverfahren vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main. Vor Gericht gilt der Angeklagte jetzt als mutmaßlicher Einzeltäter, nachdem Verfahren gegen weitere Verdächtige aus dem Umfeld von Franco A. schließlich eingestellt worden waren.
Ab dem 18. Mai soll nun die Hauptverhandlung vor dem OLG Frankfurt beginnen. Dem Angeklagten drohen bis zu zehn Jahre Haft. Der heute 32-jährige Franco A. bestreitet sämtliche Terrorvorwürfe.
Mehr zum Thema - Terrorverdacht: Bundeswehroffizier Franco A. muss doch vor Gericht