Am 30. April 1945 brachte der damals 22-jährige Fahnenträger des 20. Garde-Schützen-Regimentes der 79. Garde-Schützen-Division, der Unteroffizier Massalow, eine Fahne des Regimentes zum Landwehrkanal. Hinter dem Kanal befand sich schon die Reichskanzlei. Massalow selbst erinnerte sich: Es waren noch 50 Minuten bis zum letzten Angriff, und da hörte er in der Stille den Schrei eines kleinen deutschen Mädchens, das nach seiner Mutter rief.
Er bat um die Erlaubnis, das Kind zu retten. Der Bereich vor der Brücke war vermint und zerschossen, und er kroch über den Asphalt an den Kanal. Unter der Brücke sah er ein dreijähriges Mädchen neben seiner toten Mutter sitzen. Soldaten gaben ihm Feuerschutz, und er brachte das Kind in Sicherheit. Massalow wurde damals am Bein verwundet, erzählte aber nichts davon und stand wieder bei der Regimentsfahne.
Die Heldentat von Massalow wurde zur Grundlage für den Entwurf des Denkmals des Befreiers im Berliner Treptower Park. Die zentrale Skulptur, geschaffen von Jewgeni Wutschetitsch, ist die Figur eines sowjetischen Soldaten: Mit der linken Hand hält der Soldat ein von ihm gerettetes deutsches Mädchen und drückt es an seine Brust, mit der rechten Hand umklammert er sein Schwert, ein Hakenkreuz zerbirst unter seinen Stiefen.
Dieser Soldat wurde weltweit zum Symbol für die Befreiungsmission der Sowjetunion und den Sieg über den Faschismus. Zur Erinnerung an Massalows Heldentat wurde zudem eine Gedenktafel aus Messing an der Potsdamer Brücke über den Landwehrkanal in Berlin angebracht.
Im Jahr 1964 versuchten Journalisten in der DDR, das Mädchen zu finden, das von Stabsfeldwebel Massalow gerettet worden war. Materialien zu dieser Geschichte und Berichte über die Suche wurden von vielen lokalen DDR-Zeitungen veröffentlicht. Im Ergebnis stellte sich heraus, dass Massalows Heldentat kein Einzelfall war – es wurden Dutzende Fälle bekannt, in denen sowjetische Soldaten deutsche Kinder gerettet hatten. 1965, zum zwanzigsten Jahrestag des Sieges über den Hitlerfaschismus, verlieh Ostberlins Stadtverwaltung Nikolai Massalow den Titel des Ehrenbürgers.
Doch nach der Wiedervereinigung Deutschlands beschloss der Berliner Senat mit Zustimmung des Abgeordnetenhauses nur einige Persönlichkeiten aus der "Ost"-Liste in die "West"-Liste aufzunehmen. Der Rang eines Ehrenbürgers von Berlin wurde elf Vertretern der Sowjetarmee und der sowjetischen Militäradministration aberkannt, darunter Nikolai Massalow, Michael Egorow und Meliton Kantaria (beide hissten die Sowjetflagge über den Reichtstag – Anm. der Redaktion), Marschälle Michail Katukow, Iwan Konew, Wassili Tschuikow.
Nun wollen die Einwohner des Geburtsortes von Nikolai Massalow in der sibirischen Region Kemerowo zusammen mit der Gebietsverwaltung das ändern und dafür sorgen, dass ihr Landsmann wieder in die Ehrenbürgerliste aufgenommen wird. Unterstützung bekommt der Gouverneur Sergei Ziwiljow dabei von der russischen Botschaft in Berlin. Sie leitete Ziwiljows Antrag an den Berliner Senat weiter. Das erste Schreiben an die Behörden ging noch im Sommer 2020 raus.
"Die mutige Tat des Soldaten Nikolai Massalow steht außer Zweifel", schrieb die Protokollleiterin des Landes Berlin Barbara Berninger an den sibirischen Gouverneur – um dann auf die Listenanpassung zwischen Ost und West im Jahre 1992 hinzuweisen:
"Bitte haben Sie deshalb Verständnis, dass eine Wiederaufnahme von Nikolai Massalow in die Liste der Ehrenbürger nicht möglich ist."
"Sie können gewiss sein, dass das Andenken an den Beitrag der Roten Armee zum Sieg über den Nationalsozialismus hier auch weiterhin in Ehren gehalten wird", schloss sie den Brief.
Im April gab es den zweiten Versuch vonseiten der russischen Behörden – mit einem ähnlichen Ergebnis. "Das ist eine Peinlichkeit und ein echter Skandal", kommentierte die Situation der Bundestagsabgeordnete Alexander Neu der Partei Die Linke gegenüber RIA Nowosti. Er äußerte die Hoffnung, dass die Regierung Berlins diesen "andauernden Fehler" doch noch korrigieren könne.
Der Pressesprecher der russischen Botschaft Ilja Roschkow sagte im Gespräch mit RT DE, dass die zweite Absage am 76. Jahrestag der Heldentat kam – am 30. April.
"Für uns sind die Argumente der Berliner Behörden nicht wirklich überzeugend. Daher wollen wir an dem Thema dranbleiben und hoffen im Endeffekt auf Erfolg."
Er wies darauf hin, dass von den insgesamt 115 Berliner Ehrenbürgern vier russisch-sowjetischer Herkunft seien – der Zar Nikolaus I., der Kosmonaut Waleri Bykowski, der erste und letzte Präsident der UdSSR Michail Gorbatschow und Nikolai Bersarin, der erste Nachkriegskommandant Berlins. "Berlin argumentiert damit, dass es nur herausragende Persönlichkeiten aus dem Bereich Wissenschaft und Kultur sowie bedeutende Politiker auf die Liste setze und keine Militärangehörige", sagte Roschkow.
Die Tätigkeit von Nikolai Bersarin als erster Nachkriegskommandant Berlins stelle dabei eine Ausnahme dar, da sie "herzliche Dankbarkeit und Anerkennung" der Bürger der Hauptstadt hervorgerufen habe. Bersarins Name war 1992 aus der Liste der Ehrenbürger Berlins gestrichen worden; auf Vorschlag des damaligen Bürgermeisters Klaus Wowereit gab ihm der Senat 2003 den Ehrentitel zurück.
"Eine kolossale Arbeit wurde sowohl von der Botschaft als auch vom Büro des Bürgermeisters in Moskau geleistet, die sich aktiv darum beworben haben. Dieser Titel wurde an Bersarin zurückgegeben mit der Begründung 'zur Anerkennung herausragender Verdienste um Berlin'. Der Präzedenzfall von Bersarin zeigt, dass die Rückgabe des Titels an Nikolai Iwanowitsch Massalow durchaus möglich ist und von dem Wunsch und dem politischen Willen der Berliner Behörden abhängt", sagte der Vertreter der Botschaft.
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